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Neue antiretrovirale Therapien: einfacher, akzeptabler, besser verträglich

Noch einfacher und noch akzeptabler bei gleichzeitig reduzierter Toxizität sind die wichtigsten Eigenschaften der ART-Regime in der Zukunft, so Chloe Orkin, Barts Health NHS Trust, London, bei der 25. CROI am 7. März 2018 in Boston.

Symposium blickt auf die nächsten 25 Jahre HIV-Therapie

Noch einfacher und noch akzeptabler bei gleichzeitig reduzierter Toxizität sind die wichtigsten Eigenschaften der ART-Regime in der Zukunft, so Chloe Orkin, Barts Health NHS Trust, London, bei der 25. CROI am 7. März 2018 in Boston.

Derzeit gibt es nach Aussage von Orkin drei wichtige Strategien zur Optimierung der Therapie der HIV-Infektion. Hierzu gehört die Reduktion der antiretroviralen Therapie (ART) durch Senkung der Dosis, durch Verringerung der Applikationshäufigkeit sowie durch Verringerung der Anzahl der Arzneimittel. Zweite Strategie ist die Entwicklung neuer ART sowie von monoklonalen Antikörpern. Dritter Ansatzpunkt ist die Entwicklung von lang wirkenden oral oder parenteral applizierbaren oder auch implantierbaren Substanzen.

Was ist in der Pipeline?

Mittlerweile gibt es für jede wichtige Station im Lebenszyklus des HI-Virus mindestens eine Substanz, die dort angreifen kann. Unter den Entry-Inhibitoren hob Orkin Fostemsavir hervor, das insbesondere bei therapieresistenten Patienten eine gute Wirkung zeigt. Bei den Nucleosid-reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI, Nukes) konnten mit dem lang wirkenden MK8591 gute Ergebnisse auch bei resistenten Viren erzielt werden.

Zu den Nonnukes in klinische Entwicklung gehören Doravirin, Elsulfavirin, Rilpivirin-LAI, Dapivirin und PC-1005. Mit Bictegravir, Cabotegravir-LAI und MK-2048 befinden sich drei Integrase-Inhibitoren in der klinischen Entwicklung.

Darüber hinaus gibt es einige Substanzen wie MK-8507 oder ABX464 mit bislang unbekanntem Mechanismus. Die so genannten LEDGINs gehören zu einer neuen Klasse von Integrationsinhibitoren, sie hemmen die Interaktion zwischen der HIV-Integrase und dem LEDGF/p75-Kofaktor.

Meist können die neuen Substanzen oral appliziert werden, einige werden parenteral angewendet. Lang wirksame parenterale Substanzen sind Cabotegravir-LAI und Rilpivirin-LAI. Dapivirin wird zu topischen Anwendung (z. B. vaginales Gel) in der entwickelt.

Orkin sieht durchaus einen Bedarf für lang wirkende parenteral applizierbare Substanzen oder implantierbare ART. Die Bedürfnisse eines Patienten würden sich im Laufe des Lebens verändern. Die Therapieadhärenz würde durch eine Auswahl verschiedener Applikationsweisen erleichtert und verbessert.

Virussuppression bei 90 % der Patienten

In London sind bei 97 % der Patienten die Viren unter der Nachweisgrenze, dies belegt die Qualität der verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten. Etablierte Regime enthalten zwei NRTI als Backbone und eine dritte Substanz, z. B. einen nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI), einen Proteasehemmer (PI) oder einen Integrasehemmer (INI). In den meisten Leitlinien ist Tenofovir Alafenamid (TAV) Teil des NRTI-Backbones, es hat Tenofovir Disoproxil (TTF) weitgehend ersetzt. Für besondere Patientengruppen stehen Alternativen zur Verfügung.

In Studien mit Integrasehemmern der zweiten Generation wie Dolutegravir (z. B. FLAMINGO, ARIA, SINGLE) oder Bictegravir (GS-1489, GS-1490) konnte keine Resistenzentwicklung gesehen werden: „Das ist wirklich erfreulich“, kommentierte Orkin.

In Studien wird normalerweise die Wirksamkeit nach 48 Wochen bestimmt. In den letzten Jahren wurde ein steter Anstieg der Wirkung gesehen. In den jüngsten Untersuchungen wird bei fast 90 % der Patienten die Viruskonzentration unter die Nachweisgrenze gesenkt. Bei Patienten mit hoher Viruslast über 100.000/ml ist die Wirkung jedoch geringer.

