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Hilfe für Suchtkranke: Kontrollierte Ausgabe von Heroin kann positive Ergebnisse erzielen

Seit 2009 ist es Ärzten in Deutschland erlaubt, in Praxen pharmazeutisches Heroin an Suchtkranke auszugeben. 2013 eröffnete die Berliner Ambulanz "Patrida". Bis heute ist sie die einzige der Stadt.

Heroin auf Rezept auch unter Ärzten nicht unumstritten

Seit 2009 ist es Ärzten in Deutschland erlaubt, in Praxen pharmazeutisches Heroin an Suchtkranke auszugeben. 2013 eröffnete die Berliner Ambulanz "Patrida". Bis heute ist sie die einzige der Stadt.

"Dr. Peschel hat mir das Leben gerettet." Was nach Pathos klingt, meint Thomas ernst. Der 57-Jährige ist seit mehr als 30 Jahren heroinabhängig. In der Berliner Praxis "Patrida", die der Psychiater Thomas Peschel vor fünf Jahren eröffnet hat, bekommt er zwei Mal am Tag Diamorphin auf Rezept - reines Heroin. Bis heute ist die Praxis die einzige ihrer Art in der Hauptstadt, obwohl der Bedarf größer wäre.

Thomas, der seinen Nachnamen nicht in den Medien lesen will, ist einer von 130 Patienten, die derzeit hier behandelt werden. An diesem Vormittag malt er im Kreativraum auf einer großen Leinwand. Sein Bild zeigt eine Allegorie auf die Praxis, wie er sagt: "'Patrida' bedeutet Heimat." Eigentlich kam der 57-Jährige vor ein paar Jahren aus Karlsruhe nach Berlin, um sich umzubringen. "Ich war finanziell und zwischenmenschlich am Ende." Die Aufnahme in die Diamorphin-Ambulanz habe ihn gerettet.

Aufnahme in Diamorphin-Ambulanz nur unter bestimmten Voraussetzungen

Um aufgenommen zu werden, müssen Patienten mindestens fünf Jahre lang opiatabhängig, schwer körperlich und psychisch krank sein sowie bereits zwei erfolglose Therapien hinter sich haben - davon eine mit einem Ersatzstoff wie Methadon. Dann bekommen sie zwei Mal am Tag eine individuelle Dosis Diamorphin. Die meisten spritzen sich den in Wasser aufgelösten Stoff im sogenannten Applikationsraum der Praxis selbst. Bei manchen sind die Venen zu vernarbt vom jahrelangen Spritzen. Ihnen hilft das Personal.

Neben Peschel arbeiten noch zwei weitere Ärzte mit psychotherapeutischer Ausbildung in der Praxis nahe dem Flughafen Tegel. "Eine Sucht ist oft Symptom schwerwiegender psychischer Erkrankungen. Auch das versuchen wir hier zu therapieren", sagt Peschel. Hinzu kommen medizinische Angestellte sowie Sozialarbeiter durch eine Kooperation mit der örtlichen Suchthilfe. Die Praxis ist von 7.30 bis 19.00 Uhr durchgehend geöffnet. Die Patienten können sich hier aufhalten, dazu dienen neben dem Kreativraum eine Tischtennisplatte im Flur, ein gemütlicher Raum mit Küche, mit großen Tischen, Sofa, Zeitschriften und Büchern sowie der Raucherbereich.

Hier steht Florian und zieht an einer Zigarette. Er ist Mitte 20 und erzählt, er stamme aus Bayern. Mit 16 begann er zu kiffen. Dann nahm sich der Vater, ein Polizist, das Leben. Irgendwann habe Kiffen nicht mehr gereicht, um klarzukommen - und Florian spritzte sich Heroin. "Danach habe ich mich gefühlt, als sei das alles nie passiert."

Thomas Peschel zufolge ist das bei vielen Patienten so: Das Heroin helfe beim Umgang mit seelischen Schmerzen. Deshalb sieht er die Diamorphin-Therapie auch nicht als Drogenersatz, sondern als medikamentenähnliche Behandlung. "Mein Ziel als Arzt ist es, dass es meinen Patienten besser geht." Und das erreiche in manchen Fällen eben nur Diamorphin. Durch die strukturierte Ausgabe hätten die Patienten wieder einen geregelten Tagesablauf. Dazu kämen weniger Beschaffungskriminalität, weniger Konsum weiterer Substanzen und ein insgesamt gesünderer Lebensstil.

Hohe Auflagen und Stigmatisierung erschweren Praxis-Neugründungen

Bis zu 800 Suchtkranken, schätzt Peschel, könnte in Berlin so geholfen werden. "Eine zweite Praxis ist dringend überfällig", sagt auch die Geschäftsführerin des Drogenhilfe-Vereins Fixpunkt, Astrid Leicht. Der hohe Bedarf ist ein deutschlandweites Problem. Nur etwa 700 Patienten haben einen Platz in einer von zehn Diamorphin-Ambulanzen. Opioidabhängig sind Schätzungen zufolge rund 150.000 bis 200.000 Menschen. Von ihnen befinden sich laut einem aktuellen Bericht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte 78.800 Suchtkranke in einer Substitutionsbehandlung, die meisten bekommen Methadon.

Dass es nicht mehr Diamorphin-Praxen gibt, hat vielschichtige Gründe. Peschel zufolge ist die Behandlung auch bei vielen Ärzten nicht akzeptiert: "Da herrscht noch die alte Maxime: Die beste Therapie ist Abstinenz." Dazu kommen hohe Auflagen. "Die Praxen brauchen viel Personal, dazu eine umfangreiche Ausstattung", erklärt Leicht. Das Diamorphin müsse beispielsweise besonders sicher gelagert werden. Die Praxis müsse 365 Tage im Jahr geöffnet sein und zu jeder Zeit müsse ein Arzt anwesend sein.

Wie die Berliner Landesdrogenbeauftragte Christine Köhler-Azara sagt, ist es für Ärzte zudem schwierig, Räumlichkeiten für eine solche Praxis zu finden. Die Vermieter hätten zu viele Vorbehalte. Ein halbes Jahr schon suchten zwei Ärzte in der Stadt nach einem Praxisraum. Köhler-Azara zufolge muss im laufenden Jahr ein Raum gefunden werden. Sonst verfallen die bereitgestellten Senatsgelder. Die Stadt unterstützt die Diamorphin-Ausgabe, sagt Köhler-Azara: "Das ist eine wertvolle Ergänzung im System Suchthilfe." Mit Empfehlungsschreiben will sie den Ärzten helfen, potenziellen Vermietern Ängste vor der Patientenklientel zu nehmen.

"Drogensüchtige und vor allem Heroinsüchtige sind nach wie vor stark stigmatisiert und gesellschaftlich isoliert", sagt Psychiater Peschel. Dadurch werde die Therapie erschwert: Diamorphin gelte im Gegensatz zu Insulin und Antidepressiva häufig nicht als Medikament, sondern als Droge - auch unter Ärzten. Dabei könne es Menschen wie Thomas und Florian auch langfristig helfen. Florian zum Beispiel wird im September seine Ausbildung als Bürokaufmann beenden. Pro Tag braucht er noch eine Dosis Diamorphin. Dennoch ist er meist morgens und abends da. Wegen der Struktur, die das seinem Tag gibt, sagt er - und der Atmosphäre: "Hier werde ich einfach als Mensch behandelt."