Professor Peter Heeg, freiberuflicher Krankenhaushygieniker und ehemaliger Leiter der Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Tübingen, gibt einen Überblick über Hygieneregeln im Praxisbetrieb. Hygiene in der Arztpraxis hat viel mit der Reinigung und Desinfektion der Hände zu tun. Über sie übertragen sich am schnellsten Erreger. Für Ärzte ist das Thema deutlich vielschichtiger. Der Leitfaden "Hygiene in der Arztpraxis“ gibt einen Überblick über die wichtigsten Hygienevorschriften. Professor Heeg hat maßgeblich an der Erstellung des Leitfadens mitgewirkt.
Im Interview spricht er über die Wichtigkeit des Händedesinfizierens, Schutz vor Infektionskrankheiten sowie den falschen Gebrauch von Handschuhen.
esanum: Im Leitfaden "Hygiene in der Arztpraxis“ befassen sich neun Seiten mit der Händehygiene. Wie kann eine Arztpraxis sicherstellen, dass sich möglichst wenig Erreger über die Hände verbreiten?
Heeg: Insgesamt sind in den Arztpraxen in Deutschland zu wenige Spender für Desinfektionsmittel angebracht. Meist befinden sich diese in den Toilettenräumen und in den Sprechzimmern, wo die Spender aber eher für den Arzt als für den Patienten gedacht sind.
Ich empfehle, einen Spender mit Desinfektionsmittel an auffälliger Stelle im Eingangsbereich einer Praxis anzubringen. Händedesinfektion ist ungefähr 100-mal wirksamer als Händewaschen. Auch haben die neueren Mittel alle eine nachfettende Wirkung. Das sollten Ärzte stärker gegenüber ihren Patienten kommunizieren, die das meist nicht wissen und denken, desinfizieren sei nicht gut für die Haut. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist effizienter und hautschonender als Händewaschen.
esanum: Wenn es Spender mit Desinfektionsmitteln gibt, bringen sie nur etwas, wenn die Patienten wissen, was sie damit machen müssen. Wie bewerten Sie die Patientenkommunikation in den Arztpraxen zu diesem Thema?
Heeg: An dem Spender sollte gut sichtbar ein erklärender Text angebracht sein – am besten mehrsprachig – mit einem Hinweis zur Durchführung. Ärzte und Praxispersonal sollten Patienten zudem stärker auf die Händedesinfektion persönlich hinweisen. Es hilft auch, wenn ein Arzt sich vor den Augen der Patienten die Hände desinfiziert. Das schafft Vertrauen und animiert Patienten, es selbst zu tun. Es gibt übrigens eine interessante Statistik über die Händedesinfektion von Teilnehmern von Medizinkongressen. Nur etwa 60 Prozent der weiblichen und 50 Prozent der männlichen Teilnehmer desinfizierten sich dort im Schnitt die Hände. Die Ärzte sollten es eigentlich besser wissen.
esanum: Ein anderer wichtiger Punkt ist die Kleidung. Was für Kleidung würden Sie Ärzten und Praxismitarbeitern empfehlen? Muss es ein Kittel sein?
Heeg: Nein, zumindest keine langärmligen Kittel. Diese sind selbst nicht hygienisch, weil sie häufig Kontakt mit Patienten und Oberflächen haben. Optimal sind kurzärmlige T-Shirts oder Kasaks und dazu helle Hosen. "Bare Below the Elbows" heißt die Devise. Die Arbeitskleidung muss in der Praxis verbleiben und dort mit desinfizierendem Waschmittel aufbereitet werden. Sie ist zwei- bis dreimal pro Woche zu wechseln – oder eben nach Bedarf, was aber schon aus optischen Gründen selbstverständlich sein sollte, wenn zum Beispiel Blut auf die Kleidung gespritzt ist. Privat- und Dienstkleidung soll man getrennt aufbewahren.
esanum: Zu den Räumlichkeiten: Wie und wie häufig sollten Wartezimmer und Sprechzimmer gereinigt werden?