In den Studien waren bis zu 50 % Weiße und mehr als 70 % Männer eingeschlossen. Bei 75 % lag die Viruslast unter 100.000/ml. "Wir brauchen mehr Langzeitdaten über 96 und 192 Wochen hinaus", konstatierte Orkin. Und es werden mehr Studien z. B. mit älteren Erwachsenen, mit Frauen, mit Personen mit größerer ethnischer Vielfalt, mit Jugendlichen, intravenös Drogenabhängigen, mit Hepatitis-B- und -C-Infizierten sowie mit Patienten mit verschiedenen Komorbiditäten benötigt.

Eine vierte 90

Im Dezember 2013 formulierte das UNAIDS-Programm als Ziel für das Jahr 2020, dass 90 % aller Menschen mit HIV ihren HIV-Status kennen, eine adäquate Therapie erhalten und eine ausreichende Virussuppression erreicht haben. Lazarus schlug 2016 vor, eine "vierte 90" als zusätzliches Ziel zu postulieren, nämlich dass 90 % der Patienten eine gute gesundheitsbezogene Lebensqualität erreicht haben. Hier ist es nach Aussage von Orkin unabdingbar, dass das Engagement verbessert bzw. verstärkt wird. Und: "Wir müssen zudem nach Wegen suchen, um die Nebenwirkungen und Komorbiditäten der ART zu reduzieren."

Um das Engagement zu verbessern müssen die Medikamente bequemer, leichter zu nehmen sein. Dies wird z. T. durch Kombinationspräparate erreicht. Die Gleichgültigkeit kann z. B. verringert werden, dass die Patienten per App oder SMS an ihre Medikation oder Visiten erinnert werden.

Das Konzept von Toxizität und Tolerabilität sei gut in der ACTG-5257-Studie untersucht worden, erläuterte Orkin. In der offenen, randomisierten Studie hatten therapienaive HIV-Infizierte Atazanavir mit Ritonavir, Raltegravir oder Darunavir mit Ritonavir zusätzlich zu Emtricitabin plus Tenofovir-Disoproxil erhalten. Primäre Endpunkte waren die Zeit bis zum virologischen Versagen und die Zeit bis zum verträglichkeitsbedingten Versagen, definiert als Therapieabbruch aufgrund von Toxizitäten. Die Therapieregime waren in der Wirksamkeit vergleichbar, aber die Abbruchraten wegen Unverträglichkeiten unterschieden sich erheblich. Sie betrugen mit Raltegravir 1 % mit Darunavir 5 % und mit Atazanavir 16 %. Im kombinierten Endpunkte virologisches Versagen und verträglichkeitsbedingtes Versagen war Raltegravir dem Atazanavir und dem Darunavir überlegen und Darunavir war Atazanavir überlegen.

Orkin wies darauf hin, dass in randomisierten klinischen Studien (RCT) Verträglichkeitsendpunkte anders als in Kohortenstudien erfasst werden. In RCT werden vorwiegend Surrogatparameter eingesetzt, so werden Wirkungen auf die Nieren anhand von glomerulärer Filtrationsrate und tubulären Biomarkern, Wirkungen auf die Knochen anhand von DEXA und Biomarkern oder Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System anhand der Lipidspiegel erfasst. In Kohortenstudien werden dagegen Ereignisse registriert, wie chronische Nierenerkrankungen, Knochenbrüche oder Herzinfarkte.

Wie die GS-104/111-Studien zeigten, können bei Ersatz von TDF durch TAF unerwünschte Wirkungen auf Knochen und Nieren vermindert werden. Zudem sind Kombinationen mit 2 Wirkstoffen besser verträglich als mit 3 Wirkstoffen. Hierzu sind jedoch noch weitere Daten erforderlich.

Nach den Ergebnissen der START-Studie sollte ein HIV-positiver Patient unabhängig von der CD4-Zellzahl möglichst früh mit einer ART behandelt werden. Die frühe Therapie halbiert das Risiko einer schweren Erkrankung. Ein Wechsel der Therapie z. B. von einer Dreifach- auf eine Zweifachkombination-sollte nur bei guten Gründen vorgenommen werden. Auch hier sind noch mehr Studien erforderlich.

Quelle:
Orkin, C. Integrating new antiretroviral therapies. 25. CROI, Boston, 7. März 2018, Abstract 159. http://www.croiconference.org/sessions/integrating-new-antiretroviral-therapies