Evidenzbasierte Medizin als Grundlage für Bewertung von Arzneimitteln Logo of esanum https://www.esanum.de

GBA fordert striktere Evidenz für Innovationen

Der Gemeinsame Bundesausschuss erwartet, dass sich das Gesundheitsministerium strikter an Regeln der evidenzbasierten Medizin orientieren wird. Notwendig seien einige Gesetzeskorrekturen zur Bewertung von Innovationen.

Überprüfung von Arzneimitteln und Behandlungsmethoden mit Methoden evidenzbasierter Medizin

Der Gemeinsame Bundesausschuss erwartet – nach einem Defizit der Krankenkassen von rund fünf Milliarden Euro in 2021 – auch in diesem Jahr eine angespannte Finanzlage. Ursächlich dafür, so der Vorsitzende Josef Hecken bei einer Pressekonferenz am Mittwoch, seien nicht die Pandemie, sondern Leistungsausweitungen und Innovationen.

Umso wichtiger, so betont Hecken, sei die Überprüfung neuer Arzneimittel sowie neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auf ihren therapeutischen Mehrwert, ihre Qualität und Wirtschaftlichkeit nach den Methoden der evidenzbasierten Medizin. Der GBA-Vorsitzende erwartet, dass deren Prinzipien unter der Leitung des Bundesgesundheitsministeriums von Karl Lauterbach strikter beachtet werden als unter seinem Vorgänger Jens Spahn, mit dem der GBA eine Reihe von Auseinandersetzungen hatte.

Welchen Beitrag der GBA mit seinen Beschlüssen zur wirtschaftlichen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung leistet, verdeutlichte Hecken am Beispiel der Arzneimittelversorgung: Mit Festbeträgen, Rabattverträgen und Erstattungsbeträgen nach Nutzenbewertungen neuer Wirkstoffe sparen die Kassen nach seinen Angaben insgesamt rund 15 Milliarden Euro jährlich. Das ist etwa ein Beitragssatzpunkt und näherungsweise das Doppelte des letzten großen Kostendämpfungspakets in der Ära Ulla Schmidt mit rund acht Milliarden Euro Einsparungen.

Hecken fordert deshalb eine durchgängige evidenzbasierte Bewertung neuer Arzneimittel sowie neuer diagnostischer und therapeutischer Methoden, eine strikte Trennung echter von Scheininnovationen und die Beachtung des patientenindividuellen Zusatznutzens einschließlich der Lebensqualität.

Orphan-Drugs: Privileg auf Solisten beschränken

Im Bereich der Nutzenbewertung fordert Hecken vom Gesetzgeber zwei Korrekturen: eine Veränderung des Preisankers für teils extrem teure Kombinationstherapien sowie die Begrenzung des Orphan-Drug-Privilegs, aufgrund dessen der Zusatznutzen aufgrund des im Rahmen der Zulassung verliehenen Orphan-Drug-Status als belegt angenommen wird, auf echte Solisten, für die es keine Therapiealternativen gibt. Erst kürzlich hat der Bundesausschuss einen Zusatznutzen eines Orphan Drugs in der Kindermedizin erkannt. Vorschläge etwa des IQWiG, den Orphan-Drug-Status im Rahmen der Nutzenbewertung überhaupt nicht mehr anzukennen, hält Hecken ausdrücklich für ein "falsches Signal". 

Vor dem Hintergrund zunehmend knapper Personalressourcen  mahnte Hecken eine gemeinsame Bedarfsplanung für Krankenhäuser und ambulante Behandlung an. Die Festlegung von Mindestmengen dürfe nicht mehr als kalte Strukturbereinigung verstanden werden, sondern als Instrument der Qualitätssicherung und des gezielten, sparsamen Ressourceneinsatzes.

Dazu ein Beispiel: Die Mindestmenge von 100 Eingriffen in der Mamma-Chirurgie  erfüllt von die Hälfte der Kliniken, die diese Leistung erbringen nicht, 220 der insgesamt 732 Kliniken mit Mamma-Chirurgie, schaffen weniger als 20 Interventionen.  Die Festlegung der Mindestmenge gefährde aber nicht die Versorgung – die  durchschnittliche Anfahrtsdauer erhöhe sich nur geringfügig auf 18 Minuten.

Vorbereitungen für DMP Adipositas

Einige Fortschritte erwartet der Bundesausschuss in diesem Jahr bei den Disease-Management-Programmen. Derzeit sei das IQWiG mit einer Recherche für ein evidenzbasiertes DMP Adipositas beschäftigt, berichten Hecken und das zuständige GBA-Mitglied Karin Maag. Erste Ergebnisse deuteten darauf hin, dass sich eine Evidenzbasierung schaffen lasse. Ferner arbeitet der GBA an einer Erhebung zu aktuellen Umsetzungsproblemen sowohl bei den DMP als auch bei der Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) nach Paragraf 116b. Ursächlich könnten bürokratische Hürden bei den Genehmigungen durch das Bundesamt für Soziale Sicherung in Bezug auf DMP und durch die Erweiterten Landesausschüsse in Bezug auf die ASV sein.

Weiterhin ist geplant, im Sommer dieses Jahres die Qualitätssicherung im Bereich der Behandlung von Krankheiten der Herzkranzgefäße um eine Patientenbefragung zu erweitern. Außerdem sollen künftig die Ergebnisse der Qualitätssicherung auch in für Patienten verständlichen und verfügbaren  Berichten transparent gemacht werden.

Gesetzlicher Regelungsbedarf im Bereich NUB-Erprobungen

Probleme sieht der Bundesausschuss, so das unparteiische Mitglied Dr. Monika Lelgemann, bei der Umsetzung von Erprobungsstudien für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, etwa auch durch neue Medizinprodukte hoher Risikoklassen. Die Kosten für die  Evaluation – je Studie zwischen einer und acht Millionen Euro – trägt die GKV. Sie müssen gemacht werden, wenn ein Krankenhaus beim Institut für das Entgeltsystem (InEK) einen Antrag auf ein NUB-Entgelt stellt.

Dabei treten allerdings laut Lelgemann einige Probleme auf: GBA und InEK wenden unterschiedliche Bewertungskriterien an; Krankenhäuser haben wenig Interesse und keinen Anreiz, sich an Studien zu beteiligen; das Risiko, dass sich keine Evidenz für einen Zusatznutzen generieren lässt, ist relativ hoch. Vor allem kritisiert der GBA, dass Krankenhäuser die neue Methode außerhalb von Studien einsetzen können und nach vorhandenen Entgelten finanziert bekommen. Vor allem dieser letzte Umstand müsse vom Gesetzgeber bereinigt werden.

Weitere Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses: 

GBA beschließt neue podologische Leistung als Heilmittel
Bundesausschuss: Erheblicher Zusatznutzen für Orphan Drug gegen ALL bei Kindern
Weniger Bürokratie bei Reha-Anträgen