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Gesunde Nahrungszufuhr liegt im Auge des Betrachters

Eine israelische Studie, die Blutzuckerspiegel von 800 Personen eine Woche lang überwachte, kommt zu der Schlussfolgerung, dass selbst bei identischer Nahrungszufuhr, die Metabolisierung zwischen d

Eine israelische Studie, die Blutzuckerspiegel von 800 Personen eine Woche lang überwachte, kommt zu der Schlussfolgerung, dass selbst bei identischer Nahrungszufuhr, die Metabolisierung zwischen den Menschen variiert.

Die neuen Erkenntnisse wurden am 19. November im Journal Cell veröffentlicht und demonstrieren, wie entscheidend eine individuell angepasste Nahrungsaufnahme ist, wenn es darum geht, persönliche Gesundheitsziele zu erreichen.

Die neue Studie (DOI: 10.1016/j.cell.2015.11.001), unter der Leitung von Eran Segal und Eran Elinav vom Weizmann Institute of Science in Israel, fand jetzt heraus, dass der glykämische Index (GI) keinesfalls einen auf jeden Menschen passenden Wert darstellt. Stattdessen hängt er stark von dem jeweiligen Individuum ab und unterliegt großen Schwankungen.

Für alle Teilnehmer sammelten die Autoren detaillierte Daten mit Hilfe von Fragebögen, Körpermaßen, Blutuntersuchungen, Blutzuckermessungen, Stuhlproben und einer Smartphone-App zur Ermittlung von Lebensstil sowie Nahrungsaufnahme. Insgesamt wurden auf diese Weise 46.898 Mahlzeiten vermessen und analysiert. Zusätzlich zu den Messungen erhielten die Probanden identische Mahlzeiten als ihr Frühstück.

Wie anfangs erwartet, waren die postprandialen Veränderungen der Blutzuckerspiegel unter Anderem vom Alter und dem BMI der Probanden abhängig. Weniger bekannt war jedoch, dass die verschiedenen Menschen hochgradig unterschiedliche Reaktionen auf das eigentlich identische Essen zeigten. Diese individuellen Blutzuckerveränderungen modifizierten sich dabei nicht etwa von einem Tag zum anderen, sondern blieben am Patienten konstant.

Segal von der Abteilung für Computerwissenschaften und angewandte Mathematik sagt: “Die meisten Ernährungsempfehlungen, die heute im Umlauf sind, basieren auf Grading-Systemen wie dem GI. Was bei ihnen jedoch oft nicht berücksichtigt wurde, beziehungsweise noch nicht bekannt war, ist, dass es entscheidende Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen gibt. Diese Unterschiede gehen so weit, dass in manchen Fällen zwei Menschen komplett gegensätzlich auf ein Lebensmittel reagieren. Diese Umstände stellen eine große Wissenslücke in der gegenwärtigen Literatur dar.”

Ein Schritt in Richtung “personalisierte Ernährung”

Mit der Compliance der Probanden stehen und fallen die meisten Ernährungsstudien. Ihre Resultate sind stark davon abhängig, ob die Teilnehmer außerhalb der Labore und Forschungszentren die vorgegebenen Diäten befolgen und ob sie ihre Nahrungsaufnahme ehrlich dokumentieren. Im Rahmen der vorgestellten Weizmann-Studie wurden die Teilnehmer dazu aufgefordert, ihre wöchentliche Routine in zwei Punkten abzuändern: zum einen sollten sie jeden Morgen ein standardisiertes Frühstück, bestehend aus Brot und Glukose, zu sich nehmen und zum anderen waren sie dazu angehalten, alle Mahlzeiten in einer mobilen Tagebuch-App zu dokumentieren. Im Gegenzug dafür erhielten die Probanden eine von den Wissenschaftlern erstellte Analyse ihrer persönlichen Reaktionen auf bestimmte Lebensmittel. Wie auch die ganze Studie, stützten sich diese Analysen auf eine strikte Befolgung des Studienprotokolls. Elinav und Segal beobachteten, dass die Aussicht auf eine persönliche Analyse einen starken Motivator für die Probanden darstellte. Dies spiegelte sich auch in den Ergebnissen der Studie wider.  So stimmten die Angaben zur Nahrungsaufnahme, welche durch die Teilnehmer gemacht wurden, sehr gut mit den biometrischen Daten des Blutglukose-Monitorings überein.

