Die Fachhochschule und das Universitätsklinikum Münster kooperieren in einem Projekt zur Erforschung seltenen Stoffwechselerkrankungen und einer ketogener Diät. Medikamente zur Behandlung existieren bisher kaum.
Mehrmals am Tag haben die Jungen und Mädchen unkontrollierbare Krampfanfälle oder sie sind wie gelähmt, weil ihnen jegliche Kraft fehlt. Der Grund: Pyruvat-Dehydrogenase-Mangel, eine seltene Stoffwechselerkrankung, die auf einen Gendefekt zurückgeht. Normalerweise gewinnt der Körper seine Energie aus Kohlenhydraten, Proteinen und Fett. Bei Menschen mit dieser Art von Erkrankung kann er allerdings Kohlenhydrate nicht verarbeiten: Ungewollte Stoffwechselsubstanzen häufen sich an und stören die Zellfunktionen im Gehirn. Bleibt die Erkrankung unentdeckt, schädigt sie das Gehirn irreparabel und kann sogar zum Tod führen. Vor mehr als 20 Jahren, bevor die Diagnostik so weit war, starben die Kinder daran.
Prof. Dr. Thorsten Marquardt behandelt am Universitätsklinikum Münster (UKM) Kinder und Jugendliche mit dieser und anderen seltenen Stoffwechselerkrankungen. Rund 1.000 junge Patienten sind bei ihm und seinen Kollegen in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Dauertherapie. "Wir können sie nicht mit Medikamenten behandeln, weil bislang keine existieren", sagt der Arzt. Was aber eine nachgewiesene positive Wirkung zeige, sei bei einigen dieser Erkrankungen die ketogene Diät. Weil sie eine der anspruchsvollsten Ernährungstherapien ist, hat Marquardt eine Kooperation mit Tobias Fischer von der FH Münster initiiert. Der Ernährungswissenschaftler ist seit mehreren Jahren am Fachbereich Oecotrophologie – Facility Management als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig und entwickelt in seiner Promotion neue Therapiekonzepte bei seltenen Stoffwechselerkrankungen.
Bei der ketogenen Diät nehmen die Patienten sehr wenige Kohlenhydrate zu sich, wenige Proteine, aber sehr viel Fett, sodass dessen Anteil bis zu 90 Prozent ausmachen kann. Seinen Energiebedarf bezieht der Stoffwechsel nun fast ausschließlich aus den namensgebenden Ketonkörpern, die aus dem Fettabbau entstehen. "Es hilft nichts, den Patienten zu empfehlen, fettreich zu essen", erklärt Marquardt, "viele halten diese extrem herausfordernde Diät nicht dauerhaft durch. Schon ein kleiner Schokoriegel unterbricht die Therapie und kann wieder Symptome hervorrufen."
Zudem seien die Empfehlungen zu ketogener Ernährung, die Betroffene im Internet und in Büchern finden, häufig mangelhaft, sagt Fischer. "Oder die Rezepte für die Mahlzeiten sind so kompliziert, dass sie im Alltag schlicht nicht umzusetzen sind." Deshalb kam ihm die Idee, einen praktischen und wissenschaftlich fundierten Ratgeber in Form eines Buches zu entwickeln. Der Mediziner beschäftigt sich innerhalb der humanitären Nothilfe mit ketogener Ernährung. "Hilfsorganisation geben unterernährten Menschen zunächst fettreiche Erdnussbutter, um sie wieder aufzubauen", so der Forscher.
Gemeinsam mit dem UKM werden nun Mahlzeiten entwickelt. "Die große Kunst dabei ist, sie trotz des außerordentlich hohen Fettanteils schmackhaft, ansprechend, kindgerecht und einigermaßen ausgewogen zusammenzustellen", sagt Fischer. Da diese Diät sowohl den betroffenen Kindern als auch den Erwachsenen sehr viel Disziplin und Kraft abverlangt, wird das Buch auch motivierende Geschichten und unterstützende Tipps enthalten. Es wird voraussichtlich Ende 2017 erscheinen.