Beim Reizdarmsyndrom (RDS) handelt es sich um eine Funktionsstörung des Darms. Frauen sind davon doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die Symptome reichen von Übelkeit, Bauchschmerzen, Blähungen, Druck- und Völlegefühl bis zu Durchfall oder Verstopfung. Früher wurde der Reizdarm schlichtweg als psychisch bedingt angesehen.
Heute weiß man, dass viele Faktoren an seiner Entstehung beteiligt sein können. Welche das sind, wie man die Diagnose stellt und wie sich das RDS therapieren lässt, das stellte Prof. Dr. Peter Layer, Chefarzt der Medizinischen Klinik des Israelitischen Krankenhauses Hamburg auf dem DGEM-Kongress in Kassel vor.
Bei funktionellen Darmstörungen sollte an ein RDS gedacht werden:
Drei Kernfragen sollte man sich bei RDS stellen, so Layer:
Das Management des Reizdarmsyndroms setzt sich aus drei Komponenten zusammen:
Die richtige Diagnosestellung beim Reizdarmsyndrom ist wegen der relevanten Differentialdiagnosen essentiell. Zu den "harmlosen" DD gehört beispielsweise die Lactoseintoleranz, die kausal therapierbar ist. Eine "organische DD" liegt beispielsweise bei der Divertikelkrankheit vor, auch diese ist kausal therapierbar. Davon abzugrenzen sind schwerwiegende DD wie gastrointestinale oder gynäkologische Tumoren.
Relevante Differentialdiagnosen sind:
Beim Verdacht auf RDS empfiehlt sich folgendes Vorgehen. Zunächst sollte eine Anmnese + KU folgen und ein Labor mit A-Sono und gynäkologischer Untersuchung. Finden sich organische Hinweise, liegt kein RDS vor. Ergibt sich bei der Anamnese +KU eine Diarrhoe, sollte eine umfassende Diagnostik erfolgen. Oft liegt dann kein RDS sondern eine kausal behandelbare Störung vor. Finden sich hingegen keine organischen Hinweise, sollten individuelle Kriterien stärker in Betracht gezogen werden wie die Schwere, Dauer und Dynamik der Symptome, das Alter des Patienten, seine Persönlichkeit und der Grad seiner Besorgnis. Ist die Diagnose RDS per Ausschluss erfolgt, sollte dem Patienten erklärt werden, dass es sich um eine Störung von Motilität, Sekretion und Perzeption handelt.
Es wird vermutet, dass beim RDS die Darmgesundheit durch kleinste "Undichtigkeiten" der Darmbarriere chronisch geschädigt wird. Auslöser können Antibiotika, Infektionen und Nahrungsbestandteile sein. So kann es zu einem Eindringen von kleinen Mengen an Darminhalt, insbesondere auch von Darmkeimen, in die Darmwand kommen, die dann winzige Entzündungsherde hervorrufen können. Ein Forscherteam an der TU München konnte diese Mikroentzündungen bei Reizdarm-Patienten erstmals sichtbar machen. Diese Entzündungen können mit routinemäßigen Gewebsuntersuchungen nicht nachgewiesen werden, sind aber für die Darmphysiologie fatal, denn sie führen zu einer Reizung des empfindlichen Darmnervensystems, was die typischen Reizdarm-Symptome auslösen kann.
Eine ursächliche Therapie des Reizdarms gibt es derzeit nicht. Die multimodale Behandlung der Beschwerden setzt sich deshalb aus Allgemeinmaßnahmen zu Ernährung, Psyche und Lifestyle zusammen und aus der medikamentösen Therapie der Hauptsymptome.
Bei den Allgemeinmaßnahmen zur Psyche gilt, dass diese grundsätzlich supportiv sein sollten (Reassurance für den Patienten). Auch eine gute Patienten-Führung, die Vermittlung eines plausiblen Krankheitsmodells und gegebenenfalls Antidepressiva (bei psychischer Komorbidität) gehören dazu. Es gibt überzeugende Studien, die nahelegen, dass autogenes Training, Darmhypnose, Yoga und auch gezielte psychotherapeutische Maßnahmen sehr hilfreich sein können.
Zu den Allgemeinmaßnahmen beim Aspekt Lifestyle gehört körperliche Aktivität und Sport dazu; dabei sind < 3-5 Stunden pro Woche bereits effektiv für den gesamten RDS-Symptomkomplex. Die medikamentöse Therapie der Hauptsymptome sollte auf Schmerzen/Krämpfe, Blähungen/Flatulenz, auf Obstipation und Diarrhoe abheben.
Zu den medikamentösen Therapieansätzen gehören:
Ballaststoffe sind allerdings bei RDS eher kontraproduktiv und führen zu einer Symptomverschlechterung (Francis et al., Lancet,1994). Unter den Guanylatcyclase-Agonisten zeigt Linaclotid Effekte für den gesamten Symptomkomplex bei RDS. Auch Eluxadolin, ein Opioidrezeptor-Modulator, reduziert Diarrhoe, Schmerzen und Blähungen signifikant (Lembo AJ, et al., NEJM, 2016). Laxantien sind bei Obstipation und Blähungen wirksam, Prokinetika bei Obstipation.
Weniger Symptome, eine bessere Lebensqualität und eine Verbesserung des Ernährungszustandes – das sind die Therapieziele einer ernährungsmedizinischen Intervention bei RDS, hob Prof. Dr. Johann Ockenga, Medizinische Klinik II Gastroenterologie & Hepatologie des Klinikums Bremen Mitte hervor.
Ockenga wies darauf hin, dass die Die Zusammensetzung der Nahrung die gastrointestinale Funktion und Motilität beeinflusst. Er gab folgende Empfehlungen:
Aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Pathophysiologie des Reizdarmsyndroms rückt u.a. auch die Gruppe der Probiotika, und hier besonders die Bifidobakterien, als oft wirksame Behandlungsmethode immer mehr in den Fokus. Wie bei allen probiotischen Therapieansätzen ist auch die Wirkung von Bifidobakterien aber stark stammspezifisch, d.h. dass Erkenntnisse zu den Eigenschaften eines Bakterienstammes nicht auf andere, nicht einmal auf eng verwandte Stämme übertragbar sind.
Dass die Wichtigkeit des enteralen Nervensystems noch vielfach unterschätzt wird, darauf machte Prof. Dr. Andreas Stengel von der Abteilung für Innere Medizin IV, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Charité aufmerksam. Er hob hervor:
Quelle:
Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin, Kongress Palais Kassel, 21. Juni bis 23. Juni 2018
Vortragssitzung DGEM: Fokus "Darm" – Reizdarmsyndrom