Karl Lauterbach ist einer der profiliertesten Gesundheitspolitiker in Deutschland. Der SPD-Mann ist Professor für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie und kann insofern gesundheitspolitische Fragestellungen auch unter medizinischen Gesichtspunkten betrachten. In seinem neuen Buch „Die Krebsindustrie – wie eine Krankheit Deutschland erobert“, das er heute im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin vorstellte, geht Lauterbach aber vor allem mit der Pharmaindustrie sowie der Zulassungspraxis bei Medikamenten ins Gericht. Neue Medikamente gegen Krebs seien viel zu teuer und brächten den Patienten so gut wie nichts – ermöglichten aber umso höhere Profite auf Seiten der Pharmaindustrie, so Lauterbachs Kernthese.
Lauterbach versucht gar nicht erst, seine Kritik an den Herstellern von Arzneimitteln diplomatisch zu formulieren. Bereits im Inhaltsverzeichnis tauchen folgende fünf „Vorwürfe“ auf. 1) Die Preise haben nichts mit dem tatsächlichen Nutzen der Medikamente zu tun. 2) Die hohen Medikamentenpreise resultieren nicht aus den Forschungskosten, sondern dienen allein den Profitinteressen der Unternehmen. 3) Die Pharmakonzerne missbrauchen ihre Marktmacht. 4) Die Pharmafirmen behindern die Forschung oft sogar. 5) Die hohen Preise für Medikamente sprengen das System und werden das Gesundheitssystem in absehbarer Zeit gefährden.
Inhaltlich bezweifelt Lauterbach vor allem, dass neue Medikamente den Zusatznutzen aufweisen, den die Industrie verspricht. „Es werden unrealistische Erwartungen geweckt“, erklärt der SPD-Politiker, während sich in der Realität meist weder eine Lebensverlängerung noch eine Verbesserung der Lebensqualität einstellten. Gerade hier würden viele Studien versagen. Es würde zwar untersucht, inwieweit sich ein Tumor bekämpfen lasse und möglicherweise sogar verschwinde. Ob damit tatsächlich das Leben eines Patienten verlängern würde, werde meist völlig vernachlässigt, genauso ob ein Tumor an anderer Stelle wieder auftrete.
Für Lauterbach steht fest, dass die Zulassungspraxis für Medikamente insgesamt unzureichend ist. „Studien sind ungenau und zu kurzfristig angelegt. Sie werden zusätzlich häufig an den falschen Patienten durchgeführt.“ Für die Pharmaindustrie sei es nicht interessant, in die Grundlagenforschung zu investieren. Nur 1,3 Prozent des Umsatzes der Hersteller würden dafür aufgewendet. Die Pharmakonzerne würden sich vielmehr auf Studien konzentrieren, die eine schnelle Zulassung eines Präparates befördern. Mit großem Marketingaufwand würden die Medikamente dann eingeführt – zu bis zu 40-mal höheren Kosten als ältere Medikamente, aber ohne einen entsprechenden Zusatznutzen aufzuweisen. Krebsmedikamente werden damit in Zukunft nach Ansicht Lauterbachs mit bis zu 45 Milliarden Euro jährlich das Gesundheitssystem belasten – pro Patient und Jahr mit bis zu 150.000 Euro.
Bei aller Kritik hat Lauterbach aber auch eine positive Botschaft. Die Kinder der Generation der Babyboomer seien wahrscheinlich die Ersten, die fast alle geheilt werden können. „Ein Krebsausbruch verhindern lässt sich auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Aber Krebs lässt sich heilen“, so Lauterbach. Außerdem würden die Kostenprobleme erst in rund 30 Jahren voll zu tragen können. Es sei also noch etwas Zeit.
Sowohl der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) als auch der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) widersprechen Lauterbachs Thesen und sehen sich vielmehr als treibende Kraft bei der Behandlung von Krebs.
Die Zielgruppe des Buches sei der „interessierte Laie“. Erscheinungsdatum ist der 28. August.