Kinder mit angeborenen Herzfehlern sind keine Seltenheit: Von 1.000 Neugeborenen kommen acht bis zehn Kinder mit einem Herzfehler zur Welt. In Deutschland sind also etwa 6.500 Kinder pro Jahr betroffen. Ihre Chancen zum Überleben sind in den letzten Jahrzehnten enorm gewachsen: In keinem anderen Gebiet der Herzmedizin konnte in den letzten Jahrzehnten eine derart eindrucksvolle Verbesserung der Behandlungsergebnisse mit einer so dramatischen Senkung der Sterblichkeit erreicht werden wie in der Versorgung angeborener Herzfehler, berichtet die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.
Noch im Jahre 1940 überlebten nur 20 Prozent der Betroffenen. Unbehandelt starben 20 bis 25 Prozent von ihnen schon im frühen Säuglingsalter, 50 bis 60 Prozent innerhalb des ersten Lebensjahres und lediglich 10 bis 15 Prozent erlebten das Jugendalter. Heute erreichen aufgrund der Fortschritte der Kinderkardiologie, Kardiologie, Intensivmedizin und Kinderherzchirurgie mehr als 95 Prozent dieser Kinder das Erwachsenenalter, heißt es im "Deutschen Herzbericht 2018" der Deutschen Herzstiftung.
Die altersstandardisierte Sterbeziffer der angeborenen Fehlbildungen des Herz-Kreislauf-Systems ist seit 1990 laufend zurückgegangen und hat 2016 mit 0,6 einen sehr niedrigen Wert erreicht. Bei Säuglingen im ersten Lebensjahr wurden in den letzten 25 Jahren 68 Prozent weniger Todesfälle verzeichnet. In keinem anderen Bereich der Herzmedizin ist die Sterberate derart drastisch gesunken.
"Bei den angeborenen Fehlbildungen des Herzens handelt es sich überwiegend um Kurzschlussverbindungen zwischen den Vorhöfen, den Herzkammern oder der Lungen- und der Hauptschlagader", erläutert Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. "Umgangssprachlich kann man sie als "Loch" oder "Leck" in den Herzscheidewänden oder "Kanal" zwischen den großen Gefäßen bezeichnen. Das Spektrum reicht von einfachen Fehlern, die das Herz-Kreislauf-System nur wenig beeinträchtigen, bis zu sehr schweren Herzerkrankungen, die unbehandelt zum Tode führen".
Die ersten erfolgreichen Operationen eines "Lecks" im Herzen (persistierender Ductus Botalli) wurden bereits 1938 in Düsseldorf und in Boston durchgeführt. Der eigentliche Urknall der Kinderherzchirurgie liegt jedoch noch nicht einmal 80 Jahre zurück: 1945 publizierte Chirurg Dr. Blalock aus Baltimore ein revolutionäres Operationsverfahren, das er auf Anregung der Kinderkardiologin Dr. Helen Taussig entwickelt hatte. Bis dahin galten angeborene Herzfehler, die mit einer Blausucht (Zyanose) einhergingen, als nicht heilbar. Die Blalock-Taussig-Shunt-Operation hat seither unzähligen Kindern, die aufgrund eines angeborenen Herzfehlers an lebensbedrohlichem Sauerstoffmangel litten, das Leben gerettet.
Seit Einführung der Operationen am offenen Herzen mit der Herz-Lungen-Maschine hat sich die Situation weiter gewandelt: Heute werden schon bei winzigen Säuglingen Kurzschlussverbindungen am Herzen zugenäht oder mit Kunststoff verschlossen, Herzklappen repariert oder durch Prothesen ersetzt. An 22 der 78 herzchirurgischen Fachabteilungen in Deutschland wurden 2016 2.168 Babys unter einem Jahr und 1.717 Kinder und Jugendliche bis zu 18 Jahren mit Unterstützung der Herz-Lungen-Maschine operiert.
Die Fortschritte der Kinderherzmedizin brachten auch ungeahnte Folgen mit sich: Jahr für Jahr gelangen nun rund 5.500 Menschen in Deutschland mit einem "reparierten" Herzfehler ins Erwachsenenalter. Die Fortführung ihrer kardiologischen Überwachung stellt den Medizinbetrieb vor neuartige Probleme, berichtet die Stiftung Kindergesundheit.
