Vom 2. bis 5. März findet in Leipzig der 57. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP) statt, der unter dem Motto “Innovative Pneumologie” eine Brücke schlagen will von Ergebnissen der Grundlagenforschung hin zur klinischen Umsetzung neuer Erkenntnisse. Neue medikamentöse Therapieansätze sollen genauso vorgestellt werden wie innovative Verfahren wie die Immuntherapie beim Lungenkarzinom oder Behandlungen zur Idiopathischen Lungenfibrose, der Mukoviszidose, Asthma oder Lungenhochdruck. Neu im Programm sind die 4 Hot-Topic Symposien, die wichtige und aktuelle Entwicklungen aus jeder Sektion in kompakter Form darstellen sollen.
Professor Hubert Wirtz –Tagungspräsident des 57. DGP-Kongresses
Tagungspräsident Professor Hubert Wirtz vom Universitätsklinikum Leipzig spricht im esanum-Interview über Fortschritte bei der Behandlung von Volkskrankheiten wie Asthma, COPD oder chronischer Bronchitis, das Engagement der Industrie sowie pneumologische Erkrankungen von Flüchtlingen.
esanum: Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin gibt es in diesem Jahr 4 Hot-Topic Symposien. Was verbirgt sich dahinter?
Wirtz: Die Hot-Topic Symposien stellen einen Überblick über die neuen Erkenntnisse auf unterschiedlichen Gebieten der Pneumologie dar, die vor allem im vergangenen Jahr weltweit gewonnen wurden. Hot-Topic Symposien werden von der Programmkommission der DGP und von den einzelnen thematischen Sektionen gestaltet. Sie sollen auch in Zukunft im Programm bleiben. Für ein schnelles Update durch hervorragende Referenten sind die Hot-Topic Symposien sehr geeignet.
esanum: Asthma, COPD oder chronische Bronchitis sind zu Volkskrankheiten geworden. Dazu kommen mehr als 100 seltene Lungenerkrankungen. Bei welchen Erkrankungen hat es in den letzten Jahren entscheidende Fortschritte gegeben?
Wirtz: Wichtige Fortschritte sind natürlich auf vielen Gebieten erreicht worden – und manche auf den ersten Blick weniger auffällige Fortschritte sind wichtig, weil sie sehr häufige Lungenerkrankungen betreffen und damit vielen Menschen Erleichterung verschaffen; zum Beispiel die Weiterentwicklung der Therapie der COPD mittels inhalierbarer Medikamente aber auch die Erkenntnis, wie wichtig körperliche Bewegung bei dieser Therapie ist.
Es gibt aber Erkrankungen, bei denen wir den Patienten bisher einfach sehr wenig Angebote mit Hoffnung auf eine Verbesserung machen konnten. Dazu gehört zum Beispiel die Lungenfibrose, eine Erkrankung, bei der die Lunge zunehmend vernarbt, bis es mit dem Überleben nicht mehr vereinbar ist. Hier ist ein klarer Fortschritt erreicht worden, indem mittlerweile zwei zugelassene Therapien zur Verfügung stehen, die zumindest die häufigste und gefährlichste Form der Lungenfibrose in ihrem Verlauf bremsen können. Das mag nicht nach einer Sensation klingen, ändert aber viel für die betroffenen Patienten. Weitere Verbesserungen sind in Vorbereitung.
Schon länger hat die Behandlung der heimtückischen Erkrankung Lungenhochdruck eine gute Entwicklung durchgemacht. Es stehen mittlerweile einige wirksame und sich zum Teil auch sinnvoll ergänzende Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Gerade ist eine wichtige neue Option dazu gekommen, die einen internen Signalweg im angeschalteten Zustand belässt, so dass die Gefäße sich erweitern können und der Druck sinkt. Diese innovative Behandlung, die zusammen mit der Universität in Gießen von Bayer entwickelt wurde, hat Ende des vergangenen Jahres den Zukunftspreis aus der Hand des Bundespräsidenten erhalten.
Schließlich bemerken wir eine ganz neue Stimmung bei der Behandlung der bisher desaströsen Therapie des Lungenkrebses, der immerhin die am häufigsten zum Tode führende Krebserkrankung in Deutschland ist.
