Die Verständigung der Ampel-Koalition auf einen in Zukunft dynamisch steigenden Bundeszuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung ist nach Einschätzung des Gesundheitsökonomen Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen eine "gute Nachricht für chronisch Kranke, insbesondere für Diabetiker". Noch vor der Bundestagswahl sei nicht ausgeschlossen worden, dass als Folge der außerordentlichen Belastungen durch die Pandemie und angesichts wachsender Defizite der Krankenkassen kostendämpfende Maßnahmen eingeleitet würden, sagte Wasem am Dienstag bei einer von Novo Nordisk organisierten digitalen Pressekonferenz.
Wasem schränkte allerdings auch ein: Angesichts eines strukturellen Defizits der GKV von rund 15 Milliarden Euro sei der Bundeszuschuss schon jetzt auf 30 Milliarden Euro verdoppelt worden – "das tangiert die Finanzpolitik". Vor dem Hintergrund, dass ein dynamisierter Bundeszuschuss aus Steuermitteln finanziert werden muss, sei eine Rückkehr zu einer "brutalen Kostendämpfungspolitik" allerdings nicht völlig ausgeschlossen.
Besonders relevant für chronisch Kranke sei die Absicht, neben der Primär- auch die Sekundärprävention zu stärken. Bislang sei die Arbeit der nationalen Präventionskonferenz auf die Primärprävention fokussiert worden. Nun biete es sich an, die Diabetes-Strategie in die Sekundärprävention zu integrieren und deren Potenzial zu stärken, um Krankheitsverläufe zu verzögern und auch Multimorbidität besser zu berücksichtigen. Dabei gerate auch eine wichtige soziale Komponente der Prävention ins Blickfeld: die bisher zu beobachtende Benachteiligung vulnerabler Gruppen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status und ihr wesentlich höheres Krankheitsrisiko.
Positiv sieht Wasem auch die Absicht, das seit einigen Jahren in der Kritik stehende DRG-System neu zu adjustieren und die leistungsabhängigen Pauschalen durch weitere Finanzierungselemente zu ergänzen. Anreize für einen Ausbau der sektorübergreifenden Versorgung könnten durch Hybrid-DRG geschaffen werden, wenn gleiche Vergütungen unabhängig vom Ort der Leistungserbringung – Klinik oder Praxis niedergelassener Ärzte – gezahlt werden.
Die Schaffung strategischer Reserven – etwa für Arzneimittel und Medizinprodukte – für eine krisensicheren Versorgung chronisch Kranker sei "sicher vernünftig" und vor dem Hintergrund der bisherigen Praxis nicht selbstverständlich. Wasem hält die Schaffung und Finanzierung von Vorräten für einen pragmatischen Ansatz, einer Rückholung der Produktion generischer Wirkstoffe von Asien an den Standort Deutschland sieht er dagegen eher skeptisch.
Nur einen begrenzten Effekt misst Wasem der geplanten Aufhebung der Budgetierung beim hausärztlichen Honorar zu. Grund dafür sei, dass 70 Prozent der Vergütung von Hausärzten aus Pauschalen bestehen, die unabhängig von der Erbringung von Einzelleistungen finanziert werden. Dagegen ist der Anteil leistungsabhängiger Vergütungen bei Fachärzten und deren Budgetierung weitaus gewichtiger.
Keine Prognose möchte Wasem hinsichtlich einer stringenter auf Gesundheits- und Präventionsziele ausgerichteten Ernährungspolitik wagen. Unter diesem Aspekt wäre etwa eine Zuckersteuer "ökonomisch richtig", so der Wirtschaftswissenschaftler – ob dies aber politisch durchsetzbar sei, komme dem "Blick in die Glaskugel" gleich.