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Genexpressionanalysen bei Brustkrebs offiziell empfohlen

Die AGO, eine Expertengruppe der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Deutschen Krebsgesellschaft, bestätigt den Nutzen von vier Genexpressionanalysen mit höchstem medizinischen Evidenzgrad 1. Sie gelten für die Bestimmung von Subgruppen von Patientinnen, die auf eine Chemotherapie gegen Brustkrebs verzichten können.

Fundierte Entscheidungskriterien anstatt Bauchgefühl

Die AGO, eine Expertengruppe der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Deutschen Krebsgesellschaft, aktualisiert jährlich die Leitlinien zur Diagnose und Behandlung von Patientinnen mit primärem und metastasiertem Brustkrebs.

Im März 2017 bestätigte die Kommission den Nutzen von vier Genexpressionanalysen mit höchstem medizinischen Evidenzgrad 1. Sie gelten für die Bestimmung von Subgruppen von Patientinnen, die auf eine Chemotherapie gegen Brustkrebs verzichten können. Bei ihnen ist das Rezidivrisiko so gering, dass die Vermeidung einer Chemotherapie gerechtfertigt ist. Fragen dazu an Dr. med. Rachel Würstlein, Geschäftsführende Oberärztin am Brustzentrum der Universität München

esanum: Frau Dr. Würstlein, was bedeutet das AGO Update 2017 für die medizinische Praxis?

Würstlein: Wo wir früher oft auf unser Bauchgefühl hören mussten, haben wir seit einigen Jahren wissenschaftlich fundierte Entscheidungskriterien. Die AGO empfiehlt nun erstmals offiziell alle vier Genexpressionanalysen, MammsPrint, Oncotype DX, Endopredict, Prosiqna. Sie sind alle mit Plus, mit Sternchen beurteilt. Die AGO hat damit ganz klar gesagt, dass die Tests allen Patientinnen zur Verfügung stehen müssen, wenn die Indikation dafür gegeben ist.

esanum: Welche Indikationen sind das? Wer wird getestet?

Würstlein: Frauen mit frühem, also nichtmetastasiertem Brustkrebs, die einen Hormonrezeptor positiv haben, Her 2 negativ sind, und 0 bis 3 befallene Lymphknoten haben, bei denen man nicht anhand von anderen Faktoren ganz klar sagen kann: hier liegt ein Niedrigrisiko vor, Chemotherapie ist nicht notwendig oder eben umgekehrt, hier sehen wir ein Hochrisiko, da ist Chemo zwingend. Es geht um all jene, bei denen wir uns nicht so sicher sind. Das betrifft rund 20 Prozent der 75.000 Burstkrebspatientinnen pro Jahr.

esanum: Sind alle vier Gen-Tests gleichwertig?

Würstlein: Sie sind in der Indikationsstellung alle gleich gut bewertet worden. Und bei den AGO Zusatzslides, die alle Vor- und Nachteile berücksichtigen, sehen wir gewisse Unterschiede:  verschiedene Nachbeobachtungszeiten, unterschiedliche Patientengruppen, also mal ist die junge Frau mit drin, mal nicht. Danach unterscheiden wir auch im klinischen Alltag, welchen Test wir jeweils nehmen. Zwei der Tests haben prospektive 5-Jahres-Studiendaten: MammaPrint und Oncotype DX und damit die höchste Evidenz. Doch die Bewertung ist bei allen vier Tests ein Plus. Für die medizinische Praxis ist das AGO Update 2017 eine ganz klare Bestätigung, dass die Genexpressionanalysen in die klinische Routine für diese Patientinnen in der mittleren Risikosituation gehören. Ein Doppelplus in der AGO-Leitlinie gibt es erst dann, wenn die Tests zugelassen sind in Deutschland.

esanum: Was genau ist jetzt neu?

Würstlein: Wir wissen schon länger, dass die Tests gut und sinnvoll sind, aber es wurde immer danach gerufen, wir brauchen fünf-Jahres-Daten. Und das hat man jetzt für zwei der Tests: Oncotype DX und MammaPrint. Es sind wertvolle, prospektive Daten, das heißt, man hat den Test gemacht, und danach entschieden, Chemo ja oder nein, und weiß jetzt, fünf Jahre später, dass diese Entscheidung richtig war. Die Mindact-Studie belegt zum Beispiel ein Fünf-Jahres Follow-up für den MammaPrint-Test.  Mindact ist die letzte große Publikation dazu, die speziell zu MammaPrint Aussagen trifft. Sie ist im August 2016 publiziert worden.

esanum: Welche Verbesserungen werden MammaPrint & Co für die Patientinnen bringen?

Würstlein: Das ist eine relevante Verbesserung für die Frauen. Die Bestätigung, dass die Entscheidung, die wir getroffen haben, auch nach fünf Jahren noch die richtige war, bringt Sicherheit. Und zwar in beide Richtungen. Wenn der Test sagt: hohes Risiko, dann ist es wirklich sinnvoll, dass man die Chemotherapie macht, weil damit die Prognose verbessert wird. Und wenn der Test sagt, niedriges Risiko, dann müssen wir die Patientin jetzt wirklich keiner unnötigen Belastung mehr aussetzen.

esanum: Können Sie damit auch Patientinnen überzeugen, die Chemotherapie prinzipiell ablehnen?

Würstlein: Wer von vornherein keine Chemo will, den unterziehe ich auch keinem Test.

esanum: Wie ist es mit den Kosten?

