Bei Typ-1-Diabetes handelt es sich um eine Immunkrankheit, bei der es zu einer Zerstörung der Insulin produzierenden Inselzellen des Pankreas durch das körpereigene Immunsystem kommt. Der resultierende Mangel an Insulin, dem zentralen Regulator des Glukosestoffwechsels im menschlichen Körper, hat schwerwiegende Auswirkungen auf die gesamte Stoffwechsellage. Das Hormon vermittelt unter anderem die Aufnahme von Glukose in die Muskulatur, welche den mengenmäßig größten Speicher für den Energieträger darstellt und senkt so den Glukosespiegel im Blut.
Muskelschwund bei Diabetikern stellt laut Forschern der McMaster University in Kanada, die kürzlich zwei Studien zu diesem Thema in den Fachjournalen Diabetes und Scientific Reports veröffentlicht haben, ein zu wenig beachtetes Problem dar. Derzeit konzentriert sich die Behandlung von Typ-1-Diabetikern neben diätetischen Maßnahmen vor allem auf eine Substitution des fehlenden Insulins. Dabei ließe sich die Stoffwechsellage dieser Menschen, so argumentieren die Wissenschaftler, durch den Erhalt und den Aufbau von Muskulatur – zusätzlich zur Gabe von Insulin – wesentlich verbessern.
Schon früh im Verlauf der Erkrankung komme es zu einem Verlust muskulärer Stammzellen und in der Folge zu einer Abnahme des Muskelgewebes. Dies hat bedeutende Folgen für den Glukosestoffwechsel. Denn bei den Betroffenen kommt es nicht nur zu einem Mangel an Insulin, sondern auch zu einem Untergang des Speichergewebes und somit zu einer verminderten Aufnahmekapazität für Glukose durch die Zielgewebe des Insulins. Langfristig erhöhte Glukosespiegel sind die Folge. Diese stellen einen bedeutenden Risikofaktor für eine ganze Reihe von Folgeerkrankungen wie zum Beispiel der Nieren oder des Gefäßsystems dar.
Das kanadische Forscherteam konnte sowohl in Tierversuchen als auch an Untersuchungen am Menschen zeigen, dass Maßnahmen, die den Untergang von Muskelgewebe verhindern, die Insulinwirkung verbessern und so dazu beitragen können, die Konzentration von Glukose im Blut langfristig zu senken.
In ihren Untersuchungen setzten die Wissenschaftler unter anderem Wirkstoffe ein, die ein muskeleigenes Hormon namens Myostatin hemmen, welches seinerseits das Muskelwachstum unterdrückt. Derzeit arbeiteten laut Studienautoren verschieden Pharmaunternehmen daran, besser verträgliche Alternativen zu bereits bestehenden Mitteln zu entwickeln. Während Sport wohl die naheliegendste Art darstellt, Muskulatur zu erhalten oder aufzubauen, käme eine derartige pharmakologische Behandlung beispielsweise für solche Patienten in Frage, die sich aus verschiedenen Gründen nicht ausreichend körperlich betätigen können, um die Muskulatur auf natürlichem Wege zu stärken.
Die Autoren dieser Untersuchungen rufen dazu auf, die Rolle der Muskulatur bei der Regulation des Glukosestoffwechsels nicht weiter zu vernachlässigen und bei der Behandlung von Typ-1-Diabetes stärker als bisher auf mehrdimensionale Behandlungsstrategien zu setzen.