Mit Fitness-Bändern und Computer-Uhren sammeln immer mehr Menschen Informationen über ihre Gesundheit. In der Versicherungsindustrie gibt es Gedankenspiele, darauf Geschäftsmodelle aufzubauen.
Das klingt doch eigentlich ganz fair: Wer gesünder lebt, bekommt Vorteile, wenn es um Kranken- oder Lebensversicherung geht. Doch wie misst man als Versicherung das gesunde Leben? Analoge Methoden wie Stempelhefte sind von Gestern. Heute können immer mehr Sensoren präzise Daten über einen Kunden liefern. Die Industrie wittert einen Umbruch der Geschäftsmodelle. So will Generali in der Lebens- und Krankenversicherung künftig auch auf Fitnessdaten zurückgreifen. Verbraucherschützern sind die neuen Möglichkeiten nicht geheuer.
So könnte die Zukunft aussehen: Angenommen, Sie sind heute Joggen oder Radfahren gegangen, Puls, Blutdruck und Blutzuckerwerte sind top, und statt einer Party ging es früh ins Bett. Die Software beim Versicherer sieht das als gute Ausgangsposition, um lange gesund zu bleiben. Also gibt es einen Abschlag beim Versicherungstarif – oder vielleicht Prämien auf einem Punktekonto. Wer stattdessen faul auf der Couch lag, kommt schlechter weg. Das Modell ist nicht einmal mehr neu: Bei der Autoversicherung finden bereits allmählich Geräte in den Alltag, die den Versicherungstarif an die Fahrweise anpassen sollen.
Geräte, aus denen sich Gesundheits-Informationen schöpfen lassen, gibt es immer mehr. Nach Schätzung von Marktforschern werden pro Jahr rund 70 Millionen verschiedener «Fitness-Tracker» verkauft. Die Armbänder, die Schritte des Nutzers zählen, machten vor ein paar Jahren den Anfang und waren mit rund 30 Millionen Geräten im vergangenen Jahr die meistverkaufte Kategorie, wie die Analysefirma Gartner errechnete.
Neue Armband-Modelle von Branchen-Pionieren wie Fitbit oder Jawbone nehmen auch rund um die Uhr den Herzschlag auf. Vor allem aber sind aktuell die Computer-Uhren im Aufwind, die noch mehr Gesundheits-Informationen aufnehmen können. So baute Apple zum Start seiner für Anfang nächsten Jahres angekündigten Uhr bereits die Plattform HealthKit mit Silos für alle möglichen Daten von Blutzuckerwerten über Cholesterin bis hin zur Sauerstoffsättigung. Apple betont, dass die Informationen dort sicher verwahrt werden – ein Kunde kann aber immer entscheiden, einem Anbieter den Zugang zu eröffnen.
Google arbeitet an der eigenen Plattform Google Fit und die Gründer des Internet-Konzerns, Larry Page und Sergey Brin, schwärmen schon lange davon, wie sehr die – anonyme – Auswertung von Gesundheitsdaten den Kampf gegen Krankheiten und Tod voranbringen könnte. Doch gerade bei solchen hochsensiblen Informationen ist auch die Sorge um Datenschutz besonders groß.
«Bei so detaillierten Apps, die genau Aufschluss geben über körperliche Aktivitäten, Ernährung oder Ähnliches sehen wir ein erhebliches Überwachungspotenzial», mahnt Ilona Köster-Steinebach vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Die Gefahr: Menschen, die etwa auf niedrige Beiträge angewiesen sind, könnten sich dem beugen, um überhaupt noch an günstige Krankenversicherungen heranzukommen. «Da geht es im Endeffekt um Daseinsvorsorge. Und Daseinsvorsorge sollte nicht an die Bedingung geknüpft sein, Daten über sich preiszugeben, die man nicht preisgeben möchte.»
Dass das Thema heikel ist, hat auch die Allianz erkannt. Man wolle Daten über Smartphones, Apps, Daten-Brillen und -Uhren nicht dazu nutzen, die Höhe der Versicherungsprämien zu steuern oder um Gesundheits- oder Risikoprofile zu erstellen, sagt die Chefin der Allianz Privaten Krankenversicherung, Birgit König. «Diese Daten sind hochsensibel und schutzwürdig.»
Doch wenn solche Informationen ersteinmal in großen Mengen vorliegen, wie lange wird man sich als Versicherungskunde und Arbeitnehmer dagegen sperren können, sie auch arbeiten zu lassen? Denn auch wenn die Teilnahme an solchen Programmen ausdrücklich freiwillig sein dürfte – Experten rechnen mit sozialem und beruflichem Druck. Diverse Unternehmen wie der Ölkonzern BP setzen bereits auf Programme, die Mitarbeiter für mehr Bewegung belohnen. Gartner-Analystin Angela McIntyre erwartet, dass in vier Jahren jeder Vierte Fitness-Tracker von Arbeitgebern, Versicherungen oder Sport-Studios verteilt werden wird. Nach Schätzungen von US-Experten sind bereits 50 Millionen Amerikaner von Fitness-Programmen ihrer Arbeitgeber betroffen.
Der technische Fortschritt macht es möglich: «Digitale Informationen können zu sehr geringen Kosten verifiziert werden», betonte der amerikanische Forscher Scott Peppet in einem wissenschaftlichen Papier und sagte schon im Jahr 2011 eine rasante Verbreitung von Geschäftsmodellen mit Gesundheits-Sensoren vorher. Er stellte sich dort eine Zukunft mit «digitalen Dossiers» vor, in die ausführliche private Informationen etwa zu Gesundheit oder Arbeitsleben einfließen könnten. Schon die Ablehnung, Einblick in diese Daten «der Bank, der Kreditkartenfirma, der Versicherung oder einem potenziellen Arbeitgeber zu verweigern, könnte den Eindruck entstehen lassen, dass man etwas zu verbergen habe», warnte Peppet.
Text und Foto: dpa / vt