Auf dem Kongress der DGCH sprach Dr. Benedikt Braun von der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Homburg/Saar über "Exzellenzförderung – ein Garant für die Zukunft der Chirurgie" und die Erwartungen des Nachwuchses an die wissenschaftliche Förderung in chirurgischen Fächern.
Ist Nachwuchsforschung überhaupt ein Problem? Das fragt der Referent eingangs. Seine Antwort: Schaut man die Datenlage an, zeigt sich: Ja. So gebe es zum Beispiel eine rückläufige Quote experimenteller Doktor-Arbeiten. Der Tenor verschiedener Umfragen ist, dass das Interesse an einer wissenschaftlichen Karriere über die Dauer des Studiums kontinuierlich abnimmt. Und es gibt tatsächlich auch einen Rückgang an Anträgen bei der DFG. Dr. Braun: "Das nimmt nicht nur die Fachwelt wahr, die Fachpresse urteilt: Forschung sei ein steiniger Weg, es komme zu einem Ärztemangel in der Forschung. Also stellt das auch in der öffentlichen Wahrnehmung ein Problem dar."
Der Nachwuchs, um den es hier geht, das sind zum einen die Studierenden. Es sind aber natürlich auch die jungen Kollegen, die sich noch in Weiterbildung befinden. Über beide Gruppen liegen Studien zum Thema vor. Eine der größten Umfragen unter 9.000 Studierenden stammt aus 2016: Dort geht es um eine ganze Reihe an Wünschen für einen erfolgreichen Arbeitsalltag. Doch die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Tätigkeit steht an letzter Stelle.
Eine Studie vom Institut für Gesundheits- und Sozialforschung fragt: Warum überhaupt wissenschaftlich arbeiten? Sie wendete sich an Promovenden. Von ihnen gaben gerade mal 58 Prozent an, Interesse an wissenschaftlicher Arbeit zu haben. Dr. Braun dazu: "Das tut mir leid für die anderen 40 Prozent, dass sie aus irgend einer sekundären Motivation heraus promovieren." Höher steht bei vielen die Wertschätzung der Gesellschaft und noch höher der Wunsch, beim Patienten besser anerkannt zu sein. 71 Prozent sagen, sie erhoffen sich von der Promotion bessere berufliche Möglichkeiten. Dennoch streben von diesen Befragten insgesamt 30 Prozent eine wissenschaftliche Karriere an. Der Referent meint: "Das scheint mir dann doch hoch. Mit dieser Zahl könnten wir sehr zufrieden sein!"
Weiterhin wurden die Studierenden gefragt, was sie sich von ihrem Studium erwarten? Und immerhin wollen tatsächlich knapp 75 Prozent die Fähigkeit erwerben, wissenschaftliche Ergebnisse interpretieren zu können. Etwas weniger von ihnen wollen auch eigene Fragestellungen bearbeiten und dieses dann in eigenständiger Forschung anwenden, das wollen dann wieder die gleichen 30 Prozent.
Es werden verschiedene Gründe angeführt, warum Studierende und Promovenden sich unwohl fühlen. Das ist zum einen die ungenügende Betreuung, die mangelnde Vorbereitung auf die Forschung im Studium. "Die Studierenden und die jungen Kollegen haben aber auch Angst vor einer drohenden Doppelbelastung", erklärt Dr. Braun. "Also, ob gewährleistet ist, dass sie forschen und gleichzeitig klinisch tätig sein können." Sie fragen sich auch: Kann ich das mit meinen Vorstellungen vom Familien- und Freizeitleben vereinbaren?
"Wir, mein Kollege Dr. Fritz und ich, haben selbst eine Umfrage dazu gemacht", berichtet Dr. Braun. Das Ergebnis: 85 Prozent sagen, dass sie unter korrekten Rahmenbedingungen bereit wären, über ihre Arbeitszeit hinaus bis zu 25 Stunden pro Woche für Forschung aufzuwenden. Das zeige doch, welche Bereitschaft beim Nachwuchs zur wissenschaftliche Arbeit da ist, wenn die Bedingungen stimmen.
Ein Fazit: Der Anspruch muss es unbedingt sein, eine Befähigung zur Interpretation zu vermitteln. Dieser Wunsch besteht bei der überwältigenden Mehrheit. Eine bessere Betreuung ist unabdingbar, es braucht in der klinischen Ausbildung eine Gleichwertigkeit zu den Kollegen, die nicht forschend tätig sind. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss beachtet sein - und auch außeruniversitär muss die Möglichkeit geschaffen werden, sich an Forschungsprojekten zu beteiligen.
Einiges davon ist auch schon geschehen, räumt Dr. Braun ein. Die Befähigung zum Interpretieren ist in manchen Curricula gut vertreten, die Werkzeuge zur Literatursuche werden häufiger und besser genutzt. Jeder kenne auch zahlreiche Mentoring-Programme. Die gleichzeitige klinische Ausbildung zu gewährleisten, sei allerdings eine ganz normale Aufgabe der Abteilungsleiter.
Für die jungen Ärzte ist es ein Problem, dass das Gros der Forschung als Freizeitforschung geleistet werden muss. Es gebe Kollegen, die sagen, darunter leide die klinische Weiterbildung. Die allermeisten Kollegen beklagen, schlecht darüber informiert zu sein, wie sich Forschung unter Einhaltung der Regelweiterbildungszeit mit der klinischen Ausbildung verbinden lässt. Es sei nicht ganz klar, wie das funktionieren soll. Ein Fazit ist hier, so Dr. Braun, dass die Problematik hauptsächlich in den Köpfen besteht. Das muss man klären, um eine Entlastung zu schaffen, und sei es nur durch gedankliche Freiräume für die Forschung.
Damit verbunden ist auch eine zeitliche Entlastung, damit nicht alles während der Arbeitszeit gemacht werden muss. Dr. Braun nennt ein beeindruckendes Beispiel: "Prof. Axel Haverich hat hier auf dem Kongress berichtet, dass er den OP-freien Mittwoch eingeführt hat, um seinen Mitarbeitern zu ermöglichen, abseits aller ökonomischer Bestrebungen des Krankenhauses, einen Tag in Vollzeit für Forschung, für Literaturstudium aufzuwenden. Eine bemerkenswerte Einrichtung. Vielleicht steigt dadurch nicht nur die Zufriedenheit der Mitarbeiter, sondern auch die Qualität der Promivierenden und der Promotionen."
Als Fazit stellt er fest: "Der wichtigste Antrieb zur Forschung ist immer noch die intellektuelle Neugier und das persönliche Streben nach Erkenntnisgewinn." Die Frage der Rahmenbedingungen käme erst danach.
Quelle:
135. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, 19.4.2018, Dr. Benedikt Braun, Session "Exzellenzförderung – ein Garant für die Zukunft der Chirurgie".