Können mehr Diabetesberater dabei helfen, drohende Versorgungsengpässe auf dem Land abzuwenden? Davon geht der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe e.V. (VDBD) aus.
Den Begriff der Diabetesberaterin, aus dem sich das dazugehörige Berufsbild entwickelte, gibt es seit den 1980er Jahren. Anlass war der hohe Bedarf an qualifiziertem Beratungspersonal in der diabetologischen Versorgung. Und heute? "Der Bedarf hängt an den Institutionen, die Diabetesberaterinnen einstellen. In Bayern etwa gibt es derzeit keine Neueinstellungen – mangels Verfügbarkeit. Der Bedarf ist hoch!", so die VDBD-Vorsitzende Dr. Nicola Haller. Der Berufsverband hat kürzlich in Berlin zur Pressekonferenz geladen, um auf die gefährdete Diabetesversorgung auf dem Land aufmerksam zu machen – und mehr Diabetesberater DDG als Teil der Lösung zu präsentieren.
Dass die Diabetesberatung einen gewichtigen Teil zur gelingenden Versorgung beiträgt, dürfte jedem diabetologisch tätigen Arzt klar sein. Die nichtärztlichen Fachkräfte übernehmen dabei im Rahmen der ärztlichen Delegation vielfach auch zahlreiche Aufgaben. "Der verantwortliche Bereich wird schon lange so gelebt. Die Verbände verhandeln zurzeit über die Verschriftlichung", bekundete Haller. Dazu ist der VDBD u. a. mit der Deutschen Gesellschaft für Diabetes (DDG) und dem Bundesverband Niedergelassener Diabetologen (BVND) im Gespräch.
Ob die Schulungs-, Coaching- und Beratungsarbeit, die individuell recht unterschiedlichen Bedürfnissen Genüge leisten muss, angemessen entlohnt wird, ist eine andere schwierige Frage. Die Gehälter fallen zwar sehr unterschiedlich aus. Im Mittel muss eine Diabetesberaterin allerdings mit einem Vollzeitgehalt von nur 2.100 Euro brutto auskommen. Dem VDBD geht es deshalb auch um die bundesweite Anerkennung und Aufwertung als eigenständiger Beruf mit eigenen Abrechnungsmöglichkeiten.
Gegenwärtig gibt es etwa 4.000 zur Diabetesberaterin DDG weitergebildete Fachkräfte in Deutschland. Der VDBD sieht einen Mehrbedarf angesichts der Landfluchtproblematik, mit der – nicht nur in der Diabetologie – eine Versorgungschieflage in entleerten Gebieten mit überdurchschnittlich gealterter Bevölkerung droht. Der Verband hat ein Versorgungsforschungsprojekt gestartet, um die IST-Situation und das Verbesserungspotenzial durch die Diabetesberatung zu evaluieren.
In einer Pilotstudie wurde die Versorgungssituation von 120 Diabetes-Patienten im Bayerischen Wald an der Grenze zu Tschechien untersucht. Die Patienten, die im Durchschnitt 72 Jahre alt und allesamt dem unteren sozioökonomischen Drittel zuzuordnen waren, erhielten jeweils eine ca. 2-stündige Einzelberatung. Die Ergebnisse präsentierte der Studienleiter Lars Hecht, Geschäftsführer des RED-Instituts (Research and Education in Diabetes) in Oldenburg:
Eine Verbesserung der Laborparameter konnte allerdings nicht beobachtet werden. "Dafür war die Stichprobe dieser Pilotstudie zu klein, die auch methodisch nicht darauf ausgelegt war", erklärte Hecht. Abgesehen davon, dass es sich hier um eine Einmalmaßnahme handelte.
Digitalisierung und Telemedizin könnten hier den Patienten und ihren Behandlern und Beratern demnächst unterstützend unter die Arme greifen. Dr. Werner Wyrwich, Geschäftsbereichsleiter bei der AOK Nordost, wies auf zwei telemedizinische Ansätze der Krankenkasse hin, für die es erste Erfolgsnachweise gibt.
Das ESYSTA®-System sorgt für die unmittelbare Übertragung sowohl der gemessenen Blutzuckerdaten als auch der injizierten Insulineinheiten in ein elektronisches Diabetes-Tagebuch. Dabei ist ein spezieller, mit Insulinen aller Hersteller kompatibler Insulin-Pen mit dem Blutzuckermessgerät und einer Übertragungseinheit gekoppelt. Dem Arzt steht damit nach Autorisierung durch den Patienten jederzeit eine korrekte und vollständige Datenbasis zur Verfügung – anders als bei manuell geführten Tagebüchern. Eine App ermöglicht zudem den mobilen Zugriff über das Smartphone. "Der Patient ist Herr der Daten", betonte Wyrwich.
Das Simulationsprogramm KADIS® dient dem behandelnden Arzt zur computergestützten Therapieumstellung und -optimierung bei seinen Diabetes-Patienten. Mithilfe der Software lässt sich, basierend auf den individuellen Patienteninformationen, die Wirkung verschiedener Therapievarianten auf den Blutzuckerverlauf vorab einschätzen. Die oft langwierige Suche nach geeigneten Therapieregimes kann damit abgekürzt werden. Therapieveränderungen und die erforderlichen Kontrollen sind schneller möglich.
Ob es die Lösungsansätze aus dem Projektstatus in den breitflächigen Behandlungsalltag schaffen, bleibt allerdings noch abzuwarten. Einen Wunsch der VDBD-Vorsitzenden konnte Wyrwich gleich mit in seine Krankenkasse nehmen: die schnellere Genehmigung von CGM/FGM-Systemen (Continuous Glucose Monitoring/Flash Glucose Monitoring), die die Selbstwirksamkeit der Patienten beflügeln.
Gefährdet die Digitalisierung die Zukunft von Ärzten und Diabetesberatern? Diese Befürchtung hat VDBD-Geschäftsführerin Dr. Gottlobe Fabisch nicht. Denn: "Am Ende bleibt der Mensch, der es umsetzen muss." In der Beratung und der Umsetzung kommt es weiterhin auf technologieunabhängige Faktoren wie Emotion und Empathie an. Fabisch plädiert deshalb dafür, "die Digitalisierung nicht zu erleiden, sondern aktiv mitzugestalten!"
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Referenz:
Wie gefährdet ist die Diabetesversorgung auf dem Land? Pressekonferenz des Verbandes der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD). Berlin, 14. Juni 2017.