Eine neue Analysentechnik ermöglicht eine genauere Charakterisierung des Magen-Mikrobioms. Stuttgarter und Grazer Forscher konnten zeigen, dass der Magen seine Mikroorganismen gezielt an- und abreichert.
Die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Magen schwankt sehr stark, über den Einfluss dieser Schwankungen auf den Darm konnte man bislang nur spekulieren. Ein Forschungsteam der Universität Hohenheim in Stuttgart hat gemeinsam mit der Medizinischen Universität Graz eine Methode entwickelt, mit der lebende, aktive Bakterien von toten unterschieden und in ihrer Menge bestimmt werden können. Damit gelang es erstmals, Schwankungen in der Zusammensetzung der ständigen Bewohner des Magens mit einem Gesamtzuwachs an Bakterien in Verbindung zu bringen. Deutlich wurde auch: Der Magen übt innerhalb des Magen-Darm-Trakts eine wichtige Kontrollfunktion auf die Passage bestimmter Bakterien in den Darm aus. Die aktuellen Ergebnisse sind in mSystems, dem Journal der "American Society for Microbiology", erschienen.
Eine chirurgische Magenverkleinerung bei Fettleibigkeit bringt positive Eigenschaften mit sich, die sich nicht mit einer Reduktion des Magenvolumens allein erklären lassen. So kann sich etwa eine Insulinresistenz verringern und die dadurch bedingte Regulation von Blutzuckerspiegeln ebenso wie von generellen Entzündungsparametern verbessern – ein Effekt, der typischerweise eher mit Prozessen im Darm als im Magen in Verbindung gebracht wird. Ähnliche Fragen zum Einfluss des Magens auf den Darm werfen klinische Beobachtungen zur Nebenwirkung von Protonenpumpenhemmern auf. Doch wer sie über einen langen Zeitraum einnimmt, hat ein erhöhtes Risiko, nach Antibiotika-Einnahme Durchfallerkrankungen zu bekommen.
"Beides sind Indizien dafür, dass Ereignisse im Magen Veränderungen im Darm-Mikrobiom nach sich ziehen", erläutert Prof. Dr. Florian Fricke, Leiter des Fachgebiets Mikrobiom und Angewandte Bioinformatik an der Universität Hohenheim. "Möglicherweise liefert der Magen mehr Einflussmöglichkeiten auf Darm-assoziierte Probleme als bisher angenommen - im positiven wie im negativen Sinne." Früher ging man davon aus, dass die Magensäure fast alle Mikroorganismen abtötet. Bisherige Untersuchungen des Magens und Darms würden zudem durch die extrem schwankenden Anteile der diversen Bakterien-Arten im Mikrobiom erschwert, so Dr. Fricke.
Das Problem der klassischen Mikrobiom-Forschung: Die sequenzabhängigen Verfahren untersuchen ausschließlich DNA. "Damit erfassen sie lebende Bakterien ebenso wie tote – können also nicht unterscheiden zwischen dem an den Magen angepassten Mikrobiom und von außen eigetragenen, inaktiven Bakterien." Das neue Verfahren erfasst nicht nur die DNA, sondern auch die RNA.
Die Forscher testen die Methode im Tiermodell an Magenproben aus Labormäusen. Sie isolieren die DNA und die RNA jeweils separat aus allen Proben und charakterisieren beides mittels PCR-Analyse. "Damit bestimmen wir, welche Bakterien insgesamt vorhanden sind und welche Anteile der Gesamtbakterien aktiv sind", erklärt Prof. Dr. Fricke. "Wir können daher nicht nur die relativen prozentualen Anteile der einzelnen Arten ermitteln, sondern auch deren absolute Mengen."
Rund 90 Prozent der Magen-Bakterien werden in Mäusen und Menschen von nur zwei dominanten Gruppen gestellt. Eine dieser Gruppen, die Laktobazillen in Mäusen und Streptokokken beim Menschen, ist mengenmäßig relativ konstant, während die andere Gruppe der Bakteroidetes stärker schwankt. "Interessant ist, dass die konstante Gruppe auch die aktiven, lebenden Bakterien ausmacht", betont Dr. Fricke. "Man kann daraus schließen, dass sie für das Magen-Mikrobiom entscheidendere Funktionen ausübt, während die kurzzeitig schwankende Gruppe möglicherweise mit der Nahrung oder über andere Wege in den Magen gelangt, dort aber nicht aktiv bleibt. Mit unseren Ergebnissen können wir den Fokus auf die für die Untersuchung des Magens und den Übergang in den Darm relevanten Bakterien einengen."
Um den Funktionen des Magens noch genauer auf die Spur zu kommen, beschränken die Forscher ihre Probennahme nicht auf den Magen. Sie nehmen je eine Probe aus der Speiseröhre, drei an verschiedenen Stellen des Magens und eine aus dem Zwölffingerdarm. "Wir haben Gradienten bei bestimmten Bakterien gefunden, also Anstiege oder Reduktionen von der Speiseröhre bis in den Magen hinein, die danach, also zwischen Magen und Dünndarm, wieder gegenläufig sind. Im Magen werden diese Bakterien also gezielt angereichert oder abgereichert. Er scheint damit als Portal zum Darm eine Kontroll- bzw. Filterfunktion auszuüben und kann so das Darm-Mikrobiom beeinflussen."
Weiterführende Studienreviews zu diesem Thema, Kongressberichterstattung und Webinare finden Sie im esanum Themenspecial Gastroenterologie.