Es gibt keinen Impfstoff, Polen und Tschechien bekommen die Seuche nicht in Griff: In Deutschland mit seiner hohen Zahl an Wildschweinen wächst die Sorge vor einem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest. Schweinehalter fürchten Milliardenschäden.
Erimar von der Osten ist Waldbauer mit Herz und Seele. In der Uckermark in Brandenburg bewirtschaftet seine Familie das Waldgut Blumberg. Wenn er durch seinen Wald - rund 30 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt – streift, sieht er die Spuren der Wildschweine täglich am aufgewühlten Boden. Die Zahl der Schwarzkittel habe sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht, sagt der 56-Jährige. Dennoch bezeichnet er die Borstentiere als "Freunde des Waldes". "Wildschweine sind im Wald wertvolle ökologische Dienstleister, weil sie den Boden auflockern."
Trotz der Sympathie, die von der Osten für das Schwarzwild hegt, hat sich sein Blick auf die Tiere in den vergangenen Monaten verändert. Der Forstwirt fürchtet den Moment, an dem er im Wald eine tote Sau entdecken sollte, die an der Afrikanischen Schweinepest (ASP) verendet ist. Die Seuche, die seit 2007 in Osteuropa grassiert, ist für den Menschen zwar vollkommen ungefährlich, doch Wild- und Hausschweine rafft sie nieder. Das Schlimme ist: Gegen die ursprünglich aus Afrika stammende Krankheit gibt es keinen Impfstoff. Sollte die hochansteckende Seuche von Tschechien, Rumänien oder Polen nach Deutschland schwappen, kann sie nur durch die Bejagung bekämpft werden. Doch alle Bemühungen blieben bislang erfolglos. Im Gegenteil: Der Erreger breitet sich weiter aus.
In polnischen Schweinemastbetrieben ist das Virus seit Entdeckung des ersten Falls im Februar 2014 bereits rund 75 Mal nachgewiesen worden - allein über 50 Mal in diesem Jahr, wie das Warschauer Hauptveterinäramt mitteilt. Zudem seien mehr als 400 Fälle bei Wildschweinen festgestellt worden. Bisher ist die Krankheit allerdings nur im Osten des Landes aufgetreten. Betroffen sind die Verwaltungsbezirke Lubelskie, Podlaskie und Mazowieckie.
Ende Juni schlugen dann erstmals die Behörden in Tschechien Alarm: Bei zwei verendeten Wildschweinen wurde die ASP entdeckt. Seither ist die Zahl der Infektionen in dem Ausbruchsgebiet um die östliche Industriestadt Zlin dramatisch gestiegen. Bisher wurden rund 90 Tierkadaver positiv auf das Virus getestet, wie die Veterinärbehörde SVS mitteilte.
Von Zlin ins bayerische Passau sind es nur noch rund 300 Kilometer Luftlinie. Der plötzliche Ausbruch der Krankheit in Südmähren hat Experten überrascht. Manche Kritiker sagen, die Maßnahmen zur Eindämmung kämen nicht schnell genug voran. Andere sprechen hingegen von Hysterie und Wahlkampf-Getöse - in Tschechien wird Ende Oktober ein neues Abgeordnetenhaus gewählt.
Die Verwaltungsregion Zlin hat den Krisenfall ausgerufen, um Kräfte mobilisieren zu können. Menschen dürfen Felder, Wälder und Forstwege im gut 50 Quadratkilometer großen Ausbruchsgebiet nicht mehr betreten. Rundherum wurden ein kilometerlanger Elektrozaun errichtet und übelriechende chemische Duftstoffe verteilt. Die Strategie: Alle infizierten Tiere sollen in dem Gebiet festgehalten und möglichst nicht aufgescheucht werden.
Doch als Agrarminister Marian Jurecka bei einem Ortstermin vor laufenden Fernsehkameras den neuen Elektrozaun anfasste, lief es noch nicht wie gewünscht: "Es prickelt nicht", wunderte sich der Christdemokrat, der von Haus aus selbst Landwirt ist. Nach einer Weile war klar: Jemand hatte den Weidezaun nach der Öffnung eines Tores nicht wieder eingehängt. Techniker müssen den Zaun daher in regelmäßigen Abständen ablaufen und auf Strom überprüfen.
In den umliegenden Regionen wird nun vermehrt auf die Wildschweine Jagd gemacht. Seit Mitte Juli wurden nach Angaben der staatlichen Veterinärbehörde mehr als 1780 Exemplare abgeschossen. Die tschechische Regierung hat die Abschussprämie schrittweise auf 3000 Kronen (115 Euro) erhöht.
In Deutschland laufen die Vorbereitungen auf den Ernstfall auf Hochtouren. Mit jedem weiteren Fall in Polen oder Tschechien nimmt der Druck und die Sorge hierzulande zu. Dabei sehen Experten nicht die Übertragung von Rotte zu Rotte als größtes Problem an. Vielmehr ist es der achtlos am Rastplatz entsorgte Rest eines Wurstbrotes oder anderer kontaminierter Schweineprodukte, an denen sich Wildschweine infizieren können. "Auf diesem Weg kann der Erreger innerhalb kurzer Zeit große Entfernungen zurücklegen und Sprünge vollziehen, die er schnell zu uns bringen könnten", sagte die Leiterin des Nationalen Referenzlabors für Afrikanische Schweinepest am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), Sandra Blome.
