Mit dem Thema Mangelernährung assoziiert selbst mancher Arzt vor allem Hunger in Entwicklungsländern oder Untergewicht im Sinne eines unterdurchschnittlichen BMI (Body-Mass-Index). Malnutrition aber umfasst ein deutlich breiteres und medizinisch leider häufig vernachlässigtes Gebiet mit vielerlei Ausprägungen. Vor allem bedeutet Malnutrition, dass neben einem quantitativen Mangel an ausreichend Kalorien und Nährstoffen auch ein rein qualitativer Mangel Mineralstoffen und Spurenelementen vorherrschen kann. Die Folge: Auch Übergewichtige können betroffen sein. Insbesondere Adipositas geht häufig mit einer ungesunden Ernährung einher.
Definitionsmäßig handelt es sich bei Malnutrition um eine für die geistige und körperliche Gesundheit und Entwicklung inadäquate Ernährung. Diese kann bedingt sein durch einen vermehrten Verlust von Nährstoffen, Mineralien und Vitaminen – beispielsweise durch Diarrhöe, Malabsorption, Proteinverlust bei Nierenerkrankungen – einen erhöhten Bedarf hervorgerufen durch konsumierende Krankheiten wie Krebs oder eine mangelnde Zufuhr von Nahrungsmitteln und fördernden Bestandteilen infolge von Essstörungen, Sucht oder Demenz. Gerade bei älteren Menschen kommen häufig mehrere Faktoren zusammen: Appetitmangel durch Depressionen oder latente Schmerzen, Dysphagie, Kaustörungen aufgrund von schlechtsitzendem Zahnersatz, lückenhafter Versorgung durch soziale Isolation beziehungsweise mangelnder Mobilität. Und auch Neben- und Wechselwirkungen von diversen Medikamenten können ein geändertes Hungergefühl, aber auch Malabsorption oder Maldigestion zur Folge haben. Digoxin, Metformin und diverse Antibiotika sind hier nur einige Beispiele.
In den westlichen Ländern spielen bei der Mangelernährung häufig akute oder chronische Erkrankungen eine ursächliche Rolle. Hier sind vor allem solche zu nennen, die primär den Dünndarm betreffen wie Morbus Whipple, Sprue oder der Zustand nach Dünndarm(teil)resektion. Entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn können ebenso zu Malnutrition führen wie eine chronische Pankreatitis, fortgeschrittene Leberzirrhose sowie Tumorleiden aller Art. Auch endokrinologische Störungen wie Diabetes oder Thyreotoxikose beziehungsweise infektiologische Krankheiten wie Tuberkulose oder HIV und AIDS beeinträchtigen die ausreichende Nährstoffversorgung.
Neben genetische bedingten Stoffwechselerkrankungen wie Mukoviszidose sind auch neurologische Leiden wie Parkinson und pulmologische Erkrankungen gelegentlich der Grund für eine Mangelernährung. Letztere meist aufgrund von gesteigertem Umsatz durch erhöhte Atemarbeit vor allem bei obstruktiven Ventilationsstörungen oder Lungenemphysem. Ein nicht seltenes Krankheitsbild ist auch die renale Anämie infolge einer chronischen Niereninsuffizienz.
Ein ungewollter – und vom Patienten oft unbemerkter – Gewichtsverlust von 5-10 Prozent in drei beziehungsweise sechs Monaten kann ein erstes Symptom einer Mangelernährung sein. Oft äußert sich eine solche aber weit weniger offensichtlich: durch ständige Müdigkeit, Leistungsabfall, Stimmungsschwankungen, Konzentrationsschwäche, Blässe oder Appetitverlust. In der Anamnese sollte der Arzt konkret nach Ernährungsgewohnheiten fragen.
Auch manifeste Depressionen, Wundheilungsstörungen oder eine erhöhte Infektanfälligkeit können durch ein Ungleichgewicht im Nährstoff- und Energiehaushalt bedingt sein. Eine schleichende Gefahr ist hier auch die Zunahme der Sarkopenie, das heißt die Beschleunigung des altersbedingten Abbaus der Muskelmasse und der Muskelkraft durch Malnutrition. Dies kann zu diversen Funktionseinschränkungen führen, die auch ein deutlich erhöhtes Sturz- und Verletzungsrisiko bergen.
Bei der Diagnostik ist es essentiell, eine Mangelernährung überhaupt in Betracht zu ziehen – gerade, wenn die Symptome eher unspezifisch sind. Eine gute Anamnese sowie eine sorgfältige körperliche Untersuchung sind ausschlaggebend. Eine anamnestische Erfragung nach neuerdings locker sitzender Kleidung, Gürteln oder Schmuck kann hier im Zweifel einen Hinweis auf unbemerkten Gewichtsverlust geben, der durch die Ermittlung des Body-Mass-Indexes (kg/m²) zumindest grob quantitativ eingeschätzt werden kann: Unterhalb von 18,5 besteht ein leichtes, ab einem Wert von 16 ein starkes Untergewicht – beides zumindest malnutritionsverdächtig. Ab dem 65. Lebensjahr sollte man bereits ab einem Wert von 22 aufmerksam werden.
Eine Reihe von Screening-Instrumenten wie zum Beispiel MUST (Malnutrition Universal Screening Tool) oder SGA (Subjective Global Assessment) stehen zur weiteren Abklärung zur Verfügung. Vor allem aber kann eine Blutuntersuchung eine Anämie sowie diverse Vitamin- und Mineralstoffdefizite aufdecken.
Die Therapie richtet sich nach Schweregrad und Ätiologie der Malnutrition. Der Schwerpunkt muss in allen Fällen auf der kausalen oder symptomatischen Behandlung der Ursachen und/ oder der Verbesserung des Gesamtzustandes liegen – beispielsweise Erythropoietin-Gabe bei renaler Anämie infolge von Nierenschäden bzw. bei symptomatischer Anämie im Zuge einer aggressiven Chemotherapie bei bestimmten Krebsleiden.
In gravierenden Fällen gilt es zunächst Flüssigkeit und Elektrolyte – später auch Nährstoffe – passgenau zuzuführen. Je nach Situation kann der Aufbau parenteral-intravenös oder enteral über Magensonde bzw. PEG (perkutanen endoskopischen Gastrostomie) erfolgen. Idealerweise sollte möglichst bald die selbstständige orale Ernährung sowie die aktive Mitarbeit des Patienten an der Verbesserung seiner Lage angestrebt werden – dieses bei Bedarf auch durch Physiotherapie, praktische Alltagshilfen, psychosoziale Unterstützung etc. Gute Aufklärung, ein Ernährungsplan, regelmäßige Nachkontrollen und wenn notwendig Nahrungsergänzungsmittel runden das Programm ab.
Studien zeigen, dass Morbidität und Mortalität bei Vorliegen einer Mangelernährung oft deutlich erhöht sind. Auch wiederholte und verlängerte Klinikaufenthalte werden in dem Zusammenhang immer wieder beschrieben. Entscheidend im Sinne einer nachhaltig guten Prognose ist es, eine schleichende Malnutrition möglichst frühzeitig zu erkennen und ihr rechtzeitig entgegenzuwirken.