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Fast ganz vergessen: Skabies taucht wieder vermehrt auf

Quälend juckende Haut und ratlose Ärzte - eine Familie hat die Krätze. Doch bis zur Diagnose und richtigen Therapie vergehen eineinhalb Jahre. Experten zufolge ist die Krankheit in Deutschland im Kommen. Doch an genauen Zahlen mangelt es.

Patienten leiden zusätzlich unter hoher seelischer Belastung

Quälend juckende Haut und ratlose Ärzte - eine Familie hat die Krätze. Doch bis zur Diagnose und richtigen Therapie vergehen eineinhalb Jahre. Experten zufolge ist die Krankheit in Deutschland im Kommen. Doch an genauen Zahlen mangelt es.

Am Anfang war es nur ein Juckreiz bei ihrer Tochter. "Ich dachte, die hat keine Lust auf Schule", erinnert sich Katrin Müller. Doch nach ein paar Wochen juckte es die ganze vierköpfige Familie. Unerträglich, Tag und Nacht, am ganzen Körper. "Es war schlimm. Wir haben uns blutig gekratzt und niemand wusste, was wir haben", so die inzwischen Geheilte. Die Ärzte tippten auf Masern, Ekzeme, auf Vogelmilben und Allergien. Kein Medikament half.

Erst nach einigen Monaten kam die Diagnose "Krätze". "Ich musste erst einmal nachlesen, was das ist", so die Mutter aus Nordrhein-Westfalen. Sie möchte mit ihrer Familie unerkannt bleiben, da sie berufliche Probleme fürchte. Die Krankheit habe schließlich ein Schmuddel-Image, weil Obdachlose oft betroffen seien.

Keine zuverlässigen Zahlen

Glaubt man aktuellen Zahlen und Einschätzungen, ist die Krätze, von der viele Menschen lange dachten, sie sie sei ausgerottet, wieder im Kommen. "Der Eindruck, dass die Häufigkeit zugenommen hat, ist deutlich", sagt Cord Sunderkötter, Direktor der Dermatologie am Universitätsklinikum Halle (Saale). Niedergelassene Hautärzte und Hautkliniken berichteten von steigenden Patientenzahlen. Die Barmer-Krankenkasse veröffentlichte kürzlich Daten, wonach ihren Versicherten 2017 im Schnitt 60 Prozent mehr Krätze-Medikamente verschrieben wurden als 2016.

Doch Sunderkötter warnt vor zu schnellen Behauptungen. "Das passt alles gut zusammen. Doch es gibt bislang keine wirklich gut auswertbaren Daten, die Rückschlüsse auf die Entwicklung in der Gesamtbevölkerung zulassen", sagt der Hautspezialist. Dazu müsse es erst eine Studie geben. Er arbeite gerade mit Kollegen an einem Konzept.

Infektion durch engen Hautkontakt

Klar ist: Skabies, so der korrekte Begriff, kann jeden treffen. Milben sind der Auslöser. Sie werden durch engen Hautkontakt weitergegeben. Übertragen wird Skabies daher meist zwischen Kindern und ihre Eltern, Partnern oder auch pflegebedürftigen Personen und ihren Betreuern. Während Menschen mit einer gewöhnlichen Skabies oft nur von einigen Dutzend Milben befallen sind, können es bei der schwereren Krustenskabies Millionen dieser Tiere sein.

Die an manchen Körperarealen dünne, warme Haut wie etwa an Fingerzwischenräumen und Knöchelregionen oder am Nabel und am Gesäß, wird von den kaum erkennbaren Spinnentieren bevorzugt. Sie bohren sich in die obere Schicht der Haut. Die Weibchen legen dort Gänge an und ihre Eier oder auch Kot ab. Die Immunreaktion löst den starken Juckreiz aus. Bläschen, gerötete Knötchen und die typischen Muster der Gänge gelten als weitere Anzeichen. Patienten mit schwachem oder unterdrücktem Immunsystem verspüren oft keinen Juckreiz, die Krankheit kann sich daher lange unbemerkt ausbreiten.

