Auf europäischer Ebene wird derzeit diskutiert, den Zulassungsprozess von neuen Arzneimitteln zu verkürzen und dafür bisherige Zulassungsstandards für Hersteller zu senken. Aus Sicht der gesetzlichen Krankenversicherung ist jedoch Vorsicht geboten: “So verständlich die Hoffnung auf Heilung oder Linderung einer Krankheit durch neue Arzneimittel ist, sie darf nicht mit einer partiellen Abkehr vom Grundsatz Sicherheit als Bedingung für die Marktzulassung erkauft werden”, warnt Johann-Magnus v. Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes.
Der GKV-Spitzenverband fordert, dass eine solide wissenschaftliche Evidenzgrundlage für die Prüfung von Wirksamkeit und Risiko von neuen Arzneimitteln vor ihrer Zulassung weiterhin oberste Priorität haben müsse. “Wir dürfen nicht hinter den Sicherheitsstandard zurückfallen, den der Gesetzgeber aufgrund der leidvollen Erfahrungen mit dem Contergan-Skandal in den 1970er Jahren gesetzt hat. Robuste, vergleichende Phase-III-Studien sind zentral, um die vom Hersteller behauptete Wirksamkeitsannahme zu bestätigen und mögliche schwere Nebenwirkungen unter intensiver medizinischer Betreuung der freiwilligen Studienteilnehmer zu erkennen, bevor das Produkt in der breiten Regelversorgung eingesetzt wird. Beschleunigte Zulassungen von Arzneimittel müssen daher Ausnahmen für echte medizinische Versorgungslücken bleiben”, so v. Stackelberg.
Bereits heute hat die europäische Zulassungsbehörde (EMA) mehrere Möglichkeiten, bei der Zulassung von neuen Arzneimitteln den Zugang von Patienten zu neuen Arzneimittel zu beschleunigen (z. B. die bedingte Marktzulassung oder die Marktzulassung unter besonderen Umständen). Im Frühjahr 2014 hat die EMA ein Pilotprojekt (“Adaptive Pathways”) gestartet, um die bereits bestehenden Sonderwege unter einem einheitlichen Konzept einer beschleunigten Marktzulassung von Arzneimitteln trotz limitierter Datenbasis zusammenzuführen. Das neue Arzneimittel würde danach entweder zunächst nur für eine kleine Patientengruppe mit einer medizinischen Versorgungslücke zugelassen werden. Oder es würde eine bedingte Zulassung auf Basis einer unsicheren Datenlage erteilt werden. Die konventionellen Nachweisstandards für Zulassungen würde die EMA in diesen Fällen absenken.
Unter anderem soll gerade die für Sicherheitsfragen besonders relevante Phase III-Studie, also vergleichende Tests mit einer größeren Personengruppe, vor Erteilung der Zulassung nicht mehr zwingend notwendig sein. Im Gegenzug verpflichtet sich der Unternehmer, nach der Zulassung ergänzende Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit nachzureichen. Liegen mit der Zeit ausreichende Daten vor, will die EMA die zunächst bedingte Zulassung zu einer will die EMA die zunächst bedingte Zulassung zu einer “Vollzulassung” hochstufen oder das anfangs begrenzte Einsatzgebiet sukzessive um zusätzliche Anwendungsgebiete erweitern.
Sorge bereite dem GKV-Spitzenverband vor allem die Bereitstellung der Informationen von Seiten der Hersteller und appellierte an eine zeitgerechte Bereitstellung der Studien.. Zwischen Januar 2006 und Juni 2015 ließ die EMA dem GKV zufolge 490 Arzneimittel zu, davon erhielten 26 eine bedingte Zulassung. Von diesen 26 Arzneimitteln seien nur zehn auf Basis der vom Hersteller nachgelieferten Daten in eine reguläre Zulassung überführt (38,5 Prozent) worden. Im Durchschnitt dauere es bis zur Hochstufung zur Vollzulassung fünf Jahre, in denen Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels nicht auf regulärem Niveau abgesichert seien. Zu beobachten sei, dass die EMA ihre vor Zulassung formulierten Studienauflagen im Nachgang absenkt. In keinem Fall sei wegen nicht erfüllter Auflagen die Zulassung entzogen würden, hieß es von Seiten des GKV.
Text: PM/vt
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