Der alleinige histopathologische Blick auf die Zellen wird bei der Klassifizierung von malignen Melanomen in Zukunft nicht mehr ausreichen. Molekulare Parameter werden zur Prognoseeinschätzung und Therapieplanung zunehmend an Bedeutung gewinnen – hier ist vor allem die Rechenkraft leistungsstarker Computer gefragt.
Die komplette DNA-Sequenzierung ist dank moderner Computertechnologie heute zum Kinderspiel geworden. Für die Sequenzierung des kompletten humanen Genoms wurden Ende der 1990er Jahre noch 100.000.000 $ ausgegeben – heute bekommt man die gleiche Leistung für 1000 $, sagte Prof. Dr. Thomas Tüting von der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie in Magdeburg. Auch komplette Genome von Karzinomen können heute bereits sequenziert werden. Davon profitiert auch die Melanom Forschung und hier vor allem die Suche nach Treibermutationen. Hinzu kommen bedeutende Fortschritte in multiplexer Immunhistologie und Modellierung mit Algorithmenbildung. In Zukunft wird dadurch die Melanomzelle nicht nur genau genetisch charakterisierbar sein – auch verschiedene Differenzierungszustände und phänotypische Plastizität lassen sich unterscheiden. Dies ist bei Melanomen aufgrund der hohen Mutationslast und Heterogenität von besonderer Bedeutung, sagte Prof Tüting. Auch Einblicke, wie gesunde, umliegende Zellen auf Krebszellen Einfluss nehmen, ihre Architektur bestimmen und damit Funktion und Anfälligkeit für Tumorbildung steuern, können zum besseren Verständnis der Krebsentstehung beitragen.
Die individuelle Tumorentwicklung und Immunerkennung werden in Zukunft auch eine wichtige Rolle bei der Abschätzung der Prognose spielen. Auch Einblicke in die Anpassungsstrategien des Tumors an die jeweiligen Therapien können für Therapieentscheidungen in der Praxis von hoher Bedeutung sein, so der Experte. Letztendlich wird die molekulare Diagnostik dazu beitragen, dass jeder einzelne Melanom-Patient in Zukunft hoch-individuell behandelt wird.
Die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren hat die Überlebenschancen von Patienten mit fortgeschrittenem malignem Melanom deutlich verbessert und tiefe Einblicke in die Abwehrmechanismen der Tumorzellenzellen ermöglicht. Die mit dieser Therapie verbundenen Immunzell-vermittelt Nebenwirkungen werden bei zunehmender Zahl von behandelten Patienten aber eine Herausforderung darstellen, so die Einschätzung des Dermatologen. Dazu gehören Hypophysitis (anti-CTLA-4), Hautveränderungen wie Rush, Pruritus, Vitiligo (anti-CTLA-4, anti-PD1), Thyreoiditis (anti-CTLA-4, anti-PD1), Colitis (anti-CTLA-4, anti-PD1), Hepatitis (anti-CTLA-4, anti-PD1), Pneumonitis (anti-PD1), Neuropathien (anti-CTLA-4) und Augenentzündungen (anti-CTLA-4). Möglicherweise kann die molekulare Diagnostik in Zukunft auch dazu beitragen, das Risiko für die unterschiedlichen Nebenwirkungen beim einzelnen Patienten besser abzuschätzen.
Was "künstliche Intelligenz" in Bezug auf die Melanomdiagnostik leisten kann, zeigt eine Smartphone-App, mit der bösartige von gutartigen Hautveränderungen unterschieden werden können. Dabei wird das gleiche Prinzip von tiefen neuronalen Netzwerken wie bei der Gesichtserkennung von Google eingesetzt. Bilder von 130.000 Hautläsionen wurden dazu eingespeist, die das System über Entscheidungsbäume dann mit dem aktuellen Hautbefund vergleicht. In einer Studie konnte die App genauso gut zwischen Melanomen, Plattenzellkarzinomen, Basalzellkarzinomen, Naevi und seborrhoischen Keratosen unterscheiden wie Fachärzte für Dermatologie mit ihrem klinischen Blick. (1) Der Nävus-Check mit dem Smartphone ist also keine reine Zukunftsmusik mehr, sagte der Dermatologe.
Referenzen: 1. Andre Esteva et al; Dermatologist-level classification of skin cancer with deep neural networks; Nature (2017); 542:115–118; doi:10.1038/nature21056
Quelle: 49. DDG-Tagung, Plenarvortrag "Neues aus der Melanomforschung für die Praxis in 20 min", 28. 4. 2017, Berlin