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„Manchmal verzweifelt man an der Menschheit“

Dr. Karl Eiter arbeitet seit Jahrzehnten für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Mit esanum sprach der 60-Jährige über seine Erfahrungen als Arzt bei Nothilfeeinsätzen, Impfstoffe auf Eselrüc

Dr. Karl Eiter arbeitet seit Jahrzehnten für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Mit esanum sprach der 60-Jährige über seine Erfahrungen als Arzt bei Nothilfeeinsätzen, Impfstoffe auf Eselrücken sowie den Umgang mit menschlichem Leid. 

Kriegsgebiete, Regionen mit schweren Epidemien oder von Naturkatastrophen betroffene Länder – die Organisation Ärzte ohne Grenzen ist immer dort im Einsatz, wo ärztliche Nothilfe am dringendsten benötigt wird. Aktuell kämpft die Hilfsorganisation mit ihren Mitarbeitern in Guinea gegen das lebensbedrohliche Ebola-Virus. Der Ilmenauer Allgemeinmediziner Dr. Karl Eiter ist regelmäßig für Ärzte ohne Grenzen im Ausland im Einsatz. Er hat die Folgen von Bürgerkriegen und Epidemien erlebt, aber bei seinen Einsätzen auch viel menschliche Wärme erfahren.

esanum: Sie kamen im März aus der von bürgerkriegsähnlichen Kämpfen geplagten Zentralafrikanischen Republik zurück, wo sie vor allem mit Verletzungen durch Schusswaffen und Macheten zu tun hatten. Wie erträgt man als Arzt so viel Grausamkeit?

Dr. Eiter: Man kann sich nicht das Schicksal jedes Patienten zu Eigen machen. Viele der Patienten waren junge Männer, die selbst aktiv an den Kämpfen teilgenommen hatten. Das ist die eine Seite. Wenn allerdings Kinder und ältere Menschen mit ihren entsetzlichen Verletzungen zu uns kamen, die gar nicht an den Kämpfen beteiligt waren, dann steht man kurz davor, an der Menschheit zu verzweifeln. Ähnliche Verletzungsmuster habe ich übrigens schon 1994 im Grenzgebiet von Ruanda und Tansania erlebt.

esanum: Welche positiven Erfahrungen haben Sie als Arzt in Kriseneinsätzen gemacht?

Dr. Eiter: Da gibt es viele: etwa den Zugewinn an Wissen und die Erweiterung des eigenen Horizonts. Ich durfte hoch engagierte Mitarbeiter kennenlernen und hatte zwischenmenschliche Begegnungen aller Art mit der Bevölkerung. Und nicht zuletzt waren da der enorme Spaß an der Aufgabe, die Suche nach neuen Herausforderungen sowie die tiefgehende Befriedigung am Ende des Tages durch das, was man geschafft hat.

esanum: Sie waren immer wieder in Regionen tätig, in denen Epidemien wie Masern oder Cholera ausgebrochen sind. Welche Maßnahmen stehen Ihnen zur Verfügung, um eine Epidemie zu bekämpfen?

Dr. Eiter: Masern und Cholera sind Erkrankungen, um deren Eindämmung sich gerade Ärzte ohne Grenzen fortlaufend bemüht. Bei Masern steht die Prophylaxe – sprich Impfung – eindeutig im Vordergrund. Die Organisation hat umfangreiche Strategien, Ressourcen und hinreichende Erfahrung in der Durchführung von Impfkampagnen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Aufrechterhaltung der Kühlkette. In der Darfur-Region im Sudan war ich selbst an sehr entlegenen Orten, wo die Kühlbox mit dem Impfstoff auf Eselrücken transportiert werden musste.

Auch bei Cholera steht die Prophylaxe im Vordergrund: Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist hier Grundvoraussetzung. Ich hatte Gelegenheit, eine Cholera-Einheit in Liberia mitbetreuen zu dürfen. Wenn genügend Infusionen zur Verfügung stehen, dann ist dies eine Erkrankung, die nicht zwangsläufig tödlich verlaufen muss. Im Gegenteil: Es ist erstaunlich, wie schnell sich die Patienten nach Masseninfusionen erholen.

esanum: Vor welchen Krankheiten haben Sie den meisten Respekt? Wie beeinflussen Epidemien das Leben der Bevölkerung?

Dr. Eiter: Bislang hatte ich keinen Kontakt zu Ebola-Kranken. Hier hätte ich in der Tat Respekt. Erkrankungen durch das Lassa-Virus habe ich in Liberia gesehen. Diese Krankheiten können potenziell für einen persönlich gefährlich werden. Für die Bevölkerung bestehen die größten Gefahren aber oft bei den „einfachen“ Durchfallerkrankungen, den Pneumonien, der Mangelernährung und sicherlich auch bei HIV-assoziierten Erkrankungen.

esanum: Wenn Sie sich in einem Nothilfeeinsatz befinden: Wie sieht Ihr eigener Lebensalltag aus?

