Viele Frauen, die zu Adrienne Hancock in die Sprechstunde kommen, haben das gleiche Problem: sie sprechen mit der Stimme eines Mannes. "Sobald ich den Mund aufmache, werde ich nicht mehr als Frau wahrgenommen", berichten sie der Sprachtherapeutin Hancock, die an der George Washington University in der US-Hauptstadt zur einer großen Anlaufstelle für Transgender-Frauen in den USA geworden ist.
"Wenn es um Transgender geht, dann denken Leute typischerweise an Geschlechtsangleichungs-Operationen oder an plastische Chirurgie im Gesicht. Aber die Leute, die hier in die Klinik kommen, sagen: Ich möchte eine weiblichere Stimme. Oder: Ich möchte, dass sie sich für mich weiblicher anhört", erzählt Hancock in ihrem winzigen Büro, zwei Stockwerke über der Uni-Klinik. Die bietet schon Jahrzehnte Sprachtraining auch für Transgender an - aber Hancock ist die erste, die es als außerordentliche Professorin erforscht und dazu publiziert.
Und der Bedarf nimmt zu. Etwa ein Prozent der Bevölkerung identifizieren sich als Menschen, die mit falschen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden. Und in den USA passen immer mehr Transgender ihren Körper dem inneren Geschlecht an. Von 2000 bis 2014 hat sich die Zahl solcher Operationen pro Jahr vervierfacht, berichteten jüngst Ärzte der Johns Hopkins University (Baltimore) im Journal "Jama Surgery". Insgesamt mehr als 4100 mal wurden derartige Eingriffe vorgenommen, für die mittlerweile auch einige Versicherungen zahlen.
Während Transgender-Männer durch die Einnahme von Testosteron auch eine tiefere Stimme entwickeln, hebt Östrogen bei Transgender-Frauen die Stimme nicht an. "Wir können die Anatomie nicht ändern, aber wir können die Physiologie des Sprechens ändern", sagt Hancock. Damit wird die Sprachtherapie auch eine Option für diejenigen, die auf eine komplette geschlechtsanpassende OP verzichten, aber in ihrem Umfeld als Frau angesehen werden wollen.
Am Anfang steht dabei die Frage: Was soll sich ändern? Der Eindruck auf andere? Oder geht es um bessere Übereinstimmung mit dem neuen Bild von sich selbst? "Manchmal müssen wir da tiefer graben", sagt die Therapeutin.
Meist steht zunächst die Arbeit an der Tonhöhe im Vordergrund. "Die macht den größten Unterschied. Wenn man aber nur an der Tonhöhe arbeitet, klingt man schnell nach Minnie Mouse. Das passiert manchmal, wenn Leute selber versuchen an ihrer Stimme zu arbeiten, über Online-Videos oder mit Freunden. Hört sich seltsam an und belastet die Stimme."
Daneben geht es auch um den individuellen Klang der Stimme, die Resonanz und die Sprechmelodie. "Die meisten brauchen zehn bis zwölf Sitzungen dazu. Aber für einige dauert es auch wesentlich länger. Manchmal, weil sie älter sind. Und manchmal gibt es auch emotionale und psychologische Barrieren, die Stimme zu wechseln. Weil es eine neue Stimme ist. Die Welt und auch man selbst hat sie noch nie gehört", berichtet Hancock.
Dieser Prozess sei einfacher für Leute, die ihren Genderwechsel schon öffentlich gemacht hätten. Manche seien bald zufrieden und selbstbewusst mit ihren neuen Stimmen. "Die werden dann sogar am Telefon als Frau angesprochen." Andere hingegen müssten auf der Arbeit oder auch in der Familie noch als Mann auftreten. "Dieser stetige Wechsel macht es schwieriger, es dauert länger."
In Deutschland gebe es auch einige Logopäden, die Möglichkeiten zum Training für eine weiblichere Stimme anbieten, sagt Jennifer Michelle Rath von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti). Das Training funktioniere bei einigen Menschen aber auch autodidaktisch. Die Gesellschaft biete Unterstützung in weiteren Fragen an. Nach einem halben Jahr Training gebe es teilweise schon gute Ergebnisse.
Rath hat eine Zeit lang ein Stimmtraining gemacht und auch eine etwas weichere und höhere Stimme bekommen, allerdings keine allzu hohe. "Ich möchte dies auch gerade nicht. Die muss ja auch zu mir passen", sagt Rath. "Ich habe erstmal angefangen, meine Stimme so zu akzeptieren. Bestimmt und hoffentlich entwickelt sie sich aber noch weiter." So passiere es oftmals noch in Gesprächen mit Männern, dass die Stimme wieder runtergehe. "Dies ist mir oft unangenehm. Ich kann nur sagen: Alles ist ein Prozess und alles braucht Training und Zeit."
Die Patientinnen, die Hancock zusammen mit ihrer Kollegin Linda Siegfriedt und angehenden Therapeuten behandelt, haben eine große Altersspanne. "Mehr und mehr Jugendliche kommen." Und die Grenzen von Gender und sexueller Identität werden fließender, stellt Hancock fest: "Das ist oft keine binäre Entscheidung mehr. Ältere denken eher entweder-oder, aber für Jüngere wird es immer normaler, in fließenden Räumen zu denken." Das Ziel, seine Stimme zu finden, werde durch diesen Kulturwandel noch individueller.
Trotz der wachsenden Nachfrage kommen schwarze Transgender-Frauen bisher kaum zu Hancock. "Sie wissen zu wenig über solche Angebote. Und viele können sich eine Therapie nicht leisten." Ihr nächstes Projekt ist deshalb: Aufklärungsarbeit und günstige Therapieangebote in den armen schwarzen Teilen der reichen Hauptstadt. "Wir haben ja das Wissen, wir müssen es nur besser weitergeben", sagt Hancock. Nach zahlreichen Fachartikeln schreibt sie deshalb nun ein Buch.