Doppelschichten, Stress, keine Pause: Wer in der Pflege arbeitet, weiß davon ein Lied zu singen. Der Berliner Senat will die Lage verbessern - und sieht dabei nicht zuletzt den Bund in der Pflicht.
Das Land Berlin startet eine Bundesratsinitiative für bessere Pflege. Ziel ist ein bundesweit verbindlicher Personalschlüssel für Pflegekräfte an Krankenhäusern, wie Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) am Dienstag erläuterte. Bisher gebe es gesetzliche Vorgaben über personelle Mindeststandards nur für sogenannte pflegeintensive Bereiche der Kliniken. Das reiche aber nicht aus, weil zum Beispiel auch auf Intensivstationen ausreichend Pflegepersonal benötigt werde. Daher müsse der Personalschlüssel umfassend in allen Krankenhausbereichen gelten.
Hintergrund ist der Mangel an Fachkräften. Das hat zur Folge, dass Pflegepersonal an Kliniken häufig überlastet ist, Doppelschichten schiebt oder Pausen weglässt - zum Nachteil der Patienten.
Kolat verdeutlichte das Problem anhand von Zahlen: In den vergangenen 15 Jahren sei die Zahl der Ärzte an Krankenhäusern um 25 Prozent gestiegen und die Zahl der Pflegekräfte um 30 Prozent zurückgegangen. Die Arbeitsintensität habe erheblich zugenommen. 1991 habe eine Pflegekraft im Krankenhaus pro Schicht noch 32 Patienten betreut, 2016 seien es im Schnitt fast 63 gewesen. Die Fluktuation sei hoch.
"Da ist irgendetwas schiefgelaufen", sagte Kolat. Denn das Pflegepersonal sei für die Patientenversorgung immens wichtig. "Es ist höchste Zeit zu handeln." Die Einführung von Personalschlüsseln werde dazu führen, dass die Krankenhäuser mehr Mitarbeiter einstellen müssen. Die dadurch entstehenden Kosten müssten die Kassen komplett refinanzieren, fordert sie. "Höhere Kosten für Pflegepersonal dürfen nicht zu Einsparungen oder Defiziten in anderen Bereichen der Krankenhäuser führen."
Die FDP sprach mit Blick auf die Bundesratsinitiative von "Schaufensterpolitik". "Das Ziel bessere Pflege ist zu unterstützen, aber warum wendet sich Gesundheitssenatorin Kolat mal wieder an den Bund?", fragte der pflegepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Thomas Seerig. Niemand hindere Kolat daran, an den städtischen Kliniken bessere Schlüssel umzusetzen und mehr Personal einzustellen. Verdi- Landesbezirksleiterin Susanne Stumpenhusen begrüßte hingegen den Senatsbeschluss. Es sei richtig, jetzt alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um den "unerträglichen" Pflegenotstand zu lindern.
Kolat geht nach eigenen Worten davon aus, dass andere Bundesländer die Initiative unterstützen. "Der Pflegenotstand ist ein bundesweites Problem." Um es lösen, seien auch an anderen Stellen Veränderungen nötig: Als Beispiele nannte Kolat eine bessere Bezahlung und mehr Ausbildung, denn: "In der Vergangenheit wurde nicht ausreichend ausgebildet."
Inzwischen hat die Politik die Probleme bei der Pflege in Kliniken und Seniorenheimen in ganz Deutschland in den Fokus genommen. Im neuen Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD darauf verständigt, sofort 8000 neue Fachkräfte einzustellen, eine Ausbildungsoffensive zu starten und Anreize für mehr Vollzeitarbeit zu setzen. Eine bessere, gleichmäßigere Bezahlung soll es durch flächendeckende Tarifverträge und eine Angleichung des Pflegemindestlohns in Ost und West geben. In Berliner Krankenhäusern kümmerten sich laut Gesundheitsverwaltung zuletzt 17 100 Pflegekräfte um jährlich 855.000 Patienten.