Die Fußballweltmeisterschaft löst bei Spielern wie Fans starke Emotionen aus. Nach einer Niederlage bläst den Sportlern der Frust häufig ungefiltert um die Ohren. Dafür sollte auch das WM-Team gewappnet sein.
Das frühe Aus der Deutschen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Russland nehmen viele Fans persönlich. Harsche Kritik hagelt vor allem in sozialen Medien auf die Sportler ein. "Gegen Südkorea verloren, wie peinlich! Verkriecht euch ihr Versager!", twittert ein Fan nach der 0:2-Niederlage am Mittwoch.
Insbesondere Nationalspieler Mesut Özil steht häufig im Zentrum der Anfeindungen. Seit ein Foto von ihm und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan publik wurde, will die Kritik nicht mehr abreißen. Nach dem WM-Aus spielen viele in Kommentaren in sozialen Netzwerken darauf an.
"Mit sachlicher Kritik müssten Fußballer umgehen können", sagt Oliver Stoll, Sportpsychologe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Harsche, persönliche Beschimpfungen sollten sie hingegen nicht an sich heranlassen. "Ich mache mir keine Gedanken, dass das nachhaltigen Schaden hinterlässt", sagt Stoll. Was in sozialen Medien stehe, entspreche ja häufig nicht der Realität, weil es Trolle gebe, und Menschen, die nur beleidigen wollten.
"Die Schwelle ist immer dann überschritten, wenn die Kommentare persönlich beleidigen, wenn sie falsch sind, diskriminierend oder menschenverachtend", sagt Stoll. Die Fußballer seien Verlieren durchaus gewohnt. Das Ausscheiden aus der WM sei aber ein besonderes Ereignis mit großer Medienaufmerksamkeit.
Sportpsychologin Jeannine Ohlert von der Deutschen Sporthochschule Köln hält Kommentare gegen die eigene Person für sehr belastend. "Weil wir als Mensch immer darauf schauen, was andere über uns denken." Niemand möchte ein schlechtes Bild abgeben. Das Problem: "Die Leute halten sich gar nicht mehr zurück."
Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians Universität München, sieht dies ähnlich: "In 90 Minuten müssen diese Sportler maximale Leistung bringen, Millionen schauen zu und entscheiden über den Wert des Menschen." Dies erzeuge einen riesigen Druck, einen "maximalen Stress", das ganze Lebensgefühl hänge davon ab. Bei den Kommentaren danach gehe es häufig jedoch nicht mehr um eine Bewertung des Sports, sondern darum, eigenen Frust herauszulassen.
Sollten Özil und Co. also lieber nicht ihre Profilseiten im Internet checken? "Das ist schwer zu sagen. Wenn sie nicht darum herumkommen, sollten sie es nicht zu sehr an sich heran lassen", rät Stoll. Nach Meinung von Ohlert ist dies Typsache. Für die Mannschaft sei es wichtig, das gemeinsam abzuarbeiten, aus dem Misserfolg zu lernen. "Sie sollten auf jeden Fall miteinander sprechen und nicht jeder für sich allein nach Hause gehen."
Neben einer Vorbereitung durch Therapeuten und Coaches auf solche Situationen können auch erfahrene Spieler eine Hilfe sein, sagt Falkai. Sie kennen solche Reaktionen und Gefühle.
Die Schriftstellerin Carolin Emcke schrieb am Donnerstag auf Twitter zu dem verbreiteten Hass gegen Özil: "Man wünscht sich, dass das DFB-Team in Deutschland aus dem Flugzeug steigt und alle Özil Trikots tragen." Das taten die Spieler nicht. Auch gab es im Netz den Aufruf, Nutzer sollten ihr persönliches Profilbild aus Solidarität mit dem Konterfei des Nationalspielers versehen.
"Wir wissen, dass soziale Unterstützung Stress abpuffert, das ist gut nachgewiesen", erläutert Sportpsychologe Stoll. Wichtig sei vor allem auch ein soziales Netz aus Familie und Freunden, die am nächsten an die Athleten herankämen.
Özil sei schon seit der Erdogan-Aktion ein Sündenbock, sagt Ohlert. Der Spieler mit türkischen Wurzeln und dem Geburtsort Gelsenkirchen hat sich zu dem Treffen selbst nicht öffentlich geäußert. "Vielleicht wäre bei Özil der andere Weg angebracht, nämlich sich in der Öffentlichkeit zu erklären, das könnte die Sache beruhigen. Wenn er sich zurückzieht, könnte man denken, er sei beleidigt."
Die Spieler sollten sich jetzt erstmal ein bis zwei Wochen "komplett rausklinken", rät Stoll. "Das ist eine normale Reaktion, die durchaus auch so geplant ist und gebraucht wird."
Falkai empfiehlt, sich etwas Gutes zu gönnen. Wenn die Gesamtverfassung des Gehirns in einer depressiven Stimmungslage sei, sollte man sich keinem Shitstorm aussetzen. "Man muss sich wappnen, diese massive Kritik zu überstehen."
Die sportliche Identität sei für die Fußballer sehr wichtig, aber nicht das komplette Leben, sagt Ohlert. "Der kolumbianische Spieler Falcao sagte vor dem letzten Gruppenspiel: Probleme hat man dann, wenn man morgens nicht weiß, wie man an dem Tag seine Familie ernähren soll."
Versöhnliche Töne finden sich auch im Internet. So schreibt ein Twitternutzer: "Ich bin traurig. Aber ich bleibe auch morgen ein Fan des DFB-Teams!"