Bislang keine umfassende Meldepflicht

Unter Ärzten gebe es noch Unsicherheiten, so Sunderkötter, der mit Kollegen daher eine Leitlinie zur Diagnose und Behandlung der Skabies geschrieben hat. "Bei uns konnte man die Gänge unter der Haut nicht deutlich sehen, deshalb war die Diagnose wohl auch so schwer", sagt Müller. Die lange Zeit mit der ständig juckenden Haut beschreibt sie als äußerst belastend. "Freunde waren verkrampfter, wollten uns nicht mehr umarmen und hatten Mitleid", so Müller. Täglich habe sie die gesamte Wäsche gewaschen. Temperaturen von mehr als 60 Grad mögen die Milben nicht.

Nach Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind 300 Millionen Menschen an Skabies erkrankt. Wie viele es hierzulande sind, weiß niemand. Eine umfassende Meldepflicht gibt nicht. Nur Einrichtungen, in denen sich die Krankheit schnell ausbreiten kann, müssen Ausbrüche an die Gesundheitsämter melden: Kitas, Schulen, Krankenhäuser, Pflegeheime, Flüchtlingsheime oder auch Gefängnisse. Weil diese ihre Daten aber nicht an Landesbehörden oder das Berliner Robert Koch-Institut (RKI) weiterleiten müssen, ist selbst hier unklar, wie die bundesweite Lage aussieht. Das RKI spricht von einer "sehr lückenhaften Datenlage". Trendanalysen seien nicht möglich.

Ihre Tochter habe die Krankheit aus dem Gymnasium mitgebracht, sagt Müller. Sie kenne 14 betroffene Schüler. Doch die Schule habe das Thema einfach unter den Teppich gekehrt und die Elternschaft nicht informiert. Sie hingegen habe alle Freunde und Bekannten gewarnt, die mit ihrer Familie Kontakt hatten.

Die möglichen Gründe für die Angaben über gestiegene Skabies-Zahlen seien vielfältig, so Sunderkötter. Nicht jeder Patient, dem ein Mittel verschrieben werde, sei wahrscheinlich auch wirklich mit Skabies-Milben befallen, gibt er zu bedenken. Zudem könnten manche Menschen mehrere Verordnungen bekommen.

Langer Weg zur Diagnose stellt physische und psychische Belastung für Patienten dar

Bei Müller und ihrer Familie zog sich die Behandlung extrem lange hin. "Normalerweise reicht es, einmal Salbe zu benutzen und nach einer gewissen Zeit noch einmal zur Sicherheit", so Müller. Bei ihren Familienmitgliedern sei die Behandlung erst erfolgreich gewesen, nachdem sie sich mehrere Tage lang mit Salbe behandelten und zudem ein Mittel einnahmen. "Danach hatten wir endlich Ruhe", so Müller. Das war eineinhalb Jahre nach dem ersten Juckreiz. Ein erfahrener Hautarzt habe geholfen.

Für die steigenden Skabies-Zahlen werde immer wieder auch die wachsende Zahl der Flüchtlinge als Erklärung ins Spiel gebracht, so Sunderkötter. Vermutlich komme die Krankheit unter Flüchtlingen bei ihrer Ankunft in Deutschland auch häufiger vor. Doch es seien medizinische Untersuchungen vorgeschrieben. Und der Kontakt zur einheimischen Bevölkerung sei meist nicht so eng, dass er einen Anstieg erkläre.

Katrin Müller war vier Wochen zur Kur, um sich von der belastenden Zeit zu erholen. Spuren auf der Haut blieben nur bei ihrem Mann. "Er ist ganz vernarbt", so Müller. Sie selbst habe die Krankheit seelisch fast aus der Bahn geworfen. "Die Krätze geht unter die Haut", sagt sie. Und die Angst, sich wieder anzustecken, sei groß. Wer einmal Krätze hatte, sei anfällig dafür. "Wenn wir uns irgendwo hinsetzen oder Menschen zu nahe kommen, ist die Furcht immer da. Man wird zwanghaft."