Der Siegeszug der DNA beginnt mit einem Brief an den damals zwölfjährigen Michael in einem britischen Internat. “Wir haben ein Modell für die Struktur der Desoxyribonukleinsäure gebaut, kurz DNA” schreibt sein Vater, der 36-jährige Wissenschaftler Francis Crick im März 1953. “Wir glauben, dass wir den zugrundeliegenden Kopiermechanismus gefunden haben, der Leben aus Leben entstehen lässt.” Der siebenseitige Brief endet: “Lese es sorgfältig, so dass du es verstehst. Wenn Du heim kommst, zeigen wir Dir das Modell. Alles Liebe, Daddy.” Als der Brief 60 Jahre später von Christie’s in New York versteigert wird, bricht er alle Rekorde: Für über sechs Millionen Dollar wechselt er den Besitzer – der teuerste Brief der Welt. Am kommenden Mittwoch (8. Juni) wäre der britische Nobelpreisträger Francis Crick 100 Jahre alt geworden.
Der Sohn eines britischen Schuhfabrikanten studiert Physik, aber ist damit nicht glücklich. Während des Zweiten Weltkriegs macht er als Wissenschaftler Karriere, beschäftigt sich mit Seeminen und forscht auf dem Gebiet des Radars. In seinen Memoiren “What Mad Pursuit” (dt: “Ein irres Unternehmen”) erzählt er, wie froh er darüber war, dass seine Laborgeräte bei einem deutschen Angriff zerstört wurden.
Mit über 30 wechselt der Brite zur Molekularbiologie um die “Trennung zwischen dem Lebenden und Nicht-Lebenden” zu studieren und landet schließlich in Cambridge. Dort lernt er den zwölf Jahre jüngeren James Watson kennen, mit dem ihn Zeit seines Lebens eine Hassliebe und Rivalität verbindet. Für Watson war der Fall klar: “Francis hatte einfach manchmal keinen Sinn für Humor. Er hatte diese wirklich laute Lache, aber nicht, wenn sich jemand einen Spaß auf seine Kosten erlaubte.” Damals hat Crick noch nicht mal einen Doktortitel.
Wie weit ihre Rivalität geht, kommt erst heraus, als bisher verloren geglaubte Briefe im Nachlass Cricks gefunden werden. Später sagt Watson der britischen Tageszeitung Guardian über seinen Kollegen: “Ich genoss es, reich zu sein, weil es mir erlaubte, in Paris und Genf zu studieren. Francis musste zweimal seine Schreibmaschine verpfänden, um seine Forschung zu finanzieren.”
Am 25. April 1953 präsentierten die jungen Forscher Crick und Watson auf nur zwei Seiten ihr Ergebnis im britischen Fachblatt Nature mit den Worten: “Diese Struktur hat neue Eigenschaften, die von beträchtlichem biologischen Interesse sind.” Eine absolute Untertreibung: Ihre Entdeckung gilt heute als eine der bedeutendsten in der Geschichte der Wissenschaft.
Die beiden stellen fest, dass das Erbmaterial DNA (engl. deoxyribonucleic acid) die Struktur einer Doppelhelix hat, einer spiralförmig gedrehten Strickleiter, deren Sprossen jeweils aus zwei Bausteinen bestehen. Die Entdeckung legt die Basis für die gesamte Gentechnik und macht gezielte Eingriffe ins Erbgut möglich.
Doch statt selbst zu experimentieren, fügten die beiden die vorhandene Forschungsergebnisse anderer Wissenschaftler geschickt zusammen. “Wir hatten einfach Glück mit der DNA”, sagte Crick einmal. “Wie Amerika wartete sie nur darauf, entdeckt zu werden.”
Ihre Entdeckung fußt vor allem auf der Vorarbeit der Forscher Maurice Wilkins und Rosalind Franklin am King‘s College in London, deren Röntgenbilder zeigen, dass die Struktur der DNA zweier umeinander gewundener Ketten ähnelt. Daher erhalten 1962 Watson, Crick und Wilkins gemeinsam den Nobelpreis für Medizin. Franklin war vier Jahre zuvor an Eierstockkrebs gestorben.
Crick promoviert erst 1954, ein Jahr nach der Entdeckung der Erbgutstruktur, über eine Methode zur Strukturanalyse von Eiweißen. Ab Ende der siebziger Jahre konzentriert der Nobelpreisträger sich am Salk Institute in den USA auf das menschliche Bewusstsein: “Freude und Trauer, Erinnerungen und Wünsche, Bewusstsein der eigenen Identität und freier Wille sind im Grunde nichts anderes als das Verhalten unzähliger Nervenzellen und der mit ihnen verbundenen Moleküle”, schreibt er. Am 28. Juli 2004 stirbt Francis Crick im Alter von 88 Jahren in Kalifornien.
Sein Einfluss auf die Molekularbiologie ist bis heute gewaltig. Wissenschaftler des nach ihm benannten Francis Crick Institute in London dürfen künftig sogar gezielt das Erbgut menschlicher Embryonen verändern. Die zuständige Behörde für menschliche Befruchtung und Embryologie (HFEA) erlaubte dem Institut, solche Versuche an Embryonen bis zum Alter von sieben Tagen vorzunehmen – allerdings nur zu Forschungszwecken. Damit wollen die Forscher die Erfolgsrate künstlicher Befruchtungen steigern und Fehlgeburten verhindern. Das Cambridge Central Research Ethics Committee hat kürzlich zugestimmt. Erste Experimente sollen noch in diesem Jahr beginnen.