Heeg: Hier muss man unterscheiden. Routinemäßig desinfiziert werden müssen alle Flächen, die in Hand- oder Hautkontakt mit Patienten und Personal kommen. Das sind zum Beispiel Liegen oder Bereiche, an denen Spritzen aufgezogen werden oder auch Blutdruckmessgeräte und Stethoskope. Ganz wichtig: Die Tastatur von Computer und Laptop in Behandlungsbereichen täglich zu desinfizieren. Hier gibt es extra Modelle, die sich desinfizieren lassen. Die sonstigen Flächen und Fußböden außerhalb der Untersuchungszimmer gilt es täglich zu wischen und bei Bedarf zu desinfizieren.
esanum: Insbesondere in Perioden mit zahlreichen Grippe-, Atemwegs- und Magen-Darm-Erkrankungen machen sich Patienten Sorgen, sie könnten sich in einer Arztpraxis im Wartebereich erst recht anstecken. Wie lässt sich dem vorbeugen?
Heeg: Ein Infektionsrisiko besteht in Arztpraxen immer. Es hilft, die angesprochene Basishygiene – besonders der Hände – einzuhalten. Ärzte sollten Patienten ruhig öfter darauf hinweisen, richtig zu husten – in die Armbeuge und nicht in die Hände! Ansonsten kann man Patienten mit starkem Husten auch eine Gesichtsmaske geben, die allerdings in Deutschland anders als in anderen Ländern wenig akzeptiert ist. Patienten mit Verdacht auf akute Infektionsrisiken kann man abseits hinsetzen. Hier sind Ärzte auf die Mitwirkung der Patienten angewiesen und darauf, dass diese darauf hinweisen, dass sie möglicherweise eine Infektionskrankheit haben könnten.
esanum: Häufig wissen Patienten nicht, dass sie an einer hochinfektiösen Infektionskrankheit wie Masern erkrankt sind. Patienten kommen zum Beispiel mit Erkältungssymptomen in die Praxis. Wie ist mit diesen Patienten umzugehen?
Heeg: Masern sind ein gutes Beispiel, da sie bereits ansteckend sind, bevor Symptome auftreten. Der Patient sollte bei Verdacht auf eine solche Infektion direkt in das Behandlungszimmer gebracht werden und gar nicht im Wartezimmer Platz nehmen. In Zeiten mit vermehrtem Auftreten einer Erkrankung wie Masern oder Influenza könnte man auch den Sitzabstand im Wartezimmer vergrößern oder das Wartezimmer räumlich teilen. Ansonsten gelten für Arzt und Personal die Regeln zur Hände- und Flächendesinfektion.
esanum: Sie sind viel in Arztpraxen unterwegs. Welche Fehler bei der Hygiene fallen Ihnen bei Ärzten und Arzthelfern immer wieder auf?
Heeg: In meinen Augen gehen Ärzte und Personal oft mit Handschuhen falsch um. Sie werden zu viel und in den falschen Situationen getragen, was sich unter anderem dadurch erklären lässt, dass sie dem Träger einen gewissen Schutz suggerieren. Handschuhe gilt es nur in bestimmten Untersuchungsszenarien zu tragen und anschließend korrekt auszuziehen. Sie können selbst zum Überträger von Erregern werden, wenn vorher Kontakt zu einem Patienten bestand und anschließend zum Beispiel mit dem Handschuh das Handy aus der Tasche geholt wird. Das muss man vermeiden. Außerdem soll man sich nach dem Ausziehen die Hände desinfizieren.
esanum: Inwieweit sind Ärzte und Praxispersonal in Sachen Hygiene ausreichend geschult? Was ließe sich verbessern?
Heeg: Hygiene ist Teil des Studiums. Sie wird von vielen Studenten nicht besonders gemocht, obwohl man das Thema durchaus spannend aufbereiten kann. Im Berufsleben gibt es zahlreiche Weiterbildungen für Ärzte. In der Praxis gilt die Grundregel, dass das Personal bei Antritt einer Beschäftigung vom Arzt geschult werden muss und zusätzlich einmal im Jahr. Das ist wichtig, weil insbesondere langjährige Mitarbeiter betriebsblind werden und sich Routinefehler einschleichen. Jede Praxis muss zudem einen Hygieneplan mit den wichtigsten Aufgaben erstellen.