Finger aus buntem Plastik, die greifen können – aus dem 3D-Drucker. Die künstliche Hand ist rudimentär, die Idee aber revolutionär. Weltweit verfolgen Forscher das Ziel, Handprothesen zu entwickeln, die für jeden zugänglich und erschwinglich sind. Für Menschen ohne soziale Absicherung, die sich Hightech-Prothesen nicht leisten können, wäre das eine enorme Hilfe. Doch noch sind die Prototypen nicht massentauglich.
Wer das Pech hat, eine Hand zu verlieren, aber im Umkreis von Omaha lebt, der kann direkt bei Jorge Zuniga eine künstliche Hand bekommen. Aus Plastikgliedern und Kordeln. Die Glieder kommen aus dem 3D-Drucker. Zunigas Mission: individuell angepasste, günstige Prothesen für Menschen, die sich das sonst nicht leisten könnten. “Aber es ist noch zu früh, um der Masse helfen zu können”, sagt er.
Zuniga leitet an der Creighton University in Omaha (US-Staat Nebraska) das Projekt “Cyborg Beast”. “Die Forschung steht noch sehr am Anfang”, sagt er. Das einfachste Modell funktioniert rein mechanisch – mit den Muskeln des Trägers. Durch die verschraubten Glieder der Plastik-Hand laufen Kordeln, die von den Muskeln bewegt werden. Die Finger ziehen sich dann zusammen oder strecken sich.
Diese Prothesen ermöglichen nur eine Greifbewegung – ähnlich wie eine Zange. “Besser das als gar nichts”, sagt Boris Bertram, Leiter der Abteilung für Armprothetik an der Universitätsklinik Heidelberg. “Funktionell sind diese Hände sehr gut – auch wenn es nicht dem entspricht, was zum Beispiel in Deutschland Stand der Technik ist.” Bertrams moderne Prothesen kosten mindestens 2000 Euro für eine unbewegliche Variante – und bis zu 75 000 Euro für eine hochfunktionelle Teilhand mit Silikonschaft.
In Deutschland tragen die Krankenkassen die Kosten von Prothesen – in vielen anderen Ländern nicht. Gerade dort hat die Idee einer Open-Source-Prothese großes Potenzial, denn der Bedarf ist groß. Nicht nur nach Unfällen brauchen Menschen neue Gliedmaßen. Manche werden ohne Finger oder Hände geboren, andere verlieren Extremitäten durch Minen oder andere Waffen. Auch viele Diabetes-Patienten büßen Beine oder Arme ein.
Insgesamt schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Zahl der Menschen mit einer Behinderung auf eine Milliarde. 80 Prozent davon leben in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, wo der Zugang zu medizinischer Grundversorgung beschränkt ist. Für die meisten von ihnen sind künstliche Hightech-Gliedmaßen unerreichbar.
“Es ist eine große Herausforderung, Prothesen zu jenen Menschen zu bringen, die sie am meisten brauchen”, sagt Zuniga. Wo Armut herrscht, ist meist auch ein 3D-Drucker fern. Die Organisation E-Nable versucht daher, die sogenannte Robohand über eine Online-Gemeinschaft von Freiwilligen zugänglich zu machen. E-Nable bringt über ihr weltweites Netzwerk Patienten und Besitzer von 3D-Druckern in Kontakt, auch Zuniga ist Mitglied. Auf diesem Weg gibt es die fertige Prothese mitunter sogar kostenlos.
Die Designs von Zuniga und andere Modelle sind im Internet als Open-Source-Datei frei verfügbar. Auf der Website Thingiverse sammeln und tauschen Nutzer digitale Design-Daten. Das Material für einen Hand-Bausatz kostet etwa 20 bis 50 US-Dollar (18 bis 45 Euro). Wer Internet und Zugang zu einem 3D-Drucker hat, kann eine Hand-Prothese ausdrucken. Manche Druckpläne sind allerdings lizenziert und müssen bezahlt werden.
Die 3D-Drucker legen durch Schmelzschichtung (Fused Deposition Modeling) Schicht um Schicht von geschmolzenem Plastik aufeinander. Strangpressen bewegen sich in drei Dimensionen und folgen dabei den Koordinaten aus einer digitalen Datei.
Noch ist das Ganze ein Experiment. “Und das muss man auch deutlich machen, wenn man solche Hände nach außen gibt”, sagt Zuniga. Seine bisherigen Erfahrungen: Bei Temperaturen über 50 Grad Celsius passen die Plastik-Prothesen nicht mehr gut. Und im Gebrauch bricht eine von fünf Händen an irgendeiner Stelle. “Man muss den Leuten sagen: Sie sind nicht sehr haltbar.”
Kinder können mit solchen Modellen schwimmen, sich an einer Schaukel festhalten oder einen Fußball fangen, aber nicht am Klettergerüst turnen. Ein voller Ersatz für eine Hand sind diese Prothesen also nicht. “Aber auch modernste Bauteile stoßen irgendwann an Grenzen”, sagt der Experte Bertram. Selbst mit Hightech-Modellen sei ein Handstand undenkbar.
Deutsche Sanitätshäuser und Kliniken dürften die einfachen Ersatzhände aus dem 3D-Drucker nicht herstellen, da sie dem Medizinproduktegesetz unterliegen. “Das soll den Patienten schützen”, sagt Bertram – die Materialien seien für den deutschen Markt nicht geprüft und zugelassen.
Moderne Prothesen funktionieren myoelektrisch: Sie nutzen elektrische Spannung, die in den Muskelzellen über biochemische Prozesse entsteht. Diese fortgeschrittene Technologie wollen drei junge Ingenieure und Designer in Japan nun auch für Hand- und Armprothesen aus dem 3D-Drucker nutzen. Ihr Tokyoter Unternehmen Exiii entwickelt gerade den Prototyp Handiii. Der Plan soll ebenfalls frei im Netz zugänglich sein. Die Materialkosten liegen bei rund 300 US-Dollar (rund 270 Euro).
Handprothesen zu entwickeln, die sich jeder leisten kann: Daran hat – soweit bekannt – zuerst Richard Van As gearbeitet. Aus eigener Not. Der Zimmermann aus Südafrika schnitt sich 2011 bei einem Unfall vier Finger der rechten Hand ab. Heute kann er trotzdem wieder arbeiten. Zusammen mit dem Washingtoner Special-Effects-Künstler Ivan Owen baute er sich eine Robohand aus dem 3D-Drucker. Die beiden Pioniere machten ihre Baupläne auf Thingiverse zugänglich.
Die Robohand zusammenzubauen ist nicht viel schwieriger als ein komplexes Lego-Modell – und so sieht sie auch aus. “Sie ist kosmetisch eher fragwürdig. Das ist ein Standard, den man in Deutschland ganz schlecht verkauft kriegt”, sagt Bertram.
In Ländern wie Uganda oder Sierra Leone ist das anders. Eine Behinderung bedeutet dort meist ein Leben ohne Versorgung, in Armut. Eine aus privilegierter Sicht provisorische Prothese kann die Rettung sein. Und manche Kinder in den USA liebten Plastikhände im Roboter-Style, heißt es in Berichten über “Cyborg Beast”. In Japan werben die Macher von Handiii sogar mit dem Maschinen-Look – als Alternative zur hautfarbenen, puppenartigen Standard-Prothese. 3D-Innovation statt Einheitsbrei.
Text und Foto: dpa /fw