Als Befürworter und Kritiker der Neufassung der GOÄ ihre Argumente vortrugen, ging es im Saal des Berliner Tagungshotels “Estrel” hoch her. Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Frank Ulrich Montgomery, warb eingangs engagiert für den Standpunkt der Bundesärztekammer. Sein Ausgangspunkt: Die alte GOÄ von 1982 sei veraltet, rechtsunsicher und zu niedrig angesetzt, eine Aktualisierung mithin dringend erforderlich. Ausführlich ging der Präsident der BÄK auf Einwände der Kritiker ein, die sich an Steigerungssätzen, der gemeinsamen Kommission und anderem entzünden. Seine Schilderung der Jahre währenden Verhandlungen zur GOÄ-Novelle zeigte einen Prozess auf, der allen Beteiligten Kompromisse abverlangte. Zu der jetzt vorliegenden Neufassung führte nicht zuletzt ein Satz vom Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe: Wenn es gelänge, einen gemeinsamen Vorschlag der Beteiligten an die Politik zu machen, stehe er im Wort, diesen auch durchzusetzen. Das hat den Einigungswillen offenbar befördert. Die BÄK und andere sehen in der Novelle eine historisch einmalige Chance, jetzt mit Unterstützung der Politik das Notwenige zu tun. Einziger Kritikpunkt der GOÄ-Gegner, den Montgomery gelten lässt und auch als Selbstkritik zu versteht: “Wir hätten mehr informieren müssen.” Am Schluss rief er den Kolleginnen und Kollegen unter Beifall und Pfiffen zu: “Verhindern sie nicht die Jahrhundert-Chance für eine rechtssichere GOÄ – auch für kommende Generationen!”
Hauptredner der Gegner der GOÄ-Novelle, der Vize-Präsident der Berliner Ärztekammer, Dr. Elmar Wille, erläuterte seine fundamentale Kritik: Er befürchtet eine Abgabe von Selbstverwaltungsrechten und Kompetenzen der Ärzteschaft an die PKV-Wirtschaft. Im Ergebnis würden “wesentliche, althergebrachte Freiheiten unseres schönen Berufes beschnitten oder auch ganz gekippt.” Eklatantes Beispiel: An die Stelle des bisherigen Zentralen Konsultationsausschusses (ZKA) soll die Gemeinsame Kommission (GeKo) aus Vertretern der BÄK, der PKV und der Beihilfe treten. Diese können nun, statt Empfehlungen in Abrechnungsfragen zu geben, bindende Entscheidungen treffen. Wobei das BMG im Zweifel das letzte Wort hätte. Wille befürchtet, die GeKo könne sich zu einer Art “Superärztekammer” auswachsen. Zu den Kritikpunkten gehört auch, eine befürchtete “Entwertung der Approbation”. Vergütungen soll der Arzt nach der GOÄneu nur für Leistungen berechnen, für deren Erbringung er nach Maßgabe des Weiterbildungsrechts grundsätzlich die fachliche Qualifikation besitzt. Das bedeute zum Beispiel, dass viele dann nicht einmal mehr die Cerumentfernung berechnen dürften. Das sei als Eingriff in die ärztliche Berufsfreiheit zu werten. Der Redner schließt unter großem Beifall mit der Forderung: Die ärztlichen Entscheidungsspielräume müssen erhalten bleiben!
Da die Liste der angemeldeten Redner zur Debatte lang ist, werden ihre Beträge nach der Mittagspause auf Antrag des Vertreters der sächsischen Landesärztekammer, Dr. Thomas Lipp auf zwei Minuten begrenzt. Das Meinungsspektrum ist erwartungsgemäß groß, die Vorträge engagiert und temperamentvoll. Es fallen Sätze wie: “Sind wir noch zu retten? Wir haben hier eine einmalige Chance und statt Einigkeit zu zeigen, werden die Verhandlungsführer diskreditiert.” Der Diskussion drohe eine “Pegidisierung.” – “Wenn wir heute unseren Verhandlungsführern gegenüber der Politik das Vertrauen nicht aussprechen, werden wir einer Bürgerversicherung näher gekommen sein.” – “Wir wollen hier nicht der Ärztetag der Gierigen sein, sondern der verantwortlichen Gestalter.” Die GOÄneu sei eine akzeptable Leistung. Fazit eines besorgten Kollegen: “Wenn wir ernst genommen werden wollen, brauchen wir bei der Abstimmung ein starkes Signal.”
Und genau das kommt am pünktlichen Ende des Sonderärztetages am Sonnabend denn auch zustande: Mit großer Mehrheit wird die GOÄ-Novelle von den Delegierten bestätigt, keiner der zahlreichen Änderungsanträge wird übernommen. Ein Sturm im Wasserglas? Oder eine demokratische Aussprache, bei der alle kontroversen Stimmen gehört wurden? Das wird am Ende wohl jeder für sich selbst beantworten müssen.
Text: Vera Sandberg