Als die Autismus-Spektrum-Störung erstmals in den 1940er Jahren beschrieben wurde, sah man sie als Folge einer Störung in der frühen Kindheit. In Zwillingsstudien konnte jedoch gezeigt werden, dass die Autismus-Spektrum-Störung, im Englischen Autism Spectrum Disorder (ASD), eine gewisse Vererbbarkeit aufweist. Darum wurde in der Forschung nach genetischen Komponenten gesucht. Das volle Ausmaß der genetischen Beteiligung in der autistischen Störung ist derzeit aber noch unbekannt. Da es aber einige Hinweise für eine genetische Beteiligung gibt und die ASD eine sehr komplexe Störung ist, bewerten viele Forscher die Suche nach den genetischen Anhaltspunkten als lohnenswert.
In den vergangenen Jahren wurden mehrere Gene gefunden, die potenziell in die Entwicklung der Autismus-Spektrum-Störung verwickelt sind. Dr. Hakon Hakonarson und sein Team vom pädiatrischen Krankenhaus in Philadelphia erforschen potenzielle molekulare Marker und ihre Rolle in anderen Erkrankungen. Ein bemerkenswerter Aspekt des Autismus ist sein Vorkommen bei einer Zahl von grundverschiedenen genetischen Erkrankungen. Zum Beispiel ist die ASD oft assoziiert mit dem Mikrodeletionssyndrom 22q11, das auch unter dem Namen DiGeorge-Syndrom bekannt ist, mit dem fragilen X-Syndrom und der tuberösen Sklerose.
Die Ursachen der Autismus-Spektrum-Störung sind noch unklar. Dafür sind die Mechanismen der Krankheiten, die autistische Merkmale aufweisen, wie das fragile X-Syndrom und die tuberöse Sklerose, besser verstanden. In Studien konnte gezweigt werden, dass die Signalübertragung bei diesen genetischen Störungen über einen bestimmten Glutamatrezeptor (mGluR5) läuft und dass dieser Stoffwechselweg signifikante Bedeutung hat. Das Gen, das den mGluR5 codiert, heißt RANBP1 und wird mit einer Reihe von neuropsychiatrischen Störungen in Verbindung gebracht. In Versuchen wurde der mGluR5 bei bestimmten Mäusen, bei denen das fragile X-Syndrom simuliert wird, blockiert und man konnte ein Abklingen der ASD assoziierten Symptome feststellen. Die derzeitigen Bemühungen von Dr. Hakonarson fokussieren sich ausdrücklich auf die Funktionsweise des mGluR5 bei Patienten mit einer ASD im Vergleich zu Patienten mit einem Mikrodeletionssyndrom 22q11.
Das Mikrodeletionssyndrom 22q11 tritt bei einem von 2.000 bis 4.000 Individuen auf und wird oft von Ärzten übersehen. Die genetische Krankheit beinhaltet Störungen auf bestimmten Regionen des Chromosoms 22. Diese Mutation verursacht eine Unzahl von Symptomen, die von Magen-Darm-Störungen, kardialen Symptomen, Veränderungen des Immunsystems, Defekten im Gesicht und am Gaumen bis zu Lernschwierigkeiten reichen. Auch die ASD gehört zum Spektrum der Symptome, die im Rahmen eines Mikrodeletionssyndroms 22q11 auftreten können.
Vorarbeiten von Hakonarson zeigen, dass die RANBP1 Gene bei Patienten mit einer ASD mit einer höheren Wahrscheinlichkeit verändert sind. In der aktuellen Studie wurde untersucht, ob Individuen mit einem Mikrodeletionssyndrom 22q11, die auch charakteristische autistische Züge tragen, ähnliche Veränderungen in ihren mGluR5 Genen vorweisen. Die Forscher haben die DNA von 539 Kindern, die an einem ASD leiden, mit der DNA von 75 Kindern, die an einem Mikrodeletionssyndrom 22q11 erkrankt sind, verglichen. Von den 75 Kindern mit einem Mikrodeletionssyndrom 22q11 zeigten 25 Kinder auch autistische Symptome. Die Proben wurden auf Duplikationen und Deletionen im RANBP1 Gen geprüft. "Auf der Grundlage unser derzeitigen Arbeit möchten wir verkünden, dass das RANBP1 Gen ein signifikanter genetischer Faktor bei der ASD und dem Mikrodeletionssyndrom 22q11 ist. Zusätzlich kann man sagen, dass es zu schweren Krankheitsverläufen kommt, sobald das mGluR5-Netzwerk an multiplen Stellen gestört ist."
Mutationen im RANBP1-Gen gehen den ASD-Symptomen nicht nur voraus. Je mehr Mutationen ein Individuum in dieser Region trägt, desto ausgeprägter sind seine Symptome. Diese Art von genetischer Forschung führt uns einen Schritt näher an das Verständnis für diese mysteriösen und facettenreichen Erkrankungen. Mit einer ausführlichen und tiefgründigen Erforschung der genetischen Hinweise, kann es in Zukunft gegebenenfalls möglich sein, eine Therapie zu entwickeln.
Das untersuchte Gen ist womöglich nicht nur in der Pathogenese der ASD ein wichtiger Faktor, sondern auch in anderen neuropsychiatrischen Konditionen. Die Arbeit von Hakonarson ist Grundlage für mehrere weitere Publikationen aus dem Fachbereich Neuropsychiatrie und Vererbung:
* Dieser Beitrag ist erstmals 2016 erschienen und wurde um neue wissenschaftliche Kenntnisse erweitert.