Hausärzte als erste Adresse, Zuschläge für Mediziner in dünn besiedelten Regionen, ein Info-Portal für alle Bürger: Experten schlagen ein ganzes Paket für eine effektivere Versorgung vor.
Angesichts fehlender Praxen auf dem Land und zu voller Notaufnahmen empfehlen Berater der Bundesregierung eine grundlegende Neuorganisation des Gesundheitsangebots. Trotz vielfältiger Reformen gebe es im System weiterhin Über-, Unter- und Fehlversorgung, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Ferdinand Gerlach, bei der Vorstellung eines neuen Gutachtens am Montag in Berlin. Nötig sei eine gezieltere Steuerung. Patienten sollten besser informiert und durch das sehr komplexe Gesundheitswesen gelotst werden.
Der Sachverständigenrat präsentierte eine Reihe von Vorschlägen für eine effektivere Planung des Angebots, das auch stärker verzahnt werden sollte. "Vor allem Kliniken und Praxen, zwischen denen eine unsichtbare, aber sehr folgenreiche Mauer verläuft, arbeiten in Deutschland eher nebeneinander als im Interesse des Patienten miteinander", heißt es in dem Gutachten. Eine entscheidende Rolle bei der Steuerung sollten Hausärzte und neue zentrale Stellen spielen, die Patienten zu Praxen oder Notaufnahmen leiten. Ein Überblick:
ARZTPRAXEN: Die Planung, welche Praxen wo gebraucht werden, sollte sich aus Sicht der Experten weniger an der Anzahl der Ärzte, sondern am tatsächlichen Angebot und den Arbeitsstunden orientieren. Es solle unterbunden werden, dass Praxen in begehrten Gebieten teils zu weit überzogenen Preisen an Nachfolger verkauft werden. Wo sich ein Mangel abzeichnet, weil viele Ärzte aufhören, sollten Nachbesetzungen fünf Jahre vor der voraussichtlichen Praxisaufgabe geklärt werden. Als Anreiz für dünn besiedelte Regionen mit eher wenig Patienten könnten "Landarztzuschläge" von bis zu 50 Prozent auf die Vergütung dienen.
WOHIN PATIENTEN GEHEN: Schon lange ist es ein vertracktes Problem, wie Patienten - auch je nach Schwere ihrer Beschwerden - gezielter in die verschiedenen Gesundheits-Anlaufstellen "verteilt" werden können. Besser wäre, dass Patienten immer erst zum Hausarzt gehen, der auch weitere Überweisungen zu Fachärzten oder ins Krankenhaus koordinieren kann. Als Anreiz sollten alle Kassen ihren Versicherten vergünstigte Wahltarife für Hausarzt-Modelle anbieten. Die Experten schlagen erneut vor, eine "Kontaktgebühr" dafür zu prüfen, wenn Patienten ohne Überweisung zum Facharzt gehen. Die Höhe müsste die Politik klären. Ausgenommen sein sollten etwa Augenärzte, Frauenärzte und Psychiater.
PATIENTEN-INFORMATIONEN: Damit sich Patienten im komplizierten System besser zurechtfinden, brauchen sie mehr Informationen - nicht zuletzt dadurch, dass Ärzte mehr Zeit haben, direkt mit ihnen zu sprechen. Die Experten schlagen außerdem ein "nationales Gesundheitsportal" und mehr Gesundheitsbildung in der Schule vor. Künftige digitale Angebote wie elektronische Patientenakten müssten nutzerfreundlich sein - gerade auch für ältere Menschen und zum Beispiel Migranten.
NOTFALLVERSORGUNG: Überfüllte Notaufnahmen mit stundenlangem Warten und überlastetem Personal sind in Kliniken ein großes Problem. Dorthin kommen zusehends auch Menschen mit eher harmlosen Beschwerden. Die Sachverständigen schlagen daher vor, dass alle Bürger künftig rund um die Uhr "Integrierte Leitstellen" anrufen können. Die legen dann den "Versorgungspfad" fest - vom Notarzt mit Blaulicht bis zum Hausbesuch des Bereitschaftsarztes. Können akut behandlungsbedürftige Patienten noch gehen, sollen sie kurzfristig einen Termin in einer Praxis oder einem "Integrierten Notfallzentrum" einer Klinik bekommen. Dort wird an einem zentralen Empfang entschieden, ob sie ein niedergelassener Arzt oder ein stärker spezialisierter Klinikarzt weiterbehandelt.
KRANKENHÄUSER: Statt an der Bettenzahl sollte sich die Planung der knapp 2000 Kliniken mehr an den vorgesehenen Leistungen orientieren. Stärker einzubeziehen seien auch die Alterung der Gesellschaft und die Entwicklung von Patientenwünschen. Für den Umbau des Angebots mit stärkerer Zentralisierung und Spezialisierung von Kliniken sollte der Bund Steuergeld geben und Mitplanungsrechte bekommen. Vor Eingriffen, die für Kliniken sehr lukrativ sind, sollte immer erst eine zweite Arzt-Meinung eingeholt werden müssen. Bei der Entlassung sollten Patienten Medikamente für bis zu eine Woche mitbekommen können.
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