Neurowissenschaftlern der Georgetown University Medical Center ist es im Rahmen einer kleinen Studie an älteren HIV+ Probanden gelungen, mit Hilfe von MRT-Aufnahmen ihrer Gehirne, kognitive Defizite zu offenbaren, obwohl die Probanden in den üblichen neurophysiologischen Tests eigentlich unauffällig abschnitten. Die Ergebnisse der Arbeit wurden am 17. November im Journal AIDS Care veröffentlicht.
Für die Studie machten die Wissenschaftler funktionelle MRT-Aufnahmen (fMRT) von den Gehirnen der Probanden, währenddessen diese abwechselnde Gesicht-Geschlecht oder Wort-Semantik Aufgaben durchführten. Die Auswertung ergab, dass HIV+ Individuen, im Vergleich zu gleichaltrigen aber gesunden Kontrollprobanden, deutliche kognitive Defizite aufwiesen.
Trotz vieler Fortschritte in der Behandlung sind HIV-assoziierte neurokognitive Störungen, kurz HAND, nach wie vor eine der am häufigsten vorkommenden Erscheinungen bei Menschen mit Infektion. Neurowissenschaftler Xiong Jiang, PhD und Hauptautor der neuen Studie, erklärt, dass frühere Studien zu Schätzungen kamen, laut denen etwa 30 bis 60 Prozent aller Menschen mit HIV-Infektion davon betroffen sind. Seine Studie legt nun jedoch nahe, dass kognitive Beeinträchtigungen bei über 50-jährigen HIV-Infizierten möglicherweise noch viel häufiger sind, als bisher angenommen.
Jiang erläutert, dass diese Fehleinschätzung vor allem daher rühren könnte, dass viele neurophysiologische Tests schlichtweg unempfindlich für HAND´s sind. In der neuen Studie verwendete man deshalb eine Versuchsanordnung, die auf verlässliche Art und Weise die kognitiven Fähigkeiten von gesunden und jungen Kontrollprobanden validiert (die Fähigkeit, Gedanken und Handlungen gemäß den aktuellen Ziele und in einer bestimmten Umgebung zu steuern).
Während des MRT-Scans wurden die Teilnehmer in zufälliger Reihenfolge dazu aufgefordert, das Geschlecht eines gezeigten Gesichts (männlich versus weiblich) oder die Bedeutung eines gesehenen Wortes (z.B. belebt für “Tiger” und unbelebt für “Tabelle”) einzuschätzen. Das ständige und unberechenbare Wechseln zwischen den beiden Aufgabenstellungen führt bei vielen Menschen zu einer verlängerten Reaktionszeit und einer Abnahme der Treffsicherheit (bekannt als Switch-Cost).
Nach der Durchführung aller Tests bemerkten die Wissenschaftler, dass die Probanden der HIV+ Gruppe signifikant langsamer darin waren, sich an die wechselnden Aufgaben anzupassen. Eine solche Beeinträchtigung korreliert häufig mit Veränderungen im dorsalen Teil des anterioren Gyrus cinguli (dACC), der eine Schlüsselrolle bei exekutiven Funktionen spielt. Dieser kragenförmige Bereich liegt im vorderen Teil des Gehirns und verursacht bei einer Beschädigung viele verschiedene kognitive Einschränkungen, einschließlich, exekutive Defizite und Apathie.
Jiang weist drauf hin, dass diese beiden Symptome interessanterweise äußerst häufig bei Patienten mit HIV-Infektion zu beobachten sind. Möglicherweise kann man daraus also ableiten, dass der dACC eine der am häufigsten durch HI-Viren betroffenen Hirnregionen darstellt. Es wäre somit vorstellbar, diese Region zukünftig als Target für neue Therapieansätze zu verwenden.
“Auch wenn diese Ergebnisse zunächst nur vorläufig sind, könnten sie eine bedeutende Auswirkung auf die öffentliche Gesundheit haben”, sagt Jiang. “Da es, abgesehen von der antiretroviralen Therapie, noch keine erprobten Behandlungen für HAND´s gibt, sei es momentan erstmal wichtig, dass Betreuer, Familien und die Betroffenen selbst wissen, ob sie überhaupt betroffen sind.”
Jiang verrät, dass er als nächstes HAND´s in einer deutlich größeren Studienpopulation weiter untersuchen möchte. Sein Vorhaben wird dabei durch einen Zuschuss über zwei Millionen US Dollar vom National Institute of Mental Health (1R01MH108466-01) unterstützt. Mit dem Geld soll er seine fMRT-basierten Biomarker, die das Potenzial zu einer zielgerichteten Therapie haben, weiterentwickeln.
Text: esanum/ pvd
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