Die Pandemie ist auch für die Krankenkassen eine Ausnahmesituation. Etliche Krisenmaßnahmen gehen auf ihr Konto, manche Ausgaben fallen aber auch weg. Die finanzielle Ausgangslage könnte günstiger sein.
Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) sind mit einem Milliarden-Defizit ins Jahr gestartet - und das schon bevor die Effekte der Corona-Krise voll durchgeschlagen haben. Nach den ersten drei Monaten stand unterm Strich ein Minus von 1,3 Milliarden Euro, wie das Bundesgesundheitsministerium mitteilte. Dabei hatten die 105 Kassen Ende März noch 18,3 Milliarden Euro an Finanzreserven nach 19,8 Milliarden Euro zum Jahreswechsel. Das entsprach nun im Schnitt 0,83 Monatsausgaben - das ist viermal mehr als vorgeschrieben. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sicherte einen zusätzlichen Zuschuss des Bundes von 3,5 Milliarden Euro für dieses Jahr zu.
Die Finanzlage entwickelt sich damit vorerst weiter schwierig - schon ohne die Ausnahmesituation einer Pandemie. Nach Jahren mit brummender Konjunktur und komfortablen Zahlen waren die Kassen 2019 erstmals seit 2015 überhaupt wieder ins Minus gerutscht, und zwar mit 1,5 Milliarden Euro. Die Zahlen für das erste Quartal 2020 sind aber noch wenig aussagekräftig, wie Spahn erläuterte. Belastbare Prognosen seien erst im Herbst zu treffen. Dann sollen Finanzdaten für den Zeitraum April bis Ende Juni vorliegen, also für die Hochphase der Corona-Krise.
Spahn betonte aber auch: "Nach vielen Jahren finanzieller Stabilität müssen wir uns darauf einstellen, dass die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben größer werden wird." Die Pandemie wirke sich auch auf die Kassen-Finanzen aus. Die große Frage ist nur: Wie genau? Spahn sendet mit dem angekündigten Bundeszuschuss jedenfalls schon eine Beruhigungsbotschaft: "In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist das ein gutes und richtiges Signal an Beitragszahler und Arbeitgeber."
Tatsächlich gibt es durchaus verschiedene Corona-Effekte für die Kassen. Da sind auf der einen Seite zusätzliche Ausgaben durch die Pandemie wie Hilfen für Krankenhäuser, Ärzteschaft und PhysiotherapeutInnen oder Corona-Tests. Auf der anderen Seite stehen aber auch eingesparte Ausgaben, zum Beispiel durch verschobene Operationen oder teils viel weniger PatientInnen in den Praxen. Solche Behandlungen könnten natürlich demnächst nachgeholt werden.
Im Finanzergebnis des ersten Quartals 2020 spielte all das nur für einige Märztagen eine Rolle. Daraus lasse sich keine Prognose für das gesamte Jahr ableiten, sagte auch die Chefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer. In den ersten drei Monaten hätten sich vor allem höhere Leistungsausgaben im Vergleich zum Vorjahresquartal wegen "kostentreibender Reformen" der vergangenen Jahre niedergeschlagen - etwa für schnellere Arzttermine. "Das Milliardendefizit geht auf die Kappe der großen Koalition", sagte FDP-Fachpolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus.
Konkret kamen bei den gesetzlichen Kassen im ersten Quartal 65,1 Milliarden Euro an Einnahmen über den Gesundheitsfonds als Verteilstelle herein - vier Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Dem standen Ausgaben von 66,4 Milliarden Euro gegenüber, das waren 5,6 Prozent mehr. Nur eine Kasse kam laut Ministerium auf ein ausgeglichenes Finanzergebnis, alle anderen machten Defizite.
Neben direkten Gesundheitseffekten dürften aber auch Nebenwirkungen der Corona-Krise auf Wirtschaft und Beschäftigung die Kassenfinanzen belasten - nämlich über weniger Beitragseinnahmen. Für das Gesamtjahr seien wegen des Konjunktureinbruchs nach derzeitigem Stand Mindereinnahmen der GKV von vier bis fünf Milliarden Euro zu erwarten, erläuterte das Ministerium. Da die große Koalition sich dazu bekannt hat, die Sozialabgaben nicht über die Grenze von 40 Prozent der Löhne steigen zu lassen, kommen Bundeszuschüsse in den Blick. In welchem Umfang 2021 zusätzliche Mittel für Kranken- und Pflegeversicherung kommen müssen, soll im Herbst entschieden werden.