Lange Zeit waren die Behandlungsmöglichkeiten nicht gut. Für einzelne Patienten waren in den letzten Jahren schon genetische Veränderungen der Tumorzellen bekannt, die man spezifisch behandeln konnte, und diese Pateinten überleben auch länger. Mit der Erkenntnis, dass der Lungenkrebs ein immunologisch gut angreifbarer Tumor ist, wenn es gelingt die eigenen Immunzellen wieder zu aktivieren, verändert sich das Bild auch für die Patienten ohne diese spezifischen genetischen Veränderungen. Das ist immerhin die große Mehrheit der Patienten. Es werden zunehmend Eingriffsmöglichkeiten in dieses System getestet, die der körpereigenen Abwehr gegen Tumorzellen wieder die Oberhand verschaffen sollen. Die nächsten Jahre werden da noch viel Veränderung bringen, und vermutlich das Gesamtbild verbessern.
esanum: Wie bewerten Sie generell die Forschungsanstrengungen der Pharmaindustrie in der Pneumologie?
Wirtz: Die Pharmaindustrie hat seit mindestens 10 bis 15 Jahren erkannt, dass drei Lungenkrankheiten zu den weltweit zehn häufigsten Killerkrankheiten gehören: COPD, Pneumonie und Lungenkrebs. Daneben ist Asthma bronchiale durchschnittlich bei jedem zwanzigsten Erwachsenen und jedem zehnten Kind vorhanden.
Pneumologische Erkrankungen sind sehr verbreitet und stellen damit natürlich auch einen Markt dar. Auch damit ist erklärbar, dass es gegenwärtig eine Flut neuer, inhaltativer Medikamente für die COPD auch in neuen Kombinationen und Applikationsarten gibt, die es zwar einerseits erlauben, die Therapie an individuelle Verhältnisse anzupassen, andererseits das Angebot unübersichtlich machen. Aber wir wollen über Anstrengungen aus der Industrie überhaupt nicht klagen. Ein großes Angebot schafft Wettbewerb, der dann auch innovative Lösungen wieder befördert. Das würde ich mir wünschen, dass auch noch etwas mehr als bisher nach neuen Ansätzen und verbesserten Therapien gesucht wird.
Wie oben schon kurz gesagt, gibt es aber Bereiche der Pneumologie, wo das durchaus der Fall ist. Die pharmazeutische Industrie ist ein ganz entscheidender Motor der Innovation in allen Bereichen der Medizin. Das wird bei der Diskussion um Preise gerne vergessen. Damit will ich die Preisdiskussion keineswegs unterdrücken, aber wir müssen uns im Klaren sein, dass es nur mit der Industrie gelingen kann, den theoretischen Fortschritt aus Laboren, Instituten, Krankenhäusern etc. für den Patienten nutzbar zu machen. Alleine die bürokratischen Anforderungen an die Zulassungen von Medikamenten erfordern eine eingespielte, aufwändige Logistik.
esanum: Stichwort Diagnostik: Welche Vorteile bringen ein endobronchialer Ultraschall oder neue Techniken zur Diagnostik aus der Atemluft mit sich?
Wirtz: Der endobronchiale Ultraschall versetzt Lungenfachärzte in die Lage, mit dem Endoskop – dem Gerät zur Lungenspiegelung – einzelne Lymphknoten oder Raumforderungen in der direkten Umgebung der Luftröhre oder der großen Hauptbronchien zu punktieren, unter Sicht die Lage der Nadel im Zielgebiet zu erkennen und aus diesem Zielgebiet eine Probe zu entnehmen, die dann zytologisch aufgearbeitet werden kann. Damit kann man dem Patienten häufiger eine nachschauende Operation ersparen, die sonst in der Mitte des Körpers schwierig ist.
Diagnostik aus der Atemluft ist eine ganz neue Dimension. Die Pneumologie ist gerade erst dabei, und das auch nur zögerlich, das Potenzial zu erkennen. Das hat damit zu tun, dass nicht alles daran geradlinige Antworten sind. Diese Diagnostik beinhaltet häufig einen Prozess der Mustererkennung, bei dem das Ergebnis, wenn man die Auswertung viele Male wiederholt, auch einmal andersherum ausfallen kann. Aber dieser Prozess ist für viele Auswertungen komplexer Daten inzwischen ganz selbstverständlich, denken wir an Gesichtserkennung oder die Erkennung von Fingerabdrücken, genetischer Zugehörigkeit und vielen anderen Situationen.
