Eine Schlagader ausdrucken und einbauen können die Ärzte an der Mainzer Uniklinik noch nicht. Aber die Operation an einem 3D-Druck üben sie schon. Damit gehören sie in Deutschland zu den experimentierfreudigsten Wissenschaftlern.
Mainz ist die Heimat von Johannes Gutenberg, dem Erfinder des Buchdrucks. Heute, mehr als fünf Jahrhunderte später, beherbergt die Stadt Menschen, die im 3D-Druck führend sind. Die Wissenschaftler an der Unimedizin Mainz drucken maßgeschneiderte dreidimensionale Modelle. Damit können sie Operationen zum Beispiel an Blutgefäßen besser planen.
Ein Pionier ist Bernhard Dorweiler, Leiter der Sektion Gefäßchirurgie und Vize-Direktor der Klinik und Poliklinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie. Er hätte wie die Ärzte in anderen Kliniken den 3D-Druck von Schlagadern auch an externe Firmen abgeben können. Doch Dorweiler sagt: "Ich wollte die Technik selber lernen." Weil sie sich ständig weiterentwickle, gebe es ohnehin noch keine Komplettlösung. Bei der Herstellung im 3D-Drucker sei er Statiker, Architekt und Ingenieur in einem.
Stolz zeigt Dorweiler einen seiner Drucke, ein rotes Gebilde mit mehreren Armen. "Es stammt von einer Patientin, die eine Unterbrechung der Hauptschlagader hatte." Anstelle der Ader bildeten sich über Jahre oder Jahrzehnte zahlreiche Umgehungskreisläufe. Ein gewaltiges Aneurysma entstand, also eine sackförmige Erweiterung der Ader, die zu einer riesigen Schwellung am Hals führte. "Eine ganz groteske Fehlbildung", meint Dorweiler.
Vor dem Mainzer Arzt und seinen Kollegen lag eine extrem komplizierte Operation. Anhand des 3D-Modells konnten sie sich besser vorstellen, wie sie vorgehen wollten - und entschieden sich dazu, die Behandlung in drei Eingriffe aufzuteilen. Am Modell übten sie die Manöver mit dem Katheter, mit dem sie von der Leiste aus durch die verschiedenen Abzweigungen dorthin gelangen müssen, wo sie medizinische Implantate setzen wollen.
Sie legten der Frau drei Bypässe und zwei Stents, also Implantate zum Offenhalten von Gefäßen. Ein riskantes Unterfangen. "Das geht nur, wenn der Patient den Weg mitgeht", sagt Dorweiler. Mit Hilfe des Modells habe er alles genau erklären können. Ein weiterer Vorteil: Durch das Üben dauert die Operation nicht so lang. Und der Patient liegt weniger Zeit in der Narkose und unter Röntgenlicht. Das Licht brauchen die Ärzte, um zu sehen, wo sie mit ihrem Draht entlangfahren.
Die Drucker der Mainzer stehen unter anderem bei den Kieferchirurgen. Auch sie nutzen die Technik schon, genauso wie die Unfallchirurgen. Die Neurochirurgen haben ebenfalls Interesse, zum Beispiel, um komplexe Gehirntumore darzustellen. Unterstützt wird das Thema 3D-Druck durch die interdisziplinäre Forschungsplattform BiomaTiCS der Universitätsmedizin Mainz. Die Daten erhält der Drucker aus Bildern der Computertomographie, aus denen dann die Struktur errechnet wird.
Gedruckt wird der Kunststoff Schicht für Schicht, jede ein Zehntel bis ein Zwanzigstel Millimeter dünn, erklärt René Martin, Manager beim Hersteller Stratasys. In der Druckerpatrone ist der Stoff noch flüssig, durch eine UV-Lampe werde er ausgehärtet. Soll Knochen nachempfunden werden, wird härterer Kunststoff verwendet, für Adern weicheres und elastischeres Material. Auch verschiedene Farben und durchsichtige Modelle sind möglich, zumindest in Mainz. Laut Martin gehört die Uniklinik damit zu den Vorreitern.
Einsetzen kann man dieses Modell aber nicht. "Derzeit entspricht das noch nicht körpereigenem Gewebe", sagt Dorweiler. "Die Schlagader sieht zwar so aus wie das Modell, fühlt sich aber nicht so an." Allerdings seien in Tierversuchen schon erfolgreich Gefäße verbaut worden, fügt Bilal Al-Nawas hinzu, Leiter eines großen 3D-Druck-Kongresses in der Unimedizin Mainz. Forscher der Northwestern University in Chicago haben im 3D-Druck sogar schon funktionsfähige Eierstöcke von Mäusen produziert.
Dorweiler will nicht mehr auf den Drucker verzichten. Trotz des noch aufwändigen Drucks und der hohen Kosten: Das 3D-Modell gebe ihm Sicherheit für die Operation, sagt er. "Das ist wie mit einem Navi. Man kommt auch mit einem Straßenatlas ans Ziel. Aber mit dem Navi hat man mehr Infos, wie die Route verläuft und wo man abbiegen muss."
Der Gefäßchirurg ist sich sicher, dass der 3D-Druck bald so selbstverständlich wird, wie es der 2D-Druck derzeit ist. "Und dann kann man auch weiterspinnen und daran denken, Gewebe zu drucken mit Tinte, die Zellen enthält." Auch wäre es für ihn wichtig, faltbare elastische Metalle zu haben, um die Stents klein verpackt einführen zu können. "Wir brauchen keine Entwicklung in der Art des Druckens, sondern eine Entwicklung im Material."