Würstlein: Eine generelle Kostenübernahme der Versicherungen fehlt. Einzelne Krankenkassen übernehmen es trotzdem bereits. Aber alle Hersteller-Firmen haben ein so genanntes Patienten-Support-Programm. Falls die Kasse die Kosten also nicht trägt, wird die Patientin nicht finanziell belastet. Das Finanzproblem wird zwischen Kasse und Firma ausgetragen. Momentan warten wir alle auf das Votum des GBA zur künftigen Kostenübernahme der Versicherungen.

esanum: Wie wird der Test durchgeführt?

Würstlein: Das ist relativ einfach. Wenn wir nach der OP die entsprechenden Ergebnisse haben, also u.a. die Größe des Tumors, die Schnittränder und den Lymphknotenbefund  und dann in der Tumor-Konferenz bei Hormonrezeptor positiv eine mittlere Risikolage sehen, dann unterschreibt die Patientin die entsprechenden Unterlagen, und ein Teilchen vom Tumor aus der Pathologie  wird dann z.B. beim MammaPrint in die Niederlande geschickt, bei anderen Tests in die USA oder in deutsche Labore. Dort wird das analysiert und innerhalb von acht bis zehn Tagen bekommen wir den Befundbericht. Der enthält einen Score, mit dem wir den Tumor klassifizieren können. Und dann trifft die Patientin nach eingehender Beratung die Entscheidung: Mache ich nur die antihormonelle Therapie oder mache ich erst die Chemotherapie und danach noch die antihormonelle Therapie.

esanum: Werden jetzt, nach der positiven AGO-Bewertung, die Tests vermehrt eigesetzt?

Würstlein: Ja, das Ganze fängt nun an, justiziabel zu werden. Wir haben bereits die ersten Gutachten zu Streitigkeiten erstellt. Und zwar sowohl von Patienten, bei denen der Test gemacht wurde als auch von jenen, wo er nicht gemacht wurde. Es gibt Patientinnen, die sagen, ich habe eine Chemo gemacht, aber hätte man nicht testen müssen, ob ich die wirklich brauche - gerade wenn es zu schweren Nebenwirkungen gekommen ist. Oder umgekehrt, wenn nach zwei Jahren Metastasen da sind, und keine Chemo gemacht wurde, sagt die Patientin: natürlich hätte ich auch so einen Test haben wollen. Also: wir müssen den Frauen unbedingt anbieten, was es gibt. Und dazu hat die AGO jetzt ihr klares Statement abgegeben. Alle Frauen, auf die die Kriterien zutreffen, sollten die Chance bekommen, den Test zu machen - obwohl es vom Gesetzgeber nicht vorgeschrieben ist. Die guten Brustzentren bieten es trotzdem an. Wenn ich als Arzt bei der Plus-Empfehlung der AGO den Test nicht mache, sollte ich eine gute Begründung dafür haben.

esanum: Werden nun weniger Frauen einer Chemotherapie unterzogen?

Würstlein: Ja, ganz klar, die Zahl der Frauen wird steigen, die keine Chemotherapie bekommen, ohne dass sich ihr Überleben verschlechtert.

esanum: Hilft die genomische Bestimmung auch Patientinnen mit einer klinisch hohen Risikobewertung und einer Indikation für eine Chemotherapie?

Würstlein: Natürlich. Es geht ja auch um Motivation. Die wird vom Test erhöht. Denn, die Patientin weiß: die Gene des Tumors sind für mich persönlich untersucht worden, das leuchtet der Patientin ein. Sie bekommt eine klare, rationale Begründung und erträgt auch Nebenwirkungen möglicherweise leichter. Wir vermeiden in jedem Fall eine Untertherapie, weil genau die richtigen Patientinnen identifiziert werden, die eine Chemo brauchen – so bekommen auch weniger von ihnen Metastasen.

esanum: Wie geht es weiter bei der Bestrahlung. Sind da auch diagnostische Änderungen in Sicht?

Würstlein: Auf unserer großen Brustkrebs-Tagung in ST. Gallen war dieses Jahr das Thema: “Deeskalation der Therapie“. Wir wollen aufhören, Dinge sicherheitshalber bei allen Patienten zu machen, nur weil bestimmte Patientengruppen davon profitieren. Bisher verursachen wir damit einen riesigen Kosten- und Ressourcen-Aufwand mit vielen Nebenwirkungen für die Patientin. Vielleicht können wir die 25 Prozent derer, die Bestrahlung wirklich brauchen, weil sie ein Risiko für ein Lokalrezidiv haben, in ein paar Jahren sicher identifizieren. Da wird derzeit viel geforscht. Die Vermeidung von Über- und Untertherapien in den relevanten Patientengruppen ist DAS Thema bei Diagnostik und Therapie in allen Bereichen bei Brustkrebs.

esanum: Ab wann erwarten Sie den flächendeckenden Einsatz von Oncotype DX, MammaPrint und weiteren Tests?

Würstlein: Momentan warten wir auf die Beurteilung des GBA. In den USA sind die Tests seit fünf Jahren Routine. Aber wie gesagt, auch jetzt schon wird das einer Patientin, die sich informiert und die in ein gutes Brustzentrum geht, nicht vorenthalten. Man muss darüber sprechen und die Patientin über diese Möglichkeit aufklären. Das ist seit der AGO-Empfehlung nicht mehr optional und experimentell.