Der Arzt und Unternehmer Sami Gaber will mit seinem Start-Up "Docport" die medizinische Grundversorgung verbessern. Bei der 3. "StartUp Praxis" berichtete er von seinem erfolgreichen Start in eine digitale Hausarztpraxis. Im esanum-Interview erklärt er, wie die Digitalisierung den Hausarztalltag optimiert.
esanum: Herr Gaber, bei der 3. "StartUp Praxis" haben Sie über den “erfolgreichen Start in die digitale Hausarztpraxis” gesprochen. Wie funktioniert Ihre digitale Hausarztpraxis?
Gaber: Wir haben grundsätzliche Standards für unsere gesamte digitale Infrastruktur und sämtliche Prozesse des Praxisalltags festgelegt. Unsere bestehende Technologie erlaubt es uns, zukünftige Neuerungen und Entwicklungen komplikations- und nahtlos einzubinden. Übliche Schnittstellenkonflikte gehören der Vergangenheit an.
esanum: Was ist in Ihrer Praxis anders als in anderen?
Gaber: Bei uns sind viele ehemals händische Arbeiten durch Automatisierung deutlich vereinfacht oder sogar ganz unnötig geworden. Patientinnen und Patienten können sich zum Beispiel an einem Terminal im Eingangsbereich mit ihrer Krankenkassenkarte selbst anmelden, sie werden durch Infoscreens und Raummonitore durch die Praxis geführt oder können asynchron über einen Chat in einer Patientenapp einen neuen Kommunikationsweg nutzen. Für unsere Mitarbeiter bedeuten die maßgeschneiderten Tageslisten, dass sie auf einen Blick erkennen können, welche Aufgabe als nächstes ansteht und mit welchen Personen die Räumlichkeiten belegt sind. Arztbriefe, Laborergebnisse oder Befunde können über die besagte App datenschutzkonform in beide Richtungen übermittelt werden und sind dann beispielsweise bei einem Facharztbesuch verfügbar. Mit unserem selbstgeschaffenen Tool zur digitalen Formularerstellung ist es uns möglich, Fragen und Antworten nach unseren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Die so erhobenen Daten, zum Beispiel durch einen Erstaufnahmebogen, werden strukturiert an die richtige Stelle in die Patientenkartei importiert. Sie werden also nicht einfach als PDF übertragen, sondern zum Beispiel in die Anamnese eingefügt und erlauben uns gegebenenfalls direkt weiter zu differenzieren. Ich schätze, dass 70 Prozent unserer Patienten unser erweitertes digitales Angebot gut annehmen. Auf Wunsch dürfen die Formulare aber auch weiter auf Papier gemacht werden.
esanum: Was verändert das alles für die Ärztin, den Arzt? Welche Vorteile dürfen sie erwarten?
Gaber: Die Arbeit wird viel effektiver. Regelbasierte Behandlungspfade erleichtern die Dokumentation und weisen auf Red Flags hin. Wir haben sie für viele hausarzttypische Behandlungssituationen leitliniengerecht programmiert. Der Zugriff zu individuellen Patientendaten, aber auch auf das bestehende medizinische Wissen ist deutlich vereinfacht und ermöglicht fundierte Therapieentscheidungen zu treffen, um mehr Patientensicherheit zu generieren. Die nahtlose Integration unserer cloudbasierten Telefonanlage hat zudem echtes Homeoffice ermöglicht, welches sowohl von den MFAs als auch vom ärztlichen Personal gerne genutzt wird. Die Vorteile sind umfangreich. Wir sparen viel Zeit durch Vereinfachung oder Wegfall administrativer Aufgaben. Zeit, die wir nun für die Versorgung unserer Patienten haben und wir sind in Bezug auf unsere Arbeit zeitlich und örtlich auf völlig neue Art flexibel geworden.
esanum: Was war Ihr Motiv, diesen Weg einzuschlagen?