Das Institut hat vor wenigen Tagen einen Maßnahmenkatalog veröffentlicht, der im Falle eines Ausbruchs bei Wildschweinen greifen soll: Um den Fundort herum würden Sperrbezirke und Pufferzonen eingerichtet. Die Kadaver würden in Sammelstellen zusammengetragen und fachgerecht entsorgt. In der Pufferzone halten die Experten die Tötung des Großteils der Wildschweinpopulation – etwa 80 bis 90 Prozent – für erforderlich. Doch Polen und Tschechien zeigen, dass sich auch durch eine noch so intensive Bejagung die Seuche nicht ausmerzen ließ.
Der Erreger wurde 2007 aus Afrika nach Georgien eingeschleppt und hat sich von dort über Russland, das Baltikum, die Ukraine bis nach Polen, Rumänien und Tschechien ausgebreitet. Zwischen 2014 und heute wurden in Europa mehr als 6000 infizierte Wildschweine und knapp 300 Ausbrüche in Schweine-Beständen registriert. In Ländern wie Weißrussland ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.
Ein Ausbruch der Seuche in Deutschland hätte enorme Konsequenzen für die Schweinehalter. Deutschland gehört mit 5,53 Millionen Tonnen Schweinefleisch zu den weltweiten Schwergewichten. Für Landwirte würde hierzulande der Absatz einbrechen. Es könnte zudem auch Exportbeschränkungen geben. "Beim letzten Seuchenzug der klassischen Schweinepest in Niedersachsen Mitte der 90er Jahre mussten allein in der Region Weser-Ems 1,5 Millionen Schweine getötet werden", sagte Matthias Quaing, Marktreferent der Interessensgemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN). Modellrechnungen sprechen für die Region von einem volkswirtschaftlichen Gesamtschaden von drei Milliarden Euro.
Der Verband, der etwa 10.000 von 24.000 Schweinehalter-Betriebe vertritt, schätzt, dass der Schaden durch die Afrikanische Schweinepest noch viel schlimmere Folgen hätte. Der Grund: Die ASP könne - anders als die klassische Schweinepest – eben nicht durch Impfungen aus den Wild- und Haustierbeständen gedrängt werden, sagt Quaing. Zu befürchten sei, dass sie vermutlich über Jahre hinweg immer wieder aufflackern würde. Neben den Schweinehaltern wären unter anderem auch Schlachtereien betroffen. "Nicht zuletzt bedeuten Seuchenzüge immer eine riesige psychische Belastung für die Tierhalter und ihre Familien", betont Quaing. Er schätzt, dass für viele von ihnen ein Seuchenzug das Ende ihrer Schweinehaltung bedeuten würde.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat eine Informationskampagne gestartet. An Grenzübergängen werden Passanten und Autofahrer auf die Gefahren einer Einschleppung hingewiesen. Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern haben Notfallpläne erarbeitet. "Das Landeskrisenzentrum nimmt in diesem Fall sofort seine Arbeit auf und koordiniert das Vorgehen", sagte eine Ministeriumssprecherin.
Bei einem Ausbruch sind vor allem die Jäger gefragt. Deutschland ist nach Angaben des FLI seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, das Land mit der höchsten Wildschweindichte in Europa. "Ein Ausbruch wäre das Horrorszenario", sagt Ulf Peter Schwarz vom Deutschen Jagdverband in Mecklenburg-Vorpommern. Obwohl Jäger bereits verstärkt auf Schwarzkittel schießen, zeigt die Bestandsentwicklung weiter nach oben – nicht zuletzt wegen der vergangenen milden Winter und des reichen Nahrungsangebotes auf den Äckern. "Das Schwarzwild lebt in Deutschland im Schlaraffenland", sagt Schwarz. Wurden 2005/06 deutschlandweit rund 450.000 Wildschweine erlegt, waren es zehn Jahre später rund 610.000 Tiere.
Sollte die Seuche näher an Deutschland herankommen, wird auch der Waldbesitzer und Jäger Erimar von der Osten die Wildschweine noch schärfer ins Visier nehmen. Er und seine Waidgenossen tun es bereits präventiv. Doch er befürchtet, dass Waldbauern wie er dann allein gelassen werden mit der Arbeit und den Kosten der Bejagung, da sich die Schweine im Winter und bei Krankheit in die Wälder zurückziehen. "Der Blick fokussiert sich primär auf die Landwirte und die Schäden, die ihnen durch Absatzausfälle entstehen", sagt von der Osten.
Dem Waldbesitzer geht es um Grundsätzliches: Landwirte hätten mit dem großflächigen Anbau von Monokulturen wahre Fressoasen für die Wildschweine geschaffen und damit die Bestandszunahme der Schwarzkittel befördert. Während die Landwirte EU-Subventionen erhielten, würden Forstbesitzer wichtige Allgemeingüter wie saubere Luft, nährstoffreiche Böden, klares Trinkwasser, biologische Vielfalt mit Insektenreichtum "zum Nulltarif" liefern. Politik und Verwaltung müssten dafür sorgen, dass Forstbesitzer nicht auf den finanziellen Schäden, den die Afrikanische Schweinepest verursachen könnte, sitzen bleiben. "Die Jäger und Förster sind Teil der Lösung."