Es kann mit der Diagnostik aus der Atemluft gelingen, Krankheiten zu erkennen. Insbesondere Krankheiten, die man vermutet, und deren Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein man im Vergleich einer kranken und einer gesunden Gruppe definieren und voneinander unterscheiden kann, weil sich die so genannten “smellprints”, also das Muster der Verbindungen in der Atemluft leicht aber charakteristisch unterscheiden. Die unbekannte Probe wird dann von einer Erkennungssoftware der einen oder der anderen Gruppe zugeordnet. Besonders wichtig und geeignet könnte das System für die frühe Erkennung des Lungenkrebses werden, aber viele andere Anwendungsgebiete in der Inneren Medizin sind denkbar.
Über die Ausatemluft lassen sich auch Krankheiten anderer Organe als der Lunge erkennen. Die Pneumologen könnten hier ein neues, ganz wichtiges diagnostisches Gebiet erschließen, und angebunden an eine diagnostische “Cloud” im Krankenhaus oder einem Institut könnten sie immer auf geeignete Referenzgruppen zurückgreifen. Ich würde mir wünschen, dass die Chance genutzt wird.
esanum: Die häufigste tödliche Krebsart war Lungenkrebs – jeder fünfte krebsbedingte Todesfall in Europa geht darauf zurück. Welche Hoffnungen setzen Sie in die “Target”-Therapie beziehungsweise die personalisierte Medizin?
Wirtz: Die Target-Therapie war der erste wichtige Schritt weg von einer reinen Chemotherapie in einer nicht mehr operablen oder durch Bestrahlung therapierbaren Erkrankung. Sie setzt voraus, dass bestimmte Veränderungen der DNA in den Krebszellen vorhanden sind, die zu aktivierten Signalwegen führen. Statt ab und zu aufleuchtendem Licht ist die Lampe permanent an, bzw. wächst und so teilt sich die Zelle viel häufiger als sie müsste. Die Target Therapien konnten hier erstmals gezielt eingreifen. Sie ist eine biologische Therapie, die die anderen Zellen weitgehend in Ruhe lässt. Ganz so ist es allerdings auch nicht, denn die Signalwege werden eben auch gelegentlich benötigt und ihre Blockade kann daher schon auch zu erheblichen Nebenwirkungen führen.
Ein zusätzliches Problem ist die relativ rasche Resistenzentwicklung, weil nur die Zellen überleben, die einen alternativen Weg finden, und die gibt es immer wieder. Aber auch die Entwicklung der Target-Therapie geht voran, und es werden neue Therapien für resistente Tumore gefunden und nach zwei oder drei Runden ist der Tumor möglicherweise wieder empfindlich für die zuerst eingesetzte Variante. Hier muss man flexibel und individuell entscheiden. Aber das heißt auch, dass man öfter als früher Proben aus dem Körper / Tumor nehmen muss.
esanum: Einen weiteren Schwerpunkt soll die Flüchtlingsmedizin bilden. Welche pneumologischen Erkrankungen stellen Sie bei Flüchtlingen fest? Inwieweit müssen Ärzte darauf reagieren?
Wirtz: Es ist bekannt, dass sich die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak – bei den anderen weiß man es vielleicht noch nicht so genau – durchschnittlich in einem nicht so schlechten Gesundheitszustand befinden, wie zeitweise befürchtet wurde. Die Tuberkulose ist eine Sorge und kommt vor. Wie häufig, das werden wir von den Experten in dem Flüchtlingssymposium am Donnerstag, 3. März zwischen 10:30 und 12:00 im Saal 2 hören. Das Robert Koch-Institut hat eine Liste von in Europa ungewöhnlichen Erkrankungen herausgegeben, auf die man gegebenenfalls vorbereitet sein sollte.
Übertragbare Hautkrankheiten kommen vor, auch dazu werden wir uns beraten lassen. Und schließlich, ganz wichtig, sind viele der Flüchtlinge und hier besonders Kinder durch die Flucht selbst oder durch Geschehnisse im Krieg traumatisiert. Wir wollen hierzu mehr erfahren und vorbereitet sein, um den Menschen zu helfen. Das ist unsere Pflicht.
Im Übrigen hoffe ich als schon lange ansässiger, wenn auch zugereister Sachse, dass Mitleid und Hilfsbereitschaft endlich wieder in den Vordergrund rücken, auch bei denen, die mit der Gesamtzahl der Flüchtlinge möglicherweise nicht einverstanden sind. Uns gegenüber sitzt ja ein in seiner Würde nicht antastbarer Mensch.