Zum einen sind die Medikamente in der Regel nur schlecht wasserlöslich, zum anderen wird diese Löslichkeit ganz entscheidend auch durch Nahrungsmitteleffekte verändert. Zum anderen treten häufig Interaktionen mit anderen Co-Medikationen auf, welche die Effektivität der Zytostatika-Aufnahme und –Wirkung entscheidend beeinflussen.
Besonders eindrucksvoll lässt sich das schlechte Lösungsverhalten oraler Zytostatika z. B. am Vemurafenib erklären. Dessen maximale Löslichkeit beträgt bei einem pH-Wert zwischen 1 und 7 bis zu 0,00026 mg/l Wasser. Diese Zahl erscheint sehr klein, doch was dieser Wert in der Praxis bedeutet, wird deutlich, wenn man berechnet, wie viel Wasser nötig wäre, um eine therapeutisch empfohlene Einzeldosis Vemurafenib von 960 mg vollständig aufzulösen. Es sind genau 3,7 Millionen Liter Wasser!
Sehr schnell wird dadurch klar, dass der limitierende Faktor das verfügbare Lösungsmittel Wasser im Gastrointestinaltrakt (GIT) des Menschen ist. Dort finden sich jedoch nur sehr geringe Wassermengen. Somit bestimmen die luminalen Bedingungen ganz wesentlich die Löslichkeit und Bioverfügbarkeit oral zugeführter Zytostatika. Neben dem Wasser gelten ebenso der pH-Wert sowie der Fettgehalt der Nahrung als wesentliche Faktoren der Bioverfügbarkeit.
Bei den Nahrungsmittel-bedingten Effekten werden negativer Food-Effekt, positiver Food-Effekt sowie kein Food-Effekt unterschieden. Der negative Food-Effekt findet sich beispielsweise bei der Einnahme von Sorafenib oder Everolimus. Hier sinkt die Plasmakonzentration des Medikaments bei Einnahme nach dem Essen deutlich ab im Vergleich zur Nüchterneinnahme. Kein Food-Effekt ist dahingegen bei Einnahme von Sunitinib oder Axitinib zu beobachten. Dabei hat also die Aufnahme oder Nichtaufnahme von Nahrung keinen Einfluss auf die Bioverfügbarkeit des Medikaments.
In der Regel zeigen Zytostatika jedoch positive Food-Effekte. Dennoch wird in vielen Fällen die Nüchterneinnahme empfohlen. Ein Grund dafür ist, dass fettreiche Nahrung die Plasmakonzentration, also die Aufnahme des Wirkstoffes, verbessert, Plasmaspitzen in der onkologischen Therapie jedoch vermieden werden sollen.
Darüber hinaus ist der Zeitpunkt der oralen Einnahme eines Zytostatikums vor, während oder kurz nach dem Essen nicht trivial. Hinweise aus der Packungsbeilage wie beispielsweise „Einnahme mindestens 1 Stunde vor bis zu 2 Stunden nach dem Essen“ sind keinesfalls ausreichend. Grund dafür ist die veränderte Physiologie im Magen-Darm-Trakt in Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme. Je nach Verweildauer der Nahrung und dem pH-Wert im Magen wird sich auch die Bioverfügbarkeit eines Zytostatikums verändern. Besonders gut untersucht ist dieser Zusammenhang anhand der Co-Medikation von Zytostatika und Antacida.
Säureblocker, die von älteren und komorbiden Patienten nicht selten eingenommen werden, erhöhen in erster Linie den pH-Wert des Magens, das Milieu wird basischer. Für die Aufnahme eines Zytostatikums zur Tumorbehandlung jedoch ist diese pH-Wert-Veränderung nachteilig, denn das Medikament wird dann sehr viel schlechter in den Körper aufgenommen.
So verringern beispielsweise PPI oder H2-Blocker in Kombination mit dem Kinaseinhibitor Dasatinib dessen Resorption um 60 bzw. 40 %. Eine mögliche sinnvolle Alternative ist in einem solchen Fall, kurzwirksame Antazida zwei Stunden vor oder nach der Einnahme des Zytostatikums einzunehmen.
Für die tägliche Praxis lässt sich daraus ableiten, dass die Einnahme oraler Zytostatika in Bezug auf die Nahrungsaufnahme immer zum gleichen Zeitpunkt erfolgen soll. Abwechselnde Intervalle vor oder nach einer Mahlzeit sind zu vermeiden, da dadurch die Bioverfügbarkeit sowie der Plasmaspiegel des Medikaments empfindlich gestört werden kann.
Patienten sollten stets über solche Konsequenzen aufgeklärt werden. Im Falle von Nebenwirkungen oder fehlendem Wirkeintritt muss der behandelnde Arzt zudem immer hinterfragen, ob und wie der betreffende Patient sein Zytostatikum einnimmt.
Die Therapie-Adhärenz leidet beispielsweise regelmäßig durch die fehlende Motivation, Nebenwirkungen und die unzureichende Information des Patienten. Bei älteren, multimorbiden Patienten können zusätzlich noch Vergesslichkeit sowie kognitive, körperliche und psychische Einschränkungen auftreten, welche die Adhärenz negativ beeinflussen und vom behandelnden Arzt zu berücksichtigen sind.
Quellen:
33. Deutscher Krebskongress 2018, Berlin: "Orale Krebstherapie – Chancen und Risiken", 21.02.2018