Die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung 1A, kurz CMT1A, ist die häufigste vererbliche Erkrankung des peripheren Nervensystems. Aufgrund eines Gendefektes entwickeln Patienten eine langsam fortschreitende Nervenschädigung, die zu Gangschwierigkeiten bis hin zur Rollstuhlgebundenheit und zu Sensibilitätsstörungen wie Taubheit, Kribbeln und Schmerzen führt. Die CMT1A Erkrankung ist bisher nicht heilbar, da die grundlegenden Erkrankungsmechanismen wenig verstanden sind.
Wissenschaftler des Instituts für Anatomie der Universität Leipzig und der Abteilung für Neuropathologie des Universitätsklinikums Leipzig sowie des Göttinger Max-Planck-Instituts für Experimentelle Medizin (MPI-EM) haben nun die Ursachen der Krankheit erforscht und eine mögliche Therapie gefunden.
Etwa 30.000 Patienten leiden in Deutschland an der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung, einer Erkrankung des peripheren Nervensystems. Die Fortsätze von Nervenzellen im peripheren Nervensystem, die Axone, sind über ihre gesamte Länge, vom Zellkörper bis hin zum Muskel, von Stützzellen umgeben. Diese Schwannzellen umhüllen die Axone mit einer isolierenden fettreichen Schicht, dem Myelin, das eine schnelle Weiterleitung elektrischer Impulse ermöglicht. Mit Hilfe von genetisch veränderten Nagetiermodellen fanden Forscher der Leipziger Universitätsmedizin und des MPI-EM in Zusammenarbeit mit Neurowissenschaftlern aus Würzburg, Heidelberg und Aachen nun heraus, dass Schwannzellen in der CMT1A Erkrankung einen gestörten Fettstoffwechsel aufweisen. "Um Myelin produzieren zu können, müssen Schwannzellen große Mengen Fett bereitstellen. Ist dies wie in der CMT1A Erkrankung gestört, verbleiben nach der Entwicklung viele Nervenfasern ohne die isolierende Myelinschicht, was die Funktionalität der Nerven nachhaltig einschränkt", erklärt Dr. Robert Fledrich vom Institut für Anatomie der Universität Leipzig und Erstautor der Studie.
In der aktuellen, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Netzwerkverbundes "CMT-NET" geförderten Studie verfolgten die Wissenschaftler die These: Eine therapeutische Verabreichung von Lecithin könnte womöglich die beeinträchtigte Fettproduktion der Schwannzellen umgehen und somit die Myelinisierung in der CMT1A Erkrankung verbessern. Lecithin ist ein aus Soja oder Eigelb gewonnener Mix aus sogenannten Phospholipiden, ein weitverbreitetes Nahrungsergänzungsmittel und zudem ein Hauptbestandteil des Myelins.
Zunächst konnten die Wissenschaftler in Zellkulturexperimenten nachweisen, dass der verabreichte Wirkstoff tatsächlich von Schwannzellen aufgenommen und für die Myelinproduktion genutzt werden könnte. In Therapiestudien mit an CMT1A erkrankten Ratten gelang es den Forschern zu zeigen, dass Lecithin die Myelinisierung bei der Erkrankung fördern und den Krankheitsverlauf maßgeblich lindern kann - und zwar unabhängig vom Behandlungsbeginn. "Die vielversprechenden Daten aus dem CMT1A Tiermodell und insbesondere die erwiesene gute Verträglichkeit in Menschen prädestinieren Lecithin als Therapeutikum für die CMT1A Erkrankung und möglicherweise auch für andere demyelinisierende Neuropathien", verdeutlicht Dr. Ruth Stassart, Neuropathologin am Universitätsklinikum Leipzig und eine der beiden Letztautoren der Studie.