Das individuelle Feedback ergab viele Überraschungen für Probanden und Arbeitsgruppe. In einem Fall erfuhr eine Frau mittleren Alters mit Adipositas und Prä-Diabetes, dass ihre vermeintlich “gesunde” Ernährung in Wahrheit zu ihren gesundheitlichen Problemen beigetragen haben könnte. So beobachteten die Wissenschaftler, dass ihr Blutzucker nach dem Verzehr von Tomaten sehr markant und immer wieder anstieg. Zuvor waren bei ihr verschiedene Diäten gescheitert.

“Deshalb würden in einer für diese Frau zugeschnittenen Diät keine Tomaten vorkommen. Andererseits ist es vorstellbar, dass Lebensmittel, die viele von uns als nicht sonderlich gesund einordnen würden, für sie gut sind und ihr deshalb empfohlen werden würden”, erklärt Elinav. “Bevor diese Studie durchgeführt wurde, hätte niemand ihr derart individuelle Empfehlungen zur Vermeidung einer Progression ihres Prä-Diabetes geben können.”

Gegenwärtige Annahmen zu Adipositas und Diabetes grundlegend falsch?

Um zu verstehen, warum so große Unterschiede zwischen den Menschen existieren, führten die Forscher Mikrobiom-Analysen an Stuhlproben durch, welche sie zuvor von jedem Teilnehmer gesammelt hatten. Immer mehr Erkenntnisse deuten heutzutage darauf hin, dass Darmbakterien eng mit Adipositas, Glukoseintoleranz und Diabetes verknüpft sind. Auch im Rahmen dieser Studie konnte gezeigt werden, dass bestimmte Mikroben tatsächlich damit korrelieren, wie stark der Blutzucker nach einer Mahlzeit ansteigt. Durch das Erstellen und Anwenden von personalisierten Ernährungsinterventionen für 26 zusätzliche Studienteilnehmer, konnten die Forscher den Anstieg der Blutuckerspiegel nach einer Mahlzeit verringern und die Darmflora verändern. Interessant ist dabei, dass obwohl die Diäten der Teilnehmer personalisiert und somit sehr unterschiedlich waren, die beobachteten Veränderungen der Darmflora, über die verschiedenen Teilnehmer hinweg, ähnlich bis übereinstimmend waren.

Segal kommentiert die Ergebnisse folgendermaßen: “Seitdem ich  diese Daten kenne, denke ich ernsthaft über die Möglichkeit nach, dass wir in unseren gegenwärtigen Annahmen zu Adipositas und Diabetes grundlegend falsch liegen. Wir alle denken, dass wir wissen würden, wie diese Zustände zu behandeln sind. Wenn diese Behandlungen dann jedoch keine Wirkung zeigen, sind unsere Begründungen immer dieselben: Der Patient befolgt die Anweisungen nicht und isst nach wie vor zu viel. Der eigentliche Grund könnte jedoch darin liegen, dass die Menschen zwar folgsam agieren aber ihre Empfehlungen schlichtweg falsch sind.”

“Es ist unter Ernährungswissenschaftlern und Ärzten allgemein bekannt, dass ihre Patienten sehr unterschiedlich auf zugewiesene Diäten reagieren”, fügt er hinzu. “Wir können in den Daten sehen, dass die allgemeinen Empfehlungen den Menschen nicht immer helfen. Meine Hoffnung ist, dass es uns gelingt das Boot, auf dem Ernährungsexperten gegenwärtig fahren, in Bewegung zu bringen und in eine neue Richtung zu lenken.”

Die Wissenschaftler hoffen, dass das in diesem grundlegenden Projekt Gelernte auf ein größeres Publikum übertragen werden kann, indem Fragebögen und Tagebücher vereinfacht sowie präzisiert werden. So könne sich jedermann nach einer Weile seinen personalisierten Ernährungsplan erstellen und diesen verfolgen.

Text: esanum/ pvd

Foto: pixfly / Shutterstock.com