Die Auswirkungen des Hebammenmangels sind nach Einschätzung von Geburtshelferinnen und Schwangeren dramatisch. Die Elterninitiative "Mother Hood" ruft daher für Samstag zu einer Demonstration auf. Wie schlimm ist die Lage?
Hebamme dringend gesucht: “Bin am verzweifeln... Suche seit der 7. Woche“, schreibt eine schwangere Frankfurterin in einem Internetforum für Mütter. “Habe bei einigen Frauenkliniken angerufen und die Hebammen sind bis Herbst ausgelastet“, postete sie im Februar. Die angehende Mutter ist kein Einzelfall: Viele Schwangere fühlen sich bei der schwierigen Suche nach einer Geburtshelferin im Stich gelassen. Eine Frau aus dem wohlhabenden Frankfurter Westend versucht es mit Geld: “Bereit Extrakosten zu zahlen!“ Schwierigkeiten, eine Hebamme zu finden, gibt es nach Einschätzung des Berufsverbands und betroffener Mütter aber keineswegs nur in den hessischen Großstädten.
“Seit drei, vier Jahren haben wir einen Hebammenmangel in ganz Hessen, auch in den ländlichen Regionen“, sagt die Vorsitzende des Landesverbandes der Hessischen Hebammen, Gabriele Kopp. Das Sozialministerium in Wiesbaden hingegen geht nicht von einem generellen Mangel aus. Die Probleme bezögen sich meist nur auf die eher kleine Gruppe der freiberuflich arbeitenden Hebammen, sagte der stellvertretende Sprecher Markus Büttner.
“In Frankfurt findet nur noch jede zweite Frau eine Hebamme für das Wochenbett“, sagt dagegen Kopp unter Berufung auf eine Studie. Wenn die frischgebackenen Mütter zwei oder drei Tage nach der Entbindung aus dem Krankenhaus entlassen würden, seien sie mutterseelenallein mit ihrem Neugeborenen und den tausend Fragen, die in den ersten Tagen auftauchten. Dies führe beispielsweise oft dazu, dass sie sich schon bei kleinen Schwierigkeiten gegen das Stillen entschieden. Untersuchungen belegten aber eindeutig, wie gut das Stillen für die Gesundheit und die Entwicklung von Kindern sei.
“Man muss heute mit dem Schwangerschaftstest sofort anrufen, um noch eine Hebamme zu erwischen“, rät eine der Vorsitzenden der Elterninitiative Mother Hood, Franzsika Kliemt. Wie viele Frauen in ganz Hessen keine Hebamme fänden, sei unklar. “Die Dunkelziffer ist hoch.“ Denn längst nicht alle Frauen gingen mit dem Problem an die Öffentlichkeit. Mit einem March of Roses demonstriert die Organisation am Samstag in Frankfurt, Hannover und im mittelfränkischen Ansbach für “sichere Geburten“.
Denn: “Der Hebammenmangel hat viele Folgen“, sagt Kliemt. Eine seien mehr Kaiserschnitte. Rund 17.500 von 53.500 Frauen haben dem Statistischen Landesamt zufolge 2015 per Kaiserschnitt entbunden. Das waren 3.884 mehr als 15 Jahre zuvor. Dabei hatten damals noch gut 3.600 Frauen mehr ein Kind zur Welt gebracht. Eine andere negative Folge sind Kliemt zufolge technische und medikamentöse Interventionen während der Geburt. Dies könne negative körperliche und psychische Folgen für Mutter und Kind haben. Und: “Es wird über die Frauen hinweg gegangen.“
Wie gefragt Hebammen sind, zeigen auch die zahlreichen Anzeigen von Arbeitgebern: Kliniken, Geburtshäuser und Praxen suchen Hebammen. In den vergangenen 20 Jahren seien in Hessen rund 30 Kreißsäle geschlossen worden, berichten Kopp und Kliemt.
“Alles konzentriert sich auf die großen Kliniken“, sagt Kopp. Im Vogelsbergkreis beispielsweise gebe es keinen Kreißsaal mehr, die Frauen müssten nach Gießen oder Fulda ausweichen. Ende 2016 sei die letzte Geburtshilfe in Alsfeld geschlossen worden, bestätigt eine Sprecherin des Kreises.
Im Raum Darmstadt-Dieburg seien schon Hochschwangere abgewiesen worden, weil die Kliniken voll waren, berichtet Kliemt. Im Odenwald gebe es nicht mal eine Handvoll Hebammen, ein genauer Überblick fehle jedoch.
“Die Wege für die Eltern werden immer länger.“ Die Landesregierung hält bis zu 50 Minuten für zumutbar. Manches Baby komme inzwischen im Krankenwagen zur Welt, sagt Kopp. Im Sozialministerium heißt es jedoch: “Es wurden noch nie medizinische Probleme im Zusammenhang mit einem zu langen Anfahrtsweg geschildert.“
Die Arbeitsbedingungen für Hebammen haben sich deutlich verschlechtert, stellt Kopp fest. Zugleich sind die Geburten innerhalb von 2000 bis 2015 den Statistikern zufolge um fast 2.600 auf mehr als 54.500 gestiegen.
Viele Hebammen könnten die hohe Haftpflicht nicht mehr bezahlen und mindestens die Hälfte von ihnen habe sich aus der außerklinischen Geburtshilfe zurückgezogen, berichtet Kopp. Manche setzten lieber auf Nischen wie Babyschwimmen oder Beckenbodengymnastik. Angestellte Hebammen arbeiteten häufig nur in Teilzeit, weil der Stress in der Klinik und den Kreißsälen so groß sei, denn sie müssten in der Regel drei bis fünf Frauen gleichzeitig betreuen.
Von den 730 in Krankenhäusern angestellten Hebammen und Entbindungspflegerinnen haben 2015 nur noch knapp 200 Vollzeit gearbeitet, wie das Statistische Landesamt mitteilt. 15 Jahre zuvor waren es noch mehr als 300 von 770 Beschäftigten.
Nachwuchssorgen? Die Zahl der Bewerberinnen für den Beruf habe sich in den vergangenen fünf Jahren etwa halbiert, sagt Kopp. Es seien aber noch genug. Das Sozialministerium kündigt an, eine Untersuchung über die Situation der Hebammen im Land in Auftrag zu geben. Außerdem sei in Frankfurt schon eine neue Hebammenschule zumindest beantragt worden - mit zunächst 20 Ausbildungsplätzen.