Tröpfcheninfektion, Aerosole, verkeimte Oberflächen: Die Frage, wo potenzielle Ansteckungsgefahren lauern, war wohl nie so wichtig wie im Corona-Jahr 2020. Die Stadtwerke München nehmen nun eine besondere Virenschleuder in den Blick: Rolltreppen.
In Corona-Zeiten ist so manchem jede Berührung zuviel. Wer hat den Öffner-Knopf an der U-Bahn-Tür vorher angefasst? Und wann hat der sich zum letzten Mal die Hände gewaschen? Die Stadtwerke München (SWM) und die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) haben nun einen Test gestartet, der eine ganz besondere potenzielle Virenschleuder in den Blick nimmt: Rolltreppen.
Sechs Rolltreppen im U-Bahnhof Marienplatz werden derzeit mit einer speziellen UV-Desinfektion ausgestattet. Die erste Rolltreppe mit dieser Technik ist seit dem 14. August in Betrieb. Ursprünglich war der Test schon um den Jahreswechsel herum geplant. Mit der Ausbreitung des Coronavirus bekommt er nun eine ganz neue Relevanz.
Die Rolltreppen verbinden den Bahnsteig der U-Bahnlinien U3 und U6 mit dem Sperrengeschoss und tragen die Bezeichnungen MP05 bis MP10. Sie wurden nach MVG-Angaben für den Test ausgewählt, weil sie mit einer Steigung von 35 Grad vergleichsweise steil sind (normal sind 27,3 Grad) und dann auch noch besonders lang. Die Fallhöhe bei jemandem, der stürzt, weil er sich ekelt und nicht am Handlauf festhält, wäre also groß.
"Der Test ist auf mehrere Jahre angelegt. Im Fokus sehen bei der Erprobung insbesondere die Auswirkungen auf das Nutzerverhalten und das Material", sagt ein SWM-Sprecher. SWM und MVG wollen beispielsweise wissen, ob die UV-Bestrahlung mehr Fahrgäste dazu veranlasst, sich an den Handläufen festzuhalten. Zum anderen soll geklärt werden, wie das Gummi der Handläufe auf die dauerhafte Bestrahlung mit UV-Licht reagiert.
"Die Wirksamkeit der Bestrahlung ist nicht primärer Bestandteil der Untersuchung", betont der Sprecher. "Diese wurde bereits in einem früheren Test des Herstellers von einem unabhängigen Labor bestätigt. Demnach sorgt die UV-Bestrahlung dafür, dass 99 Prozent der Keime beseitigt werden."
Das Ganze funktioniert so: Die Module werden im Rücklauf der Rolltreppe, im verschlossenen Bereich, eingebaut und bestrahlen dort durchgehend den Handlauf mit UVC-Licht. Das UVC-Licht zerstört dann die DNA der Mikroorganismen. Der Handlauf soll so innerhalb von Sekunden weitgehend keimfrei sein.
Es gibt inzwischen verschiedene Anbieter, die UV-Desinfektion für Handläufe anbieten. Die patentierte UV-Rolltreppen-Technik, die in München zum Einsatz kommt, stammt von dem Kölner Unternehmen Uvis. Die Gründerinnen Katharina Obladen und Tanja Zirnstein haben ihre inzwischen patentierte Technik noch zu Schulzeiten für einen Wirtschaftswettbewerb entwickelt - damals grassierte die Schweinegrippe. "Wir haben uns gefragt, was die größten Infektionsquellen im öffentlichen Raum sind, und was wir dagegen unternehmen könnten", sagt Zirnstein. "Schnell sind wir auf die Handläufe der Rolltreppen gekommen. Sie ist nicht nur eine der größten Infektionsquellen, es ist auch gefährlich, wenn man sich nicht am Handlauf festhält, da es dann schnell zu Stürzen kommen kann."
Die Schweinegrippe war der Startschuss, jetzt ist es wieder ein Virus, das das Geschäft voranbringt: Dank Corona erlebt das Kölner Start-up-Unternehmen der beiden Frauen derzeit einen regelrechten Boom. "Wir müssen niemandem mehr Argumente für mehr Hygiene liefern", sagt Obladen. "Das hat Corona für uns übernommen." Ihre UV-Technik gibt es inzwischen beispielsweise schon am Hauptbahnhof in Düsseldorf, in den Münster-Arcaden, am Flughafen Zürich, in der Hamburger Europa-Passage - und nun eben auch am Marienplatz in München. Bald sollen ein Museum und eine bekannte deutsche Kulturstätte dazu kommen, deren Namen aber noch nicht verraten werden dürfen. "Spanien ist ein sehr großer Markt", sagt Obladen. "Und in Singapur haben wir eine Hotelkette als Großabnehmer. In Australien wird es auch von den Verkehrsgesellschaften genutzt."
Ein generelles Patentrezept gegen eine Ansteckung mit dem Coronavirus ist das nicht, wie das bayerische Landesamt für Gesundheit auf Anfrage betont - vor allem, weil die Ansteckung mit dem Virus hauptsächlich über Tröpfcheninfektion oder Aerosole geschieht, die das Virus tragen. Eine Ansteckung über Oberflächen spiele "eine untergeordnete Rolle".
Das Landesamt sieht es außerdem kritisch, dass "sie lediglich punktuell eingesetzt werden können" und kommt zu dem Schluss: "Die Installation von Handlaufdesinfektionsgeräten im öffentlichen Bereich stellt unter Berücksichtigung der Infektionswege keinen zielführenden Schutz dar." Studien darüber, wie verkeimt Rolltreppenhandläufe tatsächlich sind, wurden nach Wissen des LGL bisher nicht veröffentlicht. Dass UV-Strahlung durchaus wirksam gegen Viren sein kann, sei allerdings belegt, teilt das Landesamt mit. Ob eine Fläche damit aber wirklich erfolgreich desinfiziert werden könne, hänge aber nicht nur vom Typ des Keims ab, sondern auch vom "zu entkeimenden Material".
Allerdings hat eine Auswertung in Hamburg ergeben, dass zumindest das Sicherheitsgefühl der NutzerInnen von Rolltreppen mit UV-Desinfektion steigt. Nach Angaben des Phoenix-Centers, wo 2018 die wohl ersten keimfreien Rolltreppen in einem deutschen Shoppingcenter in Betrieb genommen wurden, ergab eine Kundenumfrage, dass rund 91 Prozent aller Befragten den Aufenthalt im Einkaufszentrum wegen der desinfizierten Handläufe als angenehmer empfanden als vorher. Auch das Sicherheits- und Sauberkeitsempfinden sei bei den Kunden gestiegen, teilte das Unternehmen Uvis mit Bezug auf die Studie mit.
Die beiden Frauen mit ihrem Kölner Start-up haben in jedem Fall Expansionspläne: Sie haben auch eine antimikrobielle Beschichtung für Oberflächen, wie Türgriffe und Aufzugsknöpfe, im Produktportfolio. Die Beschichtung wird unter anderem im öffentlichen Nahverkehr bei 100 Bussen der DB Regio eingesetzt. Das Landesamt betont allerdings: "Sinnvoller ist es, nicht die Oberfläche zu behandeln, sondern sich an die AHA-Regeln zu halten" - also Abstand zu halten und sich regelmäßig die Hände zu waschen und Alltagsmasken zu tragen.