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Neue AMNOG-Regeln – worauf sich die Industrie einstellen muss

Die Umsetzung der neu geschaffenen Regelungen zu Erstattungsbeträgen werden laut BGM und GKV im ersten Jahr noch keine volle Wirkung entfalten.

Schwierigste Neuregelung: 20-prozentiger Abschlag auf freie Kombinationen von neuen Wirkstoffen

Die Anwendung neuer Regeln für die Bildung von Erstattungsbeträgen nach der Nutzenbewertung wird Hersteller, den Gemeinsamen Bundesausschuss und den GKV-Spitzenverband vor beträchtliche technische Herausforderungen stellen. In dieser Einschätzung sind sich Thomas Müller, Abteilungsleiter Arzneimittel im BMG, und Dr. Antje Haas vom GKV-Spitzenverband einig. 

Kritisch sehe man im Bundesgesundheitsministerium, so Müller, die Dominanz onkologischer und hämatologischer Innovationen, die sich zwar zum Teil mit den schon länger zurückliegenden Erkenntnissen der Grundlagenforschung erklären lassen. Das BMG werde aber auch den Verdacht prüfen, ob Onkologika möglicherweise einen systematischen Vorteil im HTA-Verfahren und bei Erstattungsbetragsverhandlungen im Vergleich zu Wirkstoffen in anderen Indikationen haben.

Die wohl schwierigste Neuregelung sei der 20-prozentige Abschlag auf freie Kombinationen von neuen Wirkstoffen, die zu wesentlichen Fallkostensteigerungen beigetragen haben. Wahrscheinlich werde der Bundesausschuss Tranchen bilden, die sukzessive abgearbeitet werden. Eine wichtige, im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens eingebaute Modifikation sei die Möglichkeit, dass auf den Abschlag verzichtet werden kann, wenn Studien einen mindestens beträchtlichen Zusatznutzen erwarten lassen. Das erfordere kein neues komplettes Nutzenbewertungsverfahren und soll möglichst unbürokratisch umgesetzt werden.

Fünf-Prozent-Abschlag könnte verlängert werden

Der jetzt auf ein Jahr begrenzte generelle Herstellerabschlag von fünf Prozent für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen wird nach Müllers Aussage wahrscheinlich im Herbst 2023 mit Blick auf eine Verlängerung erneut diskutiert werden – insbesondere dann, wenn sich die Finanzlage der Kassen nicht stabilisiert.

Das Ziel: Bessere Evidenz 

Müller wie auch Haas betonten, dass der deutsche Arzneimittelmarkt weiter innovationsoffen bleiben und keine vierte Hürde errichtet werden soll. Als europäischer Leitmarkt soll Deutschland weiter attraktiv bleiben. Allerdings gebe es Fehlentwicklungen. Als Beispiel nannte Haas die Vielzahl von Checkpoint-Inhibitoren, von denen fast die Hälfte nach beschleunigter Zulassung und geringer Evidenz hinsichtlich der therapeutischen Effekte – beispielsweise wegen meist fehlender direkter Vergleiche mit einer Kontrollgruppe – auf den Markt gekommen sind. Es scheine, so Haas, als ruhten sich die Hersteller auf dem gegenwärtig hohen Preisniveau aus.

Aus diesem Grund sind die neuen Regeln für den GKV-Spitzenverband wichtige Leitplanken, die dazu führen werden, dass die Güte der Evidenz und damit die Wahrscheinlichkeit für das Ausmaß des Zusatznutzens bei der Erstattungsbetragsbildung ein stärkeres Gewicht bekommen werden.

Die nun zwingend vorgeschriebenen Volumenregelungen, so betonen Müller und Haas, werden sehr differenziert je nach Lage des Einzelfalls gestaltet werden. Haas: "Es wird keinen generellen Algorithmus geben, sondern immer produktspezifisch verhandelt."

Neu ist eine neue Ausnahmeregelung vom Preismoratorium, die dazu dienen soll, die Generierung neuer Erkenntnisse über ältere Arzneimittel zu fördern und zu honorieren. Das gilt etwa, wenn für ein solches Arzneimittel neue Anwendungsgebiete oder neue Patientengruppen erschlossen werden, aber auch wenn aufgrund neuer Erkenntnisse eine Verbesserung der Versorgung zu erwarten ist. Fast zeitgleich mit dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahren habe der GKV-Spitzenverband dazu einen Leitfaden erstellt, der das Verfahren – deutlich weniger komplex und deterministisch als das AMNOG-Verfahren, so Haas – beschreibt. Die Zahl der Anträge, die Hersteller beim GKV-Spitzenverband stellen werden, werde aber eher gering sein und sich zunächst im einstelligen Bereich bewegen.

Korrekturen am jetzt in Kraft getretenen Gesetz hält Müller – trotz der bis Ende 2023 vorgeschriebenen Evaluierung – für eher unwahrscheinlich, weil sich qualitative und quantitative Effekte erst mittelfristig zeigen werden. 

Blick: Mehr Diversität im Generikasegment 

Das nächste wichtige Vorhaben im Arzneimittelbereich sei die kausale Beseitigung von Lieferengpässen bei wichtigen Arzneimitteln und die Förderung der Diversität des Angebots generischer Wirkstoffe. "Erkannt ist, dass Deutschland in diesem Bereich wieder attraktiver werden muss", so Müller. Derzeit werde unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums an einer Novellierung des Vergaberechts gearbeitet – damit sollen Erstattungsverfahren, Preismechanismen und Rabattverträge für Generika neu gestaltet werden. Das Ziel ist, in den nächsten sechs Monaten Eckpunkte vorzulegen.