In der Europäischen Union war die Todesursache Krebs im Jahr 2013 für rund 1,3 Millionen Personen und somit für knapp über ein Viertel aller Todesfälle verantwortlich. Trotz dieser hohen Zahl hat sich die Sterblichkeit aufgrund von Krebs in der EU in den vergangenen 30 Jahren deutlich reduziert. Für jede Krebsart gilt es allerdings individuell zu analysieren, welchen Einfluss beispielsweise die Prävention, eine intensive Früherkennung, der Wandel in den Lebensgewohnheiten oder optimierte Therapien auf die Sterblichkeit haben, um mehr über deren Hintergründe zu erfahren.
Prof. Alexander Katalinic – Direktor Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Professor Dr. Alexander Katalinic ist Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck. Er und sein Team sind spezialisiert darauf, Krebs unter epidemiologischen Gesichtspunkten zu analysieren. Katalinic macht sich besonders für die Dokumentation von Krankheitsfällen in Krebsregistern stark: „Durch stetiges Rückmelden der Ergebnisse der Behandlung an die Leistungserbringer und Benchmarking kann die onkologische Versorgung weiter optimiert werden“, erklärt der 50-Jährige. Katalinic referiert auf dem Deutschen Krebskongress über die “Krebssterblichkeit der letzten 30 Jahre in Konkurrenz zu anderen Todesursachen”.
esanum: Herr Professor Katalinic, wie hat sich die Sterblichkeit von Krebspatienten entwickelt?
Katalinic: Die um Alterseffekte bereinigte Krebssterblichkeit insgesamt ist von 1980 bis heute um etwa 25 Prozent zurückgegangen. Das ist eine gute Nachricht und ein Erfolg von besseren Therapien, intensiver Früherkennung aber auch von primärpräventiven Maßnahmen.
Der Rückgang der Sterblichkeit ist auch mit einem Anstieg des Sterbealters verbunden. Starben im Jahr 1980 die Krebspatienten noch im Alter von 69,6 Jahren, ist das Sterbealter heute auf 73,7 Jahre angestiegen. Trotz dieser positiven Entwicklung der Krebssterblichkeit fällt der Vergleich mit anderen häufig vorkommenden Todesursachen schlecht aus. Betrachtet man alle Todesursachen, so ist die Sterberate um 46 Prozent gesunken. Dies liegt insbesondere am Rückgang der Sterblichkeit der Herzkreislauferkrankungen von rund 63 Prozent. Das Sterbealter ist hier von 76,6 Jahren auf 82,3 Jahre gestiegen und liegt damit fast zehn Jahre höher als bei Krebserkrankungen.
esanum: Lungenkrebs ist bei Männern mit Abstand die häufigste tödliche Krebsart; Brustkrebs bei Frauen. Bei welchen Krebsarten gab es in den letzten 30 Jahren die größten Veränderungen in der Sterblichkeit? Was sind die Gründe dafür?
Katalinic: Einen besonders starken Rückgang sehen wir bei Magen- und Darmkrebs. Beim Magenkrebs haben die Eradikation des Helicobacters pylori und vermehrte Magenspiegelungen zu einem deutlichen Rückgang der Inzidenz und damit der Mortalität geführt. Beim Darmkrebs ist von besseren Therapien, aber auch ersten Effekten des Darmkrebsscreenings auszugehen.
Lungenkrebs muss man geschlechterspezifisch analysieren. Bei Männern sinkt die Inzidenz stetig – gefolgt von einem Rückgang der Sterblichkeit um über 30 Prozent.
Bei Frauen dagegen ergibt sich ein umgekehrtes Bild. Seit 1980 ist die Lungenkrebssterblichkeit zwar von einem niedrigen Niveau kommend um rund 160 Prozent angestiegen. Die Entwicklung ist stark an die gegenläufigen Trends beider Geschlechter im Rauchverhalten geknüpft. Die Brustkrebssterblichkeit ist ebenfalls um etwa 20 Prozent zurückgegangen – zurückzuführen insbesondere auf verbesserte Therapien und eine intensivierte Früherkennung. Auch beim Prostatakarzinom ist eine Abnahme der Sterblichkeit von 20 Prozent zu beobachten. Angestiegen ist hingegen in den vergangenen 30 Jahren die Sterblichkeitsrate bei Krebs des Pankreas, des Ösophagus, des Hals-Rachenraums und der Leber.
esanum: Zahlen von Eurostat belegen, dass es sowohl bei der Häufigkeit von Krebs als auch bei der Überlebensrate und -zeit in der EU erhebliche Unterschiede gibt. Worauf führen Sie das zurück?
Katalinic: In der Tat gibt es zwischen den Regionen in Europa deutliche Unterschiede. Insbesondere in den osteuropäischen Ländern, aber auch teilweise in Großbritannien finden sich schlechtere Überlebensraten. Die Gründe dafür sind komplex und in allen Bereichen der onkologischen Versorgung zu finden: Weniger Primärprävention, weniger Früherkennung, unzureichender Zugang zu innovativen und neuen Therapien aber auch fehlende Qualitätssicherung spielen eine Rolle.
esanum: Was unterscheidet Krebs als Todesursache von anderen Erkrankungen?
Katalinic: Die besondere Bedeutung von Krebs zeigt sich, wenn man die allgemein als „vermeidbar“ angesehen Todesursachen ansieht. Das sind Todesfälle vor dem 70. Lebensjahr. In Deutschland gehen so jedes Jahr etwa 2,4 Millionen Lebensjahre verloren (1980 waren es noch 3,5 Millionen). Ein Drittel der verlorenen Lebensjahre, also 1,1 Millionen, sind Krebserkrankungen zuzuschreiben, die damit die mit Abstand häufigste Ursache sind. Im Vergleich dazu sind Herzkreislauferkrankungen nur für 17 Prozent der verlorenen Lebensjahre verantwortlich, gefolgt von “äußeren Ursachen” mit 14 Prozent.
Dies verdeutlicht nochmals die große bevölkerungsmedizinische Bedeutung von Krebs. Wenn man an Krebs erkrankt, verstirbt man früher als an anderen Krankheiten und verliert wesentlich mehr Lebensjahre.
esanum: Sie sind ein großer Befürworter der Anlage von Krebsregistern. Warum ist eine umfangreiche Dokumentation von Krebsfällen so wichtig?
Katalinic: Trotz großer Anstrengungen und Erfolge in den vergangenen Jahrzehnten ist im Bereich Krebs noch viel zu tun. Prävention muss noch gezielter angewendet werden. Die Früherkennung gilt es stetig weiterzuentwickeln; Therapien müssen weiter individualisiert und effektiver werden.
Die Dokumentation von Krebserkrankungen und deren Therapien kann diese nötigen Entwicklungsschritte entscheidend unterstützen. Kommen neue Maßnahmen tatsächlich in der realen Versorgung bei den Patienten an und zeigen die gewünschte Wirkung? Führt die Zulassung eines neuen Medikaments in den kommenden Jahren tatsächlich zu verbesserter Heilung und einem längeren Überleben? Führt ein neues Screening zu einem Rückgang der fortgeschrittenen Stadien und zum Rückgang der Sterblichkeit? Solche und weitere Fragen können nur mit bevölkerungsbezogenen Krebsregistern beantwortet werden.
Eine weitere wichtige Rolle kommt den Registern zukünftig bei der Beurteilung und Verbesserung der Behandlungsqualität zu. Durch stetiges Rückmelden der Ergebnisse einer Behandlung an die Leistungserbringer und Benchmarking können wir die onkologische Versorgung gezielter weiter optimieren.