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Hohe Dunkelziffer bei Suizid

In Deutschland nehmen sich mehr als 9.000 Menschen pro Jahr das Leben. Die Dunkelziffer ist hoch; die Suizidrate steigend. Erst jetzt hat es dieses wichtige Thema in die revidierte S3-Leitlinie geschafft.

Hohe Dunkelziffer bei Suizid und Suizidversuchen

Nimmt sich ein Mensch das Leben, so werden auch andere Menschen in Mitleidenschaft gezogen. Im Mittel sind dies 8 bis 10 Menschen pro Suizid. Pro Jahr sind es damit zusätzlich 70.000 bis 90.000 Menschen pro Jahr. Noch bedrückender ist die Lage beim Thema "Suizidversuche". Auch hier trifft man auf eine hohe Dunkelziffer. Suizidversuche an sich werden systematisch gar nicht erst erfasst. Schätzungen der WHO zufolge übertrifft die Anzahl an Suizidversuchen den vollendeten Suizid um das 10- bis 30-fache. Die Verbesserung und Durchführung suizidpräventiver Maßnahmen könnte hier Abhilfe schaffen. Schwierige Momente im Leben können jeden von uns treffen. Wie wir damit umgehen, hängt von unserer Resilienz, unserem sozialen Umfeld und möglichen Coping-Strategien ab. Diese Dinge müssen alle erst entwickelt werden und so verwundert es nicht, dass vor allem Jugendliche und heranwachsende Erwachsene von Suizid betroffen sind. Selbstmord ist eine der häufigsten Todesursachen bei jüngeren Menschen.1-3

Berlin Brain Summit informiert über Suizidprävention

Auf dem diesjährigen Berlin Brain Summit hat Prof. Dr. med. Thomas Messer das Auditorium über effektive suizidpräventive Maßnahmen informiert. Messer ist Experte auf dem Gebiet Psychopharmakologie, Arzneimittelsicherheit und (bipolar)-affektive Störungen. Als Chefarzt der Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Danuvius Klinik in Pfaffenhofen besitzt er einen weitgreifenden Erfahrungsschatz zu dieser Thematik. Als Mitglied der Leitliniengruppe war er an der 3. Revision der S3-Leitlinie "Unipolare Depression" beteiligt. In der revidierten S3-Leitlinie ist das Thema "Notfallpsychiatrie und Suizidalität" prominent vertreten.1,2

Das Biopsychosoziale Model für die Suizidentwicklung

Messer eröffnet seinen Vortrag mit dem "Biopsychosozialen Model für die Suizidentwicklung". In diesem Model der Suizidentwicklung werden proximale von distalen und mediierenden Faktoren unterschieden.  Zu den distalen Faktoren zählt auch die "Early-life adversities", sowie ein mögliches genetisches Risiko. Zu trauriger Berühmtheit - als Beispiel für "Early-life adversities"- haben es sexuelle Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche unter Kardinal Woelki geschafft. Doch nicht nur hier kann es zu sexuellen Übergriffen im Kindesalter kommen. Während der COVID-19-Pandemie kam es vermehrt zu Missbrauchsfällen in der häuslichen Umgebung.4 Solche "Early-life adversities" graben sich tief in die Stressachse der betroffenen Menschen ein. Die Folgen können eine posttraumatische Belastungsstörung, die Depression und die Angststörung sein. "Early-life adversities" leisten so ihren Beitrag zur suizidalen Prädisposition. Messer betont, dass zwischen dem Suizidgedanken, dem Suizidversuch und dem Suizid unterschieden werden muss.1

"Notfallpsychiatrie und Suizidalität" schafft es erstmalig in die S3-Leitlinie

Die Dunkelziffer ist hoch für Suizid. Woran kann das liegen? Und wieso hat es dieses wichtige Thema erst jetzt in die revidierte S3-Leitlinie geschafft? Prof. Dr. Barbara Schneider hat sich in ihrem im Dezember publizierten Artikel "Warum brauchen wir Leitlinien für Suizidprävention?" genau dieselben Fragen gestellt. Die evidenzbasierte Suizidprävention und die Erstellung "einer spezifischen Leitlinie zur Suizidprävention bei Erwachsenen" sah sie bereits damals als notwendig an. Eine Leitlinie zum Thema "Suizidalität im Kinder-und Jugendalter" existiert bereits.5

Gezielte Suizidpräventionsstrategien zur Lebensrettung der jeweiligen Risikogruppen

"Bei der Suizidalität handelt es um ein diagnoseübergreifendes Syndrom mit komplexem Behandlungsbedarf."5 Im klinischen Alltag kann somit jede Ärztin oder jeder Arzt - obgleich welche Fachrichtung ausgeübt wird - mit suizidalen Patienten in Kontakt kommen. Genau hier ist die Schnittstelle, genau dann, der Moment, in dem die Anwendung gezielter Suizidpräventionsstrategien und Interventionen Leben retten kann. Doch dafür bedarf es eine flächendeckende und versorgungsgerechte Behandlung der Patienten. Suizidprävention ist multiprofessionell. Umso wichtiger der interdisziplinärer Konsens zwischen medizinischen Kolleginnen und Kollegen aller Fachrichtungen.5

Referenzen:
  1. Messer, Thomas, Prof. Dr. med., Therapeutische und pharmakologische Möglichkeiten zur Behandlung suizidalen Verhaltens und deren Limitationen, Verbesserung suizidpräventiver Maßnahmen im Rahmen einer Depression, Berlin Brain Summit, CityCube Berlin 31.05.2022 17:00 Uhr.
  2. Fazel S. et al. (2020). Suicide. N Engl J Med 2020; 382:266-274.
  3. https://www.leitlinien.de/themen/depression
  4. https://iacapap.org/news/the-covid-19-pandemic-and-child-and-adolescent-psychiatric-service-in-germany-acute-challenges-and-the-need-to-consider-long-lasting-effects-for-mental-health-service-for-children.html
  5. Schneider, B., Reif, A., Wagner, B. et al. Warum brauchen wir Leitlinien für Suizidprävention?. Bundesgesundheitsbl 65, 58–66 (2022).