Der Klimawandel ist die größte Bedrohung der Gesundheit überhaupt. Allein innerhalb der vergangenen 20 Jahre kam es zu 11 extremen Hitzeereignissen. Besonders HerzpatientInnen werden zukünftig sehr zu leiden haben. Eine frühe Aufklärung ist daher besonders wichtig.
Der Mensch ist evolutionsbiologisch an einen sehr engen Temperaturbereich adaptiert. So drohen bereits ungeschützt ab 49°C Oberflächentemperatur die Zellen abzusterben. Extreme Witterungsereignisse, wie beispielsweise Hitzeperioden im Sommer, belasten vor allem ältere und multimorbide PatientInnen. Hier sind auch die behandelnden ÄrztInnen zukünftig in der Pflicht, vor drohenden Hitzeereignissen bereits rechtzeitig im Frühjahr mit PatientInnen Schutzmöglichkeiten und Verhaltensweisen zu diskutieren.
In den sogenannten heißen Jahren der vergangenen Dekade starben statistisch nachweisbar deutlich mehr Menschen als in kühleren Jahren. Begünstigende Faktoren sind neben Herzerkrankungen auch eine zunehmende Exsikkose bei Älteren und/oder Demenzkranken sowie der mittlerweile fast jeden dritten bis zuweilen sogar jeden zweiten Deutschen betreffende Bluthochdruck (Hypertonie).
"Die PatientInnen trinken einfach oft zu wenig und trocknen in heißen Perioden regelrecht aus. Die Folge sind Schwindel, Müdigkeit, Übelkeit – sehr viel gefährlicher jedoch ist noch der Blutdruckabfall in der Hitze, der zur Ohnmacht führen kann", merkte Prof. Dr. med. Jürgen Floege, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), anlässlich der gestrigen Pressekonferenz an.
Hitze, und das ist bereits seit Längerem bekannt, wirkt blutdrucksenkend. Bis zu 15 mmHg sind so an Schwankungen möglich. "Stellen Sie sich doch jetzt Ihre Hypertonie-PatientInnen vor, die eine von Ihnen eingestellte Dosis an Blutdrucksenkern einnehmen. Unverändert droht an heißen Tagen ein kritischer Blutdruckabfall. Vor dieser Gefahr sind die PatientInnen vorab aufzuklären, notfalls müssen Anpassungen in der Medikation vorgenommen werden", erklärte Floege weiter.
Ganz ähnlich verhalte es sich mit den gerade bei älteren PatientInnen häufig anzutreffenden "Wassertabletten" (Diuretika) zur Blutdrucksenkung. Eine zusätzliche Entwässerung an heißen Tagen ist jedoch kontraproduktiv und verschärft die angespannte Situation im Wasser- und Salzhaushalt des Körpers zusätzlich. Hier sind ärztlich begleitete Medikamentenanpassungen vonnöten. PatientInnen sollten darüber hinaus lernen, in heißen Sommern über eine einfache tägliche Gewichtsmessung ihren Wasserhaushalt selbst einschätzen zu können. Das Durstgefühl allein ist gerade bei älteren PatientInnen kein verlässlicher Marker für einen Flüssigkeitsmangel.
Seit Langem ist zudem bekannt, dass auch unser Herz direkt auf Temperatur reagieren kann. So treten beispielsweise bei Kälte oder schnellen Temperaturwechseln mehr Herzinfarkte auf. Für heiße Tage ist dieser Zusammenhang allerdings noch nicht so eindeutig, da hier neben Flüssigkeitsverlust und Blutdruck sehr wahrscheinlich noch weitere Kofaktoren wirken, wie z. B. Adipositas, Diabetes u. a.
Darüber hinaus genügt es nicht allein auf die Temperaturskala zu schauen. Das Zusammenspiel aus Temperatur und Luftfeuchte ist ebenso ein Risikofaktor für HerzpatientInnen. Bei 29°C und 0% Luftfeuchte fühlt der Mensch eine Temperatur entsprechend 26°C. Anders sieht es aus, wenn 29°C und 80% Luftfeuchtigkeit zusammentreffen: Dann fühlt es sich nämlich an wie 36°C!
Zwar sind lebensbedrohende Herzinfarkte und Schlaganfälle bei Hitzewellen durchaus häufiger als an kühleren Tagen, jedoch überschneiden sich deren Symptome auch mit harmloseren Kreislaufstörungen. "Oft kommt es unter Hitzeeinwirkung zu kalten Schweißausbrüchen, Erschöpfung, Schwindel, schwachem Puls, Übelkeit bis hin zum Erbrechen sowie zur Ohnmacht. Da all diese Symptome aber ebenso gut beim Herzinfarkt oder Schlaganfall auftreten können, sollte im Zweifel und insbesondere bei RisikopatientInnen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen der Notruf gewählt werden", riet Prof. Dr. med Georg Ertl, Kardiologe und Generalsekretär der DGIM.
Die Fachleute der DGIM empfahlen ihren Kolleginnen, insbesondere die vulnerablen PatientInnen (> 65 Jahre, adipös, multimorbide, dement, ...) bereits in jedem Frühjahr – also noch vor den ersten Hitzetagen – ordentlich zu schulen, um einerseits Risiken zu senken und andererseits Symptomen vorzubeugen:
Der Klimawandel ist bereits heute spürbar und wird zukünftig auch in Deutschland Gesundheitsaspekte stärker beeinflussen. Die Zahlen sind aber bereits heute eindeutig: Steigt die mittlere Temperatur in unseren Breiten um 1°C an, bedeutet dies insgesamt eine 5% höhere kardiovaskuläre Morbidität, d. h., es wird deutlich mehr Hospitalisierungen aufgrund von Herz-Kreislauferkrankungen geben. Während die Politik über die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C bis 2°C diskutiert, ist der Klimawandel in deutschen Praxen und Kliniken längst angekommen.
Zukünftig wird es darum gehen, die vulnerable Patientengruppe gezielter zu schulen, um "risikoärmer" durch die heißen Sommertage zu kommen. Gleichzeitig gilt es, bauliche Maßnahmen in Kliniken und im öffentlichen Raum zu fördern, die eine Klimatisierung z. B. von Patientenzimmern vorsehen – auch wenn ein solches Vorgehen energiepolitisch aufgrund des höheren Energiebedarfs dem Klimaschutz eher entgegenwirkt. Der weitere Ausbau erneuerbarer Energien kann hier jedoch helfen.
Klimawandel setzt somit auch ein Umdenken in der medizinischen Versorgung gerade älterer und multimorbider PatientInnen voraus. Das tolle daran, jeder Einzelne kann bereits seinen oder ihren Beitrag dazu leisten, sei es durch gezielte frühzeitige Information der PatientInnen und Auswahl der am besten geeigneten Strategien, oder durch ein etwas bewussteres Handeln im Alltag.
Das dies problemlos möglich ist, zeigte Prof. Dr. med. Christian Witt, Pneumologe von der Charité in Berlin: Er fährt bereits sein einigen Jahren täglich mit seinem Elektroauto zur Arbeit und ist somit zusätzlich zu seiner Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der "Klinischen Klimafolgenforschung" nicht nur "Mahner", sondern vor allem ein praktisches Vorbild, welches im Alltag von ÄrztInnen hierzulande ruhig weiter Schule machen sollte.
Quelle:
Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) "Innere Medizin und Klimawandel" vom 13.02.2020 in Berlin