Tuberkulose ist noch immer eine der gefährlichsten Infektionskrankheiten weltweit. Insbesondere die zunehmende Zahl multiresistenter Erreger macht Medizinern und Gesundheitspolitikern große Sorgen. Derzeit befindet sich ein gutes Dutzend Impfstoff-Kandidaten in der klinischen Testung. Einer davon hat nun die Zulassung für eine klinische Wirksamkeitsstudie erhalten. VPM1002 soll darin seine Wirksamkeit und Sicherheit bei Patienten beweisen, bei denen die Erkrankung nach einer erfolgreichen medikamentösen Behandlung wieder aufflackert (Rekurrenz). Darüber hinaus ist eine vielversprechend verlaufende Phase-II-Studie an HIV-exponierten Neugeborenen abgeschlossen.
Trotz zwei Milliarden Infizierter und über zehn Millionen Neuansteckungen jedes Jahr erscheint die Tuberkulose manchmal wie eine vergessene Krankheit. Schlagzeilen wie Ebola oder Zika macht sie jedenfalls nur selten – und das, obwohl sie in den letzten 200 Jahren mehr Menschenleben auf dem Gewissen hat als Pocken, Malaria, Pest, Grippe, Cholera und AIDS im gleichen Zeitraum zusammen. Experten weisen jedoch seit Jahren auf die zunehmende Bedrohung hin, auch angesichts zunehmender Resistenzen. Die Vereinten Nationen widmen der Erkrankung deshalb Ende September 2018 ein eigenes "High-level Meeting" bei der Vollversammlung in New York – erst das fünfte Treffen, das einem Gesundheitsthema gewidmet ist.
Wissenschaftler arbeiten ebenfalls mit Hochdruck an neuen Diagnostika, Medikamenten und Impfstoffen. So haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie die wissenschaftlichen Grundlagen für die klinische Entwicklung des Impfstoff-Kandidaten VPM1002 gelegt. 2015 hat die Max-Planck-Gesellschaft VPM1002 an das Serum Institute of India auslizenziert, einen der weltweit größten Impfstoffhersteller. Das Unternehmen entwickelt den Impfstoff-Kandidaten seitdem zusammen mit der Vakzine Projekt Management GmbH (VPM) weiter.
VPM1002 wird derzeit in einer Studie an rund 2.000 Probanden in Indien getestet. Die Studie läuft seit Anfang 2018 und soll Mitte 2020 abgeschlossen sein. Um die Zahl der Studienteilnehmer möglichst niedrig und Studiendauer möglichst kurz zu halten und trotzdem aussagekräftige Ergebnisse gewinnen zu können, untersuchen die Forscher den Kandidaten an Patienten, die bereits einmal an Tuberkulose erkrankt und erfolgreich behandelt worden sind. Rund zehn Prozent dieser Patienten erkranken aus bislang unbekannten Gründen innerhalb eines Jahres erneut.
Ein Teil der Probanden wird wenige Wochen, nachdem sie als geheilt entlassen wurden, mit VPM1002 geimpft. "Wenn VPM1002 die Wiederansteckung dieser besonders schwierigen Gruppe mit wieder aufflackernder Tuberkulose senken kann und sich als gut verträglich erweist, hat er eine entscheidende Hürde auf dem Weg zur Zulassung genommen", erklärt Stefan Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, der das wissenschaftliche Konzept für VPM1002 maßgeblich entwickelt hat.
Ohne Auffälligkeiten abgeschlossen ist inzwischen eine seit Mitte 2015 laufende klinische Phase-II-Studie an über 400 Neugeborenen von HIV-infizierten oder nicht infizierten Müttern. Die Ergebnisse der Studie sollen nach der endgültigen Datenauswertung von einer Phase-III-Studie an mindestens 5.000 Neugeborenen bestätigt werden. "Diese groß angelegte Studie im südlichen Afrika soll feststellen, ob der Impfstoff für HIV exponierte und nicht exponierte Neugeborene sicher ist und ob er auch schützt. Die Partnerschaft zwischen mehreren EU-Ländern und mehreren Schwellenländern bei der Durchführung klinischer Studien – die EDCTP –hat die Studie bewilligt; so ist auch die Finanzierung gesichert", sagt Kaufmann.
Fast 100 Jahre lang hat die Tuberkulose-Forschung kaum Fortschritte gemacht. Erst seit Anfang des 21. Jahrhunderts beginnt sich dies langsam zu ändern. Zurzeit werden mehr als ein Dutzend Kandidaten klinisch erprobt. VPM1002 hat von allen Kandidaten am erfolgreichsten klinische Studien bis zur Wirksamkeitstestung durchlaufen. Er wurde auf der Grundlage eines Tuberkulose-Impfstoffes mit der Bezeichnung BCG – Bacillus Calmette–Guérin – entwickelt.
Mit dem 1921 eingeführten BCG-Impfstoff werden jedes Jahr Millionen Säuglinge in Regionen geimpft, in denen die Tuberkulose weit verbreitet ist. Der Impfstoff schützt die Neugeborenen vor heftig verlaufenden Tuberkulose-Formen, allerdings weder Erwachsene noch Neugeborene vor der besonders verbreiteten Lungen-Tuberkulose. Die Wissenschaftler am Berliner Max-Planck-Institut haben VPM1002 gentechnisch so verändert, dass er das Immunsystem stärker gegen den Tuberkulose-Erreger aktiviert. Der Impfstoff-Kandidat schützt dadurch wirksamer vor Tuberkulose als BCG und soll diesen eines Tages bei Neugeborenen ersetzen und auch zur Auffrischung einer BCG-Impfung bei Erwachsenen eingesetzt werden.