Die Prognose der Demografen ist klar: Die Menschen werden älter, die Zahl der Ärzte kleiner. Die Menschen vor allem auf dem flachen Land wollen trotzdem medizinisch versorgt sein. In der Unimedizin Rostock hat ein bundesweites Pilotprojekt begonnen.
Der 76-jährige Horst Mühlberg macht einen quicklebendigen Eindruck, als er von seiner medizinischen Versorgung spricht. Seit einem Herzinfarkt im Jahr 2004 leidet er an Vorhofflimmern, das eine regelmäßige ärztliche Kontrolle erfordert. Seit einem Monat erübrigt sich diese Regelmäßigkeit. Mühlberg nimmt an dem von der Universitätsmedizin Rostock initiierten Projekt "HerzEffekt" zur besseren Versorgung von Herzpatienten hauptsächlich im ländlichen Raum teil, das nun seit gut vier Monaten läuft und am Freitag vorgestellt wurde.
Seine lebenswichtigen Blutdruck- und Pulswerte werden automatisch an ein Datenzentrum der Uniklinik gesendet. Treten Auffälligkeiten auf, wird das sofort an ihn selbst beziehungsweise seinen Arzt gemeldet. "Das ist eine wunderbare Sache", erklärt Mühlberg, kann er sich doch sicher sein, dass im Notfall schnell und automatisch Hilfe da ist.
"HerzEffekt", vom Bund mit 14 Millionen Euro gefördert, gilt als Blaupause für die künftige medizinische Versorgung in Deutschland, wenn vor allem auf dem Land vermehrt alte Menschen leben und das Netz der Ärzte immer löchriger wird. Bislang sind rund 100 Patienten in das Projekt "HerzEffekt" aufgenommen, bis Ende 2019 sollen 3000 Herzkranke in die Studie integriert werden, wie der wissenschaftliche Leiter und Vizechef der Kardiologie an der Uniklinik, Alper Öner, am Freitag berichtete. Aktuell seien rund 100 Hausärzte und niedergelassene Kardiologen beteiligt. Es sei weltweit das erste Mal, dass Daten in solch einem Ausmaß erhoben werden, sagt Öner. Er ist sich der Aufmerksamkeit der internationalen Wissenschaft sicher.
Wissenschaftsministerin Birgit Hesse (SPD) bezeichnete das Projekt als Aushängeschild für Mecklenburg-Vorpommern. "Wir reden über Digitalisierung, wir reden über Herausforderung im ländlichen Raum." "HerzEffekt" vereine dies. "Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern deutlich mehr als Strandkorb, Strand und Fischbrötchen."
In dieser Phase des Projekts werden Patienten mit einer Insuffizienz, Vorhofflimmern und therapieresistentem Bluthochdruck aufgenommen. Sie bekommen je nach Diagnose unterschiedliche Geräte zur Verfügung gestellt, deren Messergebnisse ausgewertet werden. Dabei handelt sich neben dem Blutdruckmessern um Fitnessbänder oder auch Waagen. Mit den Daten hoffen die Wissenschaftler, dass künftig die Zahl der Klinikaufenthalte verringert werden kann. Denn drohende medizinische Krisen könnten schon lange zuvor diagnostiziert werden.
Für die Geräteausstattung ist der Elektronikkonzern Philips zuständig, der auch noch für die Datensicherung verantwortlich zeichnet. "Wir wollen keine Daten nutzen, um irgendetwas zu verkaufen", versichert Öner. Allerdings gebe es durchaus Patienten, die an der Studie aus Datenschutzgründen nicht teilnehmen.
Das Projekt habe einen großen Wert für die Grundlagenforschung, wie der ärztliche Vorstand der Unimedizin, Christian Schmidt, erklärt. Mit "HerzEffekt" könne geklärt werden, welche Werte überhaupt notwendig sind, um gute Diagnosen anfertigen zu können. "Muss man zehn oder zwei Parameter messen, um vorhersagen zu können, wann eine chronische Herzerkrankung schlechter oder auch besser wird." Genauso könne geklärt werden, welche Geräte notwendig sind. Schmidt ist Initiator der Projekts und war im vergangenen Oktober unter anderem deswegen als Klinikmanager des Jahres ausgezeichnet worden.