Die neuen fitten Alten - ein Phänomen unserer Zeit - können und wollen oft länger arbeiten. Altersgerechte Arbeitsbedingungen sind deswegen schon eine Weile im Focus der Arbeitsmedizin. Jetzt hat man erkannt, dass auch die Jungen in Medizin-Berufen erhöhte Aufmerksamkeit verdienen. Sie sind auf lange Zeit die Stütze der Branche. Von ihrer Arbeitsfitness und Arbeitszufriedenheit hängt das Gesundheitssystem auch in Zukunft ab.
Auf einer Podiumsdiskussion auf dem Hautstadtkongress berichtet daher Prof. Albert Nienhaus von einer Studie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, die genau diese Fragen aufgreift. Was belastet die jungen Ärzte und Pflegkräfte derzeit? Was erwarten sie von ihrem Arbeitgeber?
Dazu wurden u.a. 824 Klinikärzte befragt. Besorgniserregend: Sehr viele berichten von Irritationen, emotionaler Erschöpfung und Problemen, sich zu entspannen. Ein Fazit noch vor endgültiger Fertigstellung der Studie: "Der Einzelkämpfer, der bereit ist, 24 Stunden an sieben Tagen zur Verfügung zu stehen, ist kein Leitbild mehr für junge Ärzte." Bei den jungen Pflegekräften ist ein auffälliger Befund: 70 Prozent leiden unter Gewalt am Arbeitsplatz, ausgehend von Patienten. "Gerade die Jungen sind hier betroffen, ihnen fehlt Routine." Ebenso überraschend: Bei vielen Berufseinsteigern wurden psychische Einschränkungen und Muskel-Skeletterkrankungen gefunden.
Dr. Kevin Schulte ist kein Berufsanfänger mehr, aber der Sprecher des Bündnisses Junge Ärzte erinnert sich noch gut an den Anfängerstress. Er sagt auf dem Podium: "Dass ich einen herausfordernden Beruf gewählt habe, das hat mich nicht überrascht. Aber einige Anforderungen überstiegen das erträgliche Maß." Seine ersten Nachtschichten auf der Intensivstation erinnerten ihn eher an Bedingungen eines Bootcamps. Keiner hatte ihn angemessen eingeführt oder mitlaufen lassen. Plötzlich stand er mit einer Kathedernadel in der Hand vor einer Patientin mit einem kardiogenem Schock, als die Schwester ihm den Telefonhörer ans Ohr hielt, weil Eurotransplant endlich für einen anderen Intensivpatienten eine passende Niere liefern konnte. Zwei lebenswichtige Aufgaben gleichzeitig erfüllen zu müssen, Schulte meint, das wird künftig häufiger passieren. Seine Forderung an die Politik: Die Personaldecke aufstocken. Oder den Bürgern gegenüber ehrlicher sein und die Erwartungen an die Medizin dämpfen. Aber die Politik erhöht den Kostendruck auf die Medizin und steigert die Versprechungen an die Patienten. Er habe sich daran gewöhnt, Arbeit auch in der Freizeit zu erledigen. Aber der Stress, dass man seine Ideale nicht erfüllen und dem Patienten nicht gerecht werden kann – an den will er sich nicht gewöhnen.
Max Zilezinski, Sprecher der Bundes-AG "Junge Pflege" berichtet aus seinem Arbeitsalltag auf einer Intensivstation der Charité Berlin. Er hat Glück gehabt. Er ist gründlich eingearbeitet und vorbereitet worden, bevor er Verantwortung übernehmen musste. Sein Beruf sei attraktiv, er bietet einen hohen Handlungsspielraum, alleinige Planung, Teamarbeit, Fürsorge, Perspektive und Karrieremöglichkeiten. Dennoch, Überstunden im dreistelligen Bereich, wie vielerorts üblich, dazu Schichtdienst, Überlastung, fehlende Arbeitszeitmodelle, ungenügende Erholungszeiten, fehlende Selbstfürsorge können bei Betroffenen zu einem "Coolout in der Pflege" führen – zu einer moralischen Desensibilisierung. Seinen Vortrag beendet er mit einem großen Fragezeichen an der Wand.
Prof. Lothar Rübsamen, Mitglied des Bundestages der CDU/CSU-Fraktion und des Gesundheitsausschusses antwortet so: Das Thema Personalmangel hänge nicht am fehlenden Geld, sondern an der fehlenden Nachfrage am Arbeitsmarkt. Es gäbe schlicht nicht genug Bewerber – speziell in der Pflege. Ein Pflegestellenförderprogramm stelle 6000 zusätzliche Stellen für 500 Millionen Euro zur Verfügung. Jetzt soll eine Expertenkommission die Pflegeuntergrenze für pflegeintensive Bereiche wie Intensivstationen und Nachtdienste ermitteln und künftige Mindeststandards festlegen.
Aber was ist, wenn diese Untergrenze nicht eingehalten werden kann, fragt eine Pflegleiterin in der anschließenden Diskussion. Bei ihr hätte derzeit eine Kraft für 40 Betten in der Nachtschicht allein zu sorgen. Die Arbeitsbedingungen seien unerträglich. Niemand wolle mehr auf der Station arbeiten. Eine andere Pflegeleiterin wirft ein, dass sie fast nur noch Bewerber aus dem Ausland bekomme. Die Sprachbarriere sei ein sehr großes Problem in der Arbeit.
Deutlich wird an diesem Vormittag auf dem Hauptstadtkongress, dass Mitarbeiter der Gesundheitsbranche mit vielen Sorgen und Mängeln zu kämpfen haben. Deswegen meldet sich noch einmal Dr. Schulte zu Wort. Er verlangt ein ehrliches Bekenntnis der Politik, dass unter den gegebenen Bedingungen nicht alle Erwartungen der Menschen erfüllbar sind. "Wir Ärzte haben uns daran gewöhnt, hunderte von Überstanden zu machen. Ich mache das gern für meine Patienten. Aber es gibt eine Grenze." CDU-Politiker Rübsamen kontert: Es gäbe Krankenhäuser, wo die Rendite im Vordergrund steht und Krankenhäuser, die sorglos unwirtschaftlich arbeiten. Und es gibt auch solche, die lieber in die Ausstattung investierten als in ihr Personal. Aber die gesetzliche Generalklausel ist eindeutig: Medizinische Versorgung muss zweckmäßig, ausreichend, notwendig und wirtschaftlich sein.