Gaber: Ich war schon immer technikaffin. Die technologischen Entwicklungen, die uns den Alltag vereinfacht haben, fanden aber nicht den Weg in den ambulanten Sektor. Ursprünglich waren meine Wünsche eher bescheiden: Die Wartezeit für Patientinnen und Patienten zu verkürzen, die Erreichbarkeit der Praxis zu erleichtern und den Überblick behalten, was aktuell in der Praxis passiert, beziehungsweise wo wir wirtschaftlich stehen. Irgendwann war klar, dass es mit meinem bisherigem IT-Anbieter und dem genutzten System nicht möglich sein wird. Durch Glück lernte ich einen gleichgesinnten ärztlichen Kollegen mit Programmierfähigkeiten kennen. Mit ihm und meiner Praxismanagerin haben wir angefangen, meine inzwischen lange Wunschliste abzuarbeiten. Dafür war es zunächst notwendig, die technischen Grundvoraussetzungen zu schaffen. Ein stabiles Netzwerk für sichere, schnelle Verbindungen rein und raus der Praxis, ein Arztinformationssystem (AIS), das sich der eigenen Arbeit anpassen lässt und Zugriff auf die Datenbank erlaubt und eine Cloud-Telefonanlage, die sich nahtlos integrieren lässt. Damit wurde die echte digitale Praxis möglich. Weil das Interesse unserer Kollegen groß war, gründeten wir 2019 die Firma docport services GmbH.
esanum: An wen richten Sie das Angebot konkret?
Gaber: Wir haben bereits acht Bestandspraxen komplett umgerüstet. Gerade gründen wir die erste eigene Systempraxis auf dieser Basis. Weitere sind in Planung.
Wir wenden uns mit unserem Angebot vor allem an Ärztinnen und Ärzte, die über eine Niederlassung nachdenken. Dabei macht docport alles, was rund um die ärztliche Tätigkeit in der eigenen Praxis notwendig ist. Ein klarer Vorteil ist, dass wir alle Lösungen für die Neueröffnung einer hausärztlichen Niederlassung aus einer Hand anbieten. Standardisierte Prozesse gemäß dem Best Practice Approach, intensive Schulungen und der technische Standard machen es niedergelassenen Hausärztinnen und -ärzten möglich, bereits ab der Eröffnung voll loszulegen.
esanum: Eine Diskussionsrunde bei der 3. "StartUp Praxis" trug den Titel “Medizin ohne Arzt – Der Arzt als Sozialfall!?”. Wieviel Digitalisierung verträgt der Arztberuf?
Gaber: Bei diesem Talk wurde schnell klar, dass sich Ärztinnen und Ärzte diesbezüglich keine Sorgen machen müssen. Digitalisierung wird sie weder ersetzen, noch die Medizin entmenschlichen. Mehr Zeit und mehr Patientensicherheit sind positive Entwicklungen für das Arzt-Patientenverhältnis. Unsere Patientinnen und Patienten werden immer informierter, kritischer und mündiger und das verändert die klassische Rolle des Arztes. In Zukunft wird es zu einem gemeinsamen, partnerschaftlichen Unterfangen werden Gesundheit, zu erhalten oder Krankheit effektiv zu behandeln, wobei die Medizin auch ohne unmittelbaren Arztkontakt außerhalb der Praxis stattfinden wird.
Das Hauptproblem liegt eher darin, dass Ängste und Unsicherheiten darüber bestehen, was der optimale Weg zur Digitalisierung ist und wer dafür die richtigen Ansprechpartner sein können.
esanum: Wie kann bei zunehmender Digitalisierung Datensicherheit gewährleistet werden?
Gaber: Die Systeme, die im Moment in den meisten Praxen benutzt werden, bieten einen minimalen Sicherheitsstandard, der durch die veränderte Netzwerkstruktur, die wir einrichten, ein ganzes Stück angehoben wird. Es gibt weniger Lücken, durch die man in das System eindringen könnte. Außerdem nutzen wir ein komplexes Passwortmanagementsystem und unsere Emails werden verschlüsselt. Faxe gehören bald der Vergangenheit an. Wir erreichen damit eine Datensicherheit, die weit über dem Durchschnitt liegt. Hundertprozentige Sicherheit gibt es aber nie.
esanum: Welchen Platz haben DiGAs in Ihrem Praxisalltag?
Gaber: Ich selbst habe meine ersten Erfahrungen mit DiGAs gemacht - vor allem im Bereich der "Psychdigas". Ich denke, dass der schleppende Start an mangelnder Information der Leistungserbringer liegt. Bislang war vor allem Eigeninitiative notwendig, um sich einen Überblick über verfügbare DiGAs und ihre praktische Anwendung zu machen. Ich bin sicher, dass sich das bald ändern wird. Das Potential ist groß.
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