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Netzwerk hilft zu Hause gegen psychische Erkrankungen

Psychisch kranke Menschen finden in akuten Krisen oft keine schnelle Hilfe und landen in einer Klinik – immer wieder. Um diesen “Drehtür-Effekt” zu verhindern und die Menschen in ihrem alltäglichen Umfeld zu stabilisieren, gibt es besondere Netzwerke.

Psychisch kranke Menschen finden in akuten Krisen oft keine schnelle Hilfe und landen in einer Klinik – immer wieder. Um diesen “Drehtür-Effekt” zu verhindern und die Menschen in ihrem alltäglichen Umfeld zu stabilisieren, gibt es besondere Netzwerke.

Rainer Brinkmann hat sich scheiden lassen und einen Tandemsprung mit dem Gleitschirm gewagt. Martina Frank zeichnet Comics und Kinderbücher für starke Mädchen, und Klaus Weiß leitet einen kleinen Gartenbaubetrieb. Die drei Hessen haben sich nach schweren psychischen Erkrankungen ein neues Leben aufgebaut. Dabei unterstützt sie das “Netzwerk psychische Gesundheit”. Darin stimmen Ärzte und Therapeuten ihre Behandlung ab. Dazu kommen eine Notfallbetreuung, Gespräche über Alltagsfragen und Seminare. Ziel ist es, die Patienten in ihrem Umfeld zu stabilisieren und Klinikaufenthalte auf schwere Krisen zu begrenzen.

Seelische Leiden sind ein wachsendes gesellschaftliches Thema. Immer mehr Menschen sind deshalb beispielsweise in Reha. Die Deutsche Rentenversicherung führt den Anstieg vor allem darauf zurück, dass die Krankheiten besser erkannt werden. Die Fehlzeiten aufgrund von Depressionen in deutschen Unternehmen sind nach einer Erhebung der Techniker Krankenkasse (TK) von 2000 bis 2013 um fast 70 Prozent gestiegen. Zugleich wuchs der Anteil der Arbeitnehmer, die Antidepressiva verschrieben bekamen, um ein Drittel auf sechs Prozent.

Netzwerk hilft unterschiedlichsten Menschen

Architekt Brinkmann war wegen Depressionen mehrfach in Kliniken. Die Scheidung von seiner Frau nach 27 Ehejahren ermöglichte dem Vater zweier erwachsener Kinder schließlich den Start in ein anderes Leben. Der 52-Jährige, der seinen wirklichen Namen nicht nennen will, nimmt seit einem halben Jahr keine Medikamente mehr und hat wieder Spaß an seiner Arbeit. Er lebt in einer anderen Stadt, hat eine neue Liebe gefunden und schmiedet Zukunftspläne.

Die Bewältigung eines schweren Rückenleidens ohne fremde Hilfe und die Überwindung seiner Angst beim Gleitschirm-Sprung hätten ihm geholfen, sich zu stabilisieren, erzählt Brinkmann. Am Netzwerk psychische Gesundheit schätzt er vor allem die Reflexion in den Gesprächen mit seiner “Fallmanagerin”, einer Sozialpädagogin des Verbunds sozialpsychiatrischer Angebote (Versa) in Rhein-Main. “Dass man realisiert, was man bei all den negativen Gedanken eigentlich alles so macht, was alles klappt.”

Für viele Patienten bricht eine Welt zusammen

Martina Frank betäubte Depressionen und Angststörungen jahrelang mit viel Arbeit. “Ich war Workaholic”, sagt die 52-Jährige, die ihren richtigen Namen und Beruf nicht veröffentlichen will. “Vor neun Jahren ist dann meine ganze Welt zusammengebrochen.” Frank zeigt auf ein rabenschwarzes Blatt und sagt leise: “So hat es in mir ausgesehen.” Vor zwei Jahren machte sie mit Hilfe des Netzwerks ein Praktikum bei einem Grafiker und zeichnet seither – farbenfroh. Für ihr einfühlsames, kindgerechtes Buch zum Thema “Gewalt gegen Mädchen in der Familie” samt Mitmachbuch sucht die Illustratorin jetzt einen Verlag.

“Sofort wenn eine Krise kommt, habe ich Hilfe und kann in meinem normalen Leben drin bleiben, werde nicht in einer Klinik weggepackt und weggestellt”, beschreibt sie die Vorteile des Netzwerks. “Es macht mir bewusst: Ich bin heute stolz auf mich. Ich selber habe es geschafft.” Franks Anlaufstelle ist der Krisendienst Südhessen. Die vom Caritasverband Darmstadt getragene Einrichtung bietet neben Gesprächen und einem 24-Stunden-Notruf auch eine helle Wohnung mit vier freundlich gestalteten Zimmern für akute Krisen. Darin können Mitglieder des Netzwerks zur Ruhe kommen und sich stabilisieren, ihren Alltag aber weiterleben.

Netzwerk fängt die Patienten auf

Klaus Weiß hat die Darmstädter Notfall-Hotline auch schon mal genutzt; das Netzwerk vergleicht er mit einem Trapez. “Man fühlt sich als Mensch und nicht als Nummer.” Weiß erkrankte vor Jahrzehnten an einer akuten Psychose. “Man sieht und hört Dinge, die nicht da sind”, beschreibt er dies. Seit mehr als zehn Jahren sei er medikamentös gut eingestellt. “Ich spüre kaum noch einen Unterschied zu dem Leben, bevor ich krank geworden bin, und war seit zehn Jahren nicht mehr im Krankenhaus.” Die Tabletten seien bei seiner Krankheit notwendig. “Man nimmt einem Rollstuhlfahrer ja auch nicht den Rollstuhl weg oder einem Diabetiker das Insulin.”

Weiß lernte Fachwart für Obst- und Gartenbau und hat sich nach einigen Jahren im Job selbstständig gemacht. Inzwischen beschäftigt er drei Mitarbeiter.

Brinkmann, Frank und Weiß sind bei der TK versichert, die nach eigenen Angaben Vorreiter der Netzwerk-Verträge in Deutschland ist. Das Netzwerk solle vor allem Brüche und den sogenannten Drehtür-Effekt (Raus aus der Klinik, rein in die Klinik) verhindern, sagt die Leiterin der TK Hessen, Barbara Voß. “Davon profitieren die Versicherten.” Inzwischen haben sich in Deutschland andere Krankenkassen angeschlossen oder eigene Verträge ausgehandelt.

Der Caritasverband Südhessen will sein Angebot für psychisch kranke Menschen in Krisen für alle Bürger der Region ausbauen. Vorbild dafür sei der Krisendienst Berlin, der an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden erreichbar ist und auch nachts Menschen in psychischen Ausnahmesituationen aufsuche, sagt Bastian Ripper vom Vorstand des Caritasverbands Darmstadt. “Wir basteln gerade an den Finanzierungsstrukturen.”