Nach Schätzungen des "Herzberichts 2018" leben zurzeit in Deutschland bereits mehr als 180.000 Erwachsene mit angeborenen Herzmissbildungen, die meisten von ihnen nach einer operativen Korrektur ihres Herzfehlers. Dass die angeborene Anomalie beseitigt worden ist, bedeutet aber in vielen Fällen keine völlige lebenslange Heilung: Häufig wird nur eine Korrektur erzielt, bei der vorhersehbar ist, dass im Langzeitverlauf Probleme auftreten, die weitere medizinische oder chirurgische Maßnahmen erfordern.
"Menschen mit einem angeborenen Herzfehler stellen vom Neugeborenen bis zum Erwachsenenalter innerhalb der Herzmedizin eine kleine, aber in der Behandlungs- und Patientenvielfalt besondere Gruppe dar, die oft lebenslang eine abgestimmte Versorgung benötigt", betont Professor Berthold Koletzko. "Bis zum Teenageralter sind sie zwar bei den kinderärztlichen Kardiologen in guten Händen. Danach müssen aber logistische Fragen der Übergabe an die Erwachsenenmedizin, der sogenannten Transition gelöst werden".
Theoretisch sind zwei verschiedene Lösungen möglich: Im ersten Fall erfolgt die Patientenversorgung innerhalb einer einzelnen Klinik, in der PatientInnen aller Altersstufen (vom Säugling bis zum Greis) betreut werden. Diese Struktur existiert in Deutschland bislang nur an wenigen Institutionen. In den meisten anderen Fällen bestehen gemeinsame Sprechstunden der kinderkardiologisch und weitergebildeten (EMAH-zertifizierten) kardiologisch Behandelnden, die für eine gewisse Zeit gemeinsam betreuen.
Im Jahre 2017 gab es in Deutschland 325 zertifizierte EMAH-Ärztinnen und Ärzte, von denen 234 aus der Facharztgruppe der Kinderkardiologie und 91 aus der der Erwachsenen-Kardiologie stammen.
Die Mehrzahl der Kinder, die heute mit einem Herzfehler geboren werden, hat später gute Chancen, die Schule zu meistern und ein Abitur zu erlangen. Das ergab eine aktuelle Studie des "Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler", in der die Antworten von 2.600 Registerteilnehmenden und ihren Eltern auf eine umfassende gestaltete Online-Umfrage ausgewertet wurden.
Danach besuchen 83 Prozent der Kinder mit angeborenen Herzfehlern eine normale Grundschule. Unabhängig vom Schweregrad ihrer Grunderkrankung erreichen rund 46 Prozent die Hochschulreife. Das gelingt im Bundesdurchschnitt nur 32 Prozent aller SchülerInnen.
In vielen Studien wurde nachgewiesen, dass Folsäure für die gesunde Entwicklung von Rückenmark und Gehirn des Babys außerordentlich wichtig ist: Mit ihrer Hilfe lässt sich das Risiko von Fehlbildungen des kindlichen Nervensystems – von Neuralrohrdefekten, wie "Spina bifida" (offener Rücken) oder "Meningomyelozele" – deutlich verringern.
"Mangelt es an Folsäure während der Frühschwangerschaft, besteht auch eine erhöhte Gefahr für Herzfehler", betont Professor Berthold Koletzko. Doch eine Vorbeugung ist möglich: "Die zusätzliche Aufnahme von Folsäure aus Tabletten oder angereicherten Nahrungsmitteln vor der Befruchtung kann das Risiko des Auftretens von angeborenen Herzfehlern um bis auf die Hälfte reduzieren".
Auch aus diesem Grund empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit allen Frauen mit Kinderwunsch, neben einer folatreichen Ernährung nach Möglichkeit schon mindestens vier Wochen vor Beginn der Schwangerschaft mit der täglichen Einnahme von 400 Mikrogramm Folsäure in Form eines Präparats zu beginnen.