Laut Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden beinahe zehn Prozent der Bevölkerung an Angst und/oder Depression. Besonders alarmierend ist, dass die Anzahl von 1990 bis 2013 drastisch angestiegen ist, nämlich um fast die Hälfte von 416 auf 615 Millionen Menschen weltweit. Da es für viele Patienten immer noch keine angemessene Therapie gibt, hoffen die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Psychiatrie (MPI), durch ihre Forschung zur Entwicklung neuer, effektiverer Behandlungsmöglichkeiten beizutragen.
In einer früheren Studie, die 2011 in der renommierten Fachzeitschrift "Science" veröffentlicht wurde, konnte die Arbeitsgruppe von Jan Deussing vom MPI erstmals zeigen, dass das Corticotropin freisetzende Hormon (CRH), das eine wichtige Rolle bei der Signalverarbeitung in dopaminergen Neuronen spielt, Angst unterdrücken kann.
In ihrer neuesten Studie hat die Gruppe um Deussing ihre Forschung ausgeweitet und gibt mechanistischere Einblicke in den angstlösenden Schaltkreis des CRH. In ihrem jüngst in der prestigeträchtigen Zeitschrift "Nature Neuroscience" veröffentlichten Artikel beschreiben die Wissenschaftler den Ursprung des Schaltkreises im erweiterten Mandelkern, einer kleinen Region im Gehirn, in einer Population von GABAergen Neuronen, die CRH produzieren. Sie verfolgten die Spur dieser Neuronen und fanden heraus, dass sie auf eine Region im Mittelhirn projizieren, die VTA genannt wird und als einer der Hauptproduzenten für Dopamin im Gehirn gilt. Es ist bekannt, dass das VTA eine Schlüsselrolle im Belohnungssystem und bei Suchterkrankungen spielt. Hier aber erklären die Autoren die Wechselwirkung von CRH und Dopamin bei angstähnlichem Verhalten.
Die CRH enthaltenden Projektionsneuronen des erweiterten Mandelkerns zielen auf CRH-Rezeptoren in dopaminergen VTA-Neuronen. Demzufolge kann dieser Schaltkreis die dopaminerge Übertragung und somit emotionales Verhalten regulieren.
Die Erstautorin der aktuellen Studie, Nina Dedic, die heute für ein amerikanisches Biotech-Unternehmen tätig ist, erklärt die Bedeutung der Ergebnisse: "Wir wissen, dass CRH einer der Hauptakteure der Stressreaktion ist und dass ein hyperaktives CRH-System an neuropsychiatrischen Pathologien wie Gemüts- und Angststörungen beteiligt ist. In dieser Studie jedoch konnten wir zeigen, dass CRH nicht immer als aversives, stressauslösendes Neuropeptid fungiert. Vielmehr werden spezifische CRH-Schaltkreise benötigt, um einen positiven affektiven Zustand unter normalen, stressfreien Bedingungen aufrechtzuerhalten.“
Deussing, Forschungsgruppenleiter am MPI und Leiter der Studie erklärt: "Wir waren überrascht, dass ein Teil der GABAergen CRH-Neuronen im erweiterten Mandelkern dendritische Dornen trägt und das postsynaptische Markerprotein Camk2a co-exprimiert. Diese Merkmale findet man gemeinhin häufiger in exzitatorischen, glutamatergen Neuronen." Er fährt fort: "Unsere Arbeit deutet darauf hin, dass CRH-Neuronen im erweiterten Mandelkern vielfältiger sind als ursprünglich angenommen. Es gibt sowohl lokal projizierende Interneuronen als auch GABAerge Neuronen mit Dornfortsätzen, die über weite Strecken projizieren."
Abgesehen davon, dass sie aufzeigen will, wie CRH bei der Angstregulierung mit Dopamin zusammenwirkt, hofft Deussings Gruppe, dass diese Resultate dabei helfen werden, das Rätsel um die komplexen Stressschaltkreise und Netzwerke des Gehirns zu lösen.
Quelle: MPI