Für Menschen mit schweren Lungenerkrankungen ist die Transplantation eines gesunden Organs oft die einzige Überlebenschance. Doch Spenderlungen sind Mangelware. Abhilfe könnte eine neue künstliche Lunge bringen, die an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) entwickelt wird.
Seit 2017 unterstützt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) diesen wissenschaftlichen Ansatz mit ihrem bundesweiten Schwerpunktprogramm SPP 2014 "Towards an implantable Lung" ("Auf dem Weg zur implantierbaren Lunge"). Ziel ist die Entwicklung einer künstlichen Lunge, die als Alternative zu einem Spenderorgan dauerhaft eingesetzt werden soll. Ein vielversprechendes Projekt an der MHH, dem größten europäische Lungentransplantationszentrum, wird um weitere drei Jahre verlängert.
An der MHH wird an einer Biohybrid-Lunge geforscht. Als Grundlage dient die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO), bei der das Blut durch Kunststoff-Hohlfasern geleitet wird, die als "künstliche Lungenbläschen" für den Gasaustausch sorgen. Dieses Lungen-Unterstützungssystem wird bereits klinisch angewendet – etwa zur Sauerstoffversorgung schwer an COVID-19 erkrankter Patient:innen auf den Intensivstationen. "Bislang können wir mit der ECMO aber nur für eine gewisse Zeit die Lungenfunktion überbrücken, weil das Blut beim Kontakt mit den künstlichen Oberflächen Gerinnsel bildet und die Röhrchen verstopft", erklärt Dr. Bettina Wiegmann, die am Niedersächsischen Zentrum für Biomedizintechnik, Implantatforschung und Entwicklung (NIFE) drei der vier MHH-Projekte leitet. Diese Thrombenbildung soll erhindert werden, indemdie Oberflächen der Gasaustausch-Membranen, der Blutpumpe und der Schläuche mit speziellen, Gefäß auskleidenden Endothelzellen, besiedelt wird. "Diese nicht körpereigenen Endothelzellen sind zudem genetisch so verändert, dass sie für das Immunsystem des Patienten quasi unsichtbar sind und somit nicht als fremd erkannt und bekämpft werden."
In einem nächsten Schritt muss nun geprüft werden, ob die Endothelzellen auf den künstlichen Oberflächen fest genug haften und der Reibungsbelastung durch den Blutstrom standhalten. Auch müssen die Membranen so weiterentwickelt werden, dass bei größtmöglicher Fläche für den Gasaustausch das Volumen des Kunstorgans dennoch möglichst klein und effektiv bleibt, so wie bei der menschlichen Lunge. In der menschlichen Lunge sind etwa 100 bis 140 Quadratmeter Atemoberfläche platzsparend in 300 Millionen Lungenbläschen verpackt. Eine weitere Anforderung ist die Form des ECMO-Gerätes, die bei der Entwicklung der Biohybrid-Lunge verändert werden muss, damit sie optimal in den Körper implantiert werden kann.
Auch Nierenfunktion muss bedacht werden. Weil Patient:innen, die schwer lungenkrank sind und ein ECMO-Gerät benötigen, meist auch ein erhöhtes Risiko für ein akutes Nierenversagen haben, benötigen sie neben der Lungenersatztherapie auch eine maschinelle Dialyse. Bislang werden diese beiden Verfahren mit getrennten Geräten vorgenommen, was unter anderem das Risiko für Infektionen und Thrombosen erhöht. Wiegmann will die Lungen- und Nierenunterstützung in einem einzigen Gerät kombinieren. Das sei ein weiterer Aspekt für die Entwicklung einer individualisierten implantierbaren Lunge.
Sind alle noch bestehenden Probleme gelöst, sollen verschiedene Prototypen der Biohybrid-Lunge zunächst unter Laborbedingungen mit Hilfe künstlich erzeugter Blutkreisläufe untersucht werden. In einem nächsten Schritt werden sie dann zunächst als Atmungs-Akuthilfe und später als dauerhafte Lungenalternative im Tiermodell getestet. Bis die Kunstlungen in den menschlichen Körper transplantiert werden können, werden nach Ansicht der Forscherin aber noch einige Jahre vergehen.