Heutzutage ist es schwierig geworden, einen halbwegs ruhigen Ort zu finden. Ständige Geräusche begleiten uns im Alltag, sei es im Straßenverkehr, durch laute Musik vom Nachbarn oder durch ratternde Lüftungsanlagen. Lärm ist allgegenwärtig und unserer modernen Lebensweise geschuldet. Zuviel davon führt zu Stress und kann auf Dauer krank machen. Das Umweltbundesamt spricht gar vom "Umweltgift Nummer Eins".
Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass die ständige Lärmbelastung jährlich rund eine Million Lebensjahre in Europa kostet. Insbesondere das Herz-Kreislauf-System kann darunter leiden. Hoher Blutdruck, steigende Lipidwerte und eine gestörte Glukosetoleranz sind nur einige Folgen. Kardiologen des Universitätsklinikums Mainz haben jetzt genauer untersucht, inwieweit die ständige Lärmbelastung zur Entwicklung der häufigsten Herzrhythmusstörung – dem Vorhofflimmern – beiträgt.
Dazu werteten sie die Daten der Gutenberg-Gesundheitsstudie aus – einer Querschnittsstudie, die vor rund 10 Jahren in der Region um Mainz durchgeführt wurde und die Gesundheit der allgemeinen Bevölkerung untersuchte. Von den 15.010 rekrutierten Teilnehmern im Alter zwischen 35 und 74 Jahren beantworteten 14.069 einen Fragebogen zur alltäglichen Lärmbelastung. Er erfasste auf einer 5-Punkte-Skala, wie sehr sich die Studienteilnehmer durch täglichen und nächtlichen Lärm gestört fühlten – unterteilt in die Lärmquellen Autoverkehr, Flugzeuge, Züge, Industrie und Nachbarn. Die Daten zum Vorhofflimmern wurden von den Patienten im Rahmen des Studiengesprächs erhoben und durch ein EKG diagnostiziert. Mittels einer Regressionsanalyse setzten die Forscher die Daten zur Lärmbelastung und zum Vorhofflimmern zueinander in Beziehung.
Das Ergebnis: 80 % der Studienteilnehmer haben über Lärm in ihrem täglichen Umfeld berichtet. 10,5 % litten gar an extremer Lärmbelastung. Interessanterweise zeigte letztere Gruppe auch eine höhere Prävalenz für Vorhofflimmern (23,4 % im Vergleich zu 14,6 % bei Teilnehmern ohne Lärmbelastung). Zu beachten ist: Die generell hohe Prävalenz für Vorhofflimmern in allen Gruppen kam durch den Einsatz eines EKGs zustande, denn Vorhofflimmern verläuft oft asymptomatisch. Nicht überraschend war, dass sich die Mehrzahl der Teilnehmer vom Fluglärm belästigt fühlte (in der Gruppe mit extremer Lärmbelastung waren es sogar 84 %), was der räumlichen Nähe zum Großflughafen Frankfurt geschuldet ist.
Auf das Auftreten von Vorhofflimmern hatte insbesondere nächtlicher Verkehrslärm den größten Einfluss (Odds Ratio [OR] 1,15; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,08 – 1,22; p < 0,0001). Tagsüber scheint er jedoch keine Gefahr darzustellen (OR 1,04; KI 0,99 – 1,09; p = 0,081). Lärm von den Nachbarn ist ebenfalls ein wichtiger Risikofaktor. Denn egal, ob nachts oder tagsüber, laute Nachbarn erhöhen das Risiko um 14 % (OR 1,14; KI 1,07 – 1,21; p < 0,0001). Fluglärm erhöht das Risiko tagsüber um 4 % (schwache Assoziation mit einer OR von 1,04; KI 1,00 – 1,08; p = 0,046) und nachts um 9 % (OR 1,09; KI 1,05 – 1,13; p < 0,0001). Industrielärm zeigt nur tagsüber eine signifikante Korrelation mit Vorhofflimmern (OR 1,11; KI 1,04 – 1,18; p = 0,0017). Nachts scheint der Effekt etwas stärker ausgeprägt zu sein, erreicht aber mit einem p-Wert von 0,068 keine Signifikanz. Lärm durch vorbeifahrende Züge wirkt sich nur nachts auf die Entwicklung von Vorhofflimmern aus (OR 1,13; KI 1,04 – 1,22; p = 0,0039).
Da die Studiendaten während der Einführung des Nachtflugverbots am Frankfurter Flughafen im Jahr 2011 erhoben wurden, erwarteten die Wissenschaftler dadurch auch eine Abnahme der subjektiven Lärmempfindung. Doch wider Erwarten stieg die Belastung durch Fluglärm nach dem Verbot sogar an. So fühlten sich vor Einführung 57,8 % tagsüber und 31,2 % nachts von den Flugzeugen gestört, während die Zahl danach auf 62,5 % bzw. 33,4 % anstieg (p = 0,00021 und 0,063). Die Autoren führen dieses Ergebnis auf den trotz Nachtflugverbot gestiegenen Flugverkehr sowie die Konzentration der Starts und Landungen auf den späten Abend und den frühen Morgen zurück.
Zusammenfassend zeigt die Arbeit, dass viele Menschen unter dauerhafter Lärmbelastung leiden und damit ihr Risiko erhöhen, an Vorhofflimmern zu erkranken. Insbesondere nächtlicher Lärm scheint gefährlich zu sein. Ähnliche Ergebnisse lieferte bereits eine Auswertung der bekannten Framingham-Studie. Die Forscher gehen davon aus, dass der Lärm die Schlafqualität reduziert, was wiederum den Stresslevel und die Aktivität des sympathischen Nervensystems erhöht. In der Folge kann es zu Herz-Kreiskauf-Erkrankungen, Schlaganfällen und Herzrhythmusstörungen kommen. Leider wurde die Lärmbelastung der Studie nur subjektiv erfragt und nicht objektiv gemessen – ein Punkt, den zukünftige Studien berücksichtigen sollten.
Quelle:
Hahad, Omar et al. Annoyance to different noise sources is associated with atrial fibrillation in the Gutenberg Health Study. International Journal of Cardiology, Volume 264, 79 – 84. DOI: https://doi.org/10.1016/j.ijcard.2018.03.126
Pressemitteilung der Universität Mainz vom 02. Mai 2018. http://www.unimedizin-mainz.de/presse/pressemitteilungen/aktuellemitteilungen/newsdetail/article/laerm-bringt-das-herz-aus-dem-rhythmus.html