Dr. Eiter: Das lässt sich am besten an einem Beispiel erklären. In Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, wo ich zuletzt gewesen bin, stand um circa 7 Uhr die Fahrt ins Krankenhaus an, nachdem die Sicherheitslage gecheckt wurde. Dort arbeiteten wir bis etwa 19 Uhr – manchmal auch bis 21 Uhr. Anschließend herrschte Ausgangssperre, also fuhren wir zurück zum Gelände von Ärzte ohne Grenzen. Duschen, etwas essen, eine Gesprächsrunde zur Sicherheitslage, dann ins Bett in der Hoffnung, nicht durch nahegelegene Schusswechsel aufgeschreckt zu werden. Bei anderen Projekten waren vielleicht die Sicherheitsrisiken geringer, dafür gab es mitunter eine höhere Arbeitsbelastung. In Masisi in der Demokratischen Republik Kongo hatten wir einmal an einem Sonntag innerhalb von 24 Stunden acht Kaiserschnitte. Da wird man allmählich müde.

esanum: In Krisenregionen sind die staatlichen medizinischen Strukturen häufig nicht mehr intakt. Auf welche lokalen Helfer können Sie während eines Einsatzes setzen?

Dr. Eiter: Es ist immer wieder erstaunlich, auf was für unterschiedliche Charaktere man trifft. Menschen, die in Krisenländern bereit sind, für ausländische Hilfsorganisationen zu arbeiten und dadurch Risiken auf sich nehmen, sind in der Regel gebildet, beherrschen eine Fremdsprache und kennen den Kontext. Derartige Menschen sind unverzichtbar für eine effektive Tätigkeit vor Ort. Selbstverständlich muss man darauf achten, dass diese Mitarbeiter, die ja Familien und Beziehungen vor Ort haben, nicht von der Hilfsorganisation, vollständig absorbiert werden.

esanum: Als medizinischer Helfer in einer Krisenregion ist man nicht vor Entführungen, Gewalt oder Bedrohungen gefeit. Wie kann man sich in Ländern wie der Zentralafrikanischen Republik, Somalia oder Liberia schützen?

Dr. Eiter: Eine absolute Sicherheit gibt es nicht. Ärzte ohne Grenzen ist aber in hohem Maße für die Sicherheitsrisiken vor Ort sensibilisiert. Viele Abläufe sind standardisiert. Kommunikation ist ein Muss. Es gibt für jedes Projekt umfangreiche Sicherheitsbestimmungen und ein ständiges Monitoring der Situation. Beispielsweise muss einem klar sein, dass eine geplante Fahrt von A nach B in bestimmten Situationen wegen Sicherheitsbedenken binnen weniger Minuten storniert werden kann. Und das ist gut so. Es kann bei Projekten auch vorkommen, dass man eine Woche lang irgendwo Stand-by ist und aus Sicherheitsgründen nicht eingesetzt werden kann.

esanum: Wie können Sie Ihr Engagement für Ärzte ohne Grenzen mit Ihrer Arzttätigkeit in Ilmenau verbinden?

Dr. Eiter: Ich bin den Ilm-Kreis-Kliniken Arnstadt-Ilmenau dankbar dafür, dass man mich immer wieder kurzfristig auch für länger dauernde Einsätze von meiner Tätigkeit in der Notfallaufnahme und als Notarzt freistellt. Ohne die Unterstützung der Krankenhausdirektion wäre dies nicht machbar.

esanum: Woher kommt Ihre Motivation immer weiterzumachen?

Dr. Eiter: Ich werde bald 61 Jahre alt. Das Gefühl, Menschen in Notsituationen geholfen zu haben, ist eine Belohnung. Daraus schöpfe ich Kraft für meine hiesige Arbeit in einem medizinischen System, das leider häufig rein wirtschaftlichen Überlegungen folgt.

Update 05. Juni: Der Ebola-Ausbruch in Westafrika ist immer noch nicht unter Kontrolle. //www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/infektionskrankheiten/default.aspx?sid=862503&cm_mmc=Newsletter-_-Telegramm-C-_-20140605-_-Infektionen

Ärzte ohne Grenzen ist eine private humanitäre Hilfsorganisation. Ziel ist es, Leben zu retten und Leid zu lindern, wenn die lokalen Gesundheitsstrukturen durch Naturkatastrophen oder durch Menschen verursachte Krisen nicht mehr greifen. Die Organisation wurde 1971 von französischen Medizinern gegründet. Heute ist sie mit etwa 2.500 internationalen und 30.000 lokalen Mitarbeitern in mehr als 60 Ländern der Welt aktiv.

Ärzte ohne Grenzen ist immer auf der Suche nach qualifiziertem medizinischem Personal. Wenn Sie sich für eine Mitarbeit interessieren, finden Sie Informationen unter //www.aerzte-ohne-grenzen.de